Aktueller Kommentar Dezember 2025

Deregulierung statt Bürokratieabbau: Was die Omnibusse der EU-Kommission wirklich bringen

Simela Papatheophilou

Mit den Omnibus-Initiativen beschneidet die EU-Kommission unter dem Deckmantel der ‚Vereinfachung‘ zentrale Umwelt- und Sozialstandards, vom Lieferkettengesetz bis zum Datenschutz. Doch wem nützt das wirklich?

Von Simela Papatheophilou (ÖFSE), Dezember 2025

Am 10. Dezember haben sich Rat und Parlament auf einen Verordnungsvorschlag geeinigt, der gleich mehrere EU-Rechtsakte, darunter auch das europäische Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz CSDDD), massiv beschränkt. Dieser Vorschlag basiert inhaltlich in großen Teilen auf dem ersten von acht ‚Omnibus‘-Initiativen der Kommission. Diese sollen die von den Regierungen der Mitgliedstaaten geforderte ‚Vereinfachungsrevolution‘ umsetzen, und so die schwächelnde EU-Wirtschaft ankurbeln. Doch hinter den vielbemühten Floskeln von Bürokratieabbau und Vereinfachung verbergen sich höchst umstrittene Ansätze für Deregulierung, die an europäischen Umwelt- und Sozialstandards rütteln.

Was bedeutet Omnibus I für das Lieferkettengesetz?

Die Geschichte des europäischen Lieferkettengesetzes (CSDDD) ist eine turbulente. Sie beginnt mit einem Kommissionsvorschlag 2022. Der nachfolgende Prozess, der von Advocacy-Vorstößen der Zivilgesellschaft auf der einen Seite und Lobbying der Unternehmensverbände auf der anderen geprägt war, führte zur zwei Jahre später beschlossenen EU-Verordnung. Doch noch bevor die CSDDD von den Mitgliedstaaten umgesetzt wurde, kam von ihrer Schöpferin – der Kommission – der Vorschlag zu ihrer Abschwächung.

Der Omnibus I-Vorschlag sieht unter anderem die Einschränkung des Anwendungsbereichs auf Unternehmen mit mehr als 5.000 Arbeitnehmer*innen und mehr als € 1,5 Milliarden Nettoumsatz vor (statt bislang Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiter*innen und mehr als € 500 Millionen Nettoumsatz). Bis auf wenige Fälle sollten sich die Sorgfaltspflichten von Unternehmen außerdem nicht mehr auf die gesamte Lieferkette, sondern nur auf das Verhalten ihrer unmittelbaren Vertragspartner oder Tochterunternehmen beschränken. Die von vielen Befürworter*innen als zentraler Bestandteil der CSDDD betrachtete einheitliche zivilrechtliche Haftung für Unternehmen soll aus dem Gesetz verschwinden.

Im EU-Parlament stieß die weitgehende Aushöhlung der CSDDD überwiegend auf Anklang: Nicht nur wurde der Omnibus I-Verordnungsvorschlag der Kommission inhaltlich in weiten Teilen unverändert übernommen. Es wurden noch weitere Pflichten für Unternehmen entfernt, etwa die Pflicht zur Annahme von Übergangsplänen für die Minderung von Klimaschäden.

So endet die Geschichte der CSDDD eigentlich, bevor sie angefangen hat. Ohne einheitliche zivilrechtliche Haftung für Menschenrechtsverstöße von Unternehmen und mit Sorgfaltspflichten, die nur direkte Vertragsbeziehungen großer Unternehmen umfassen, wird das Gesetz zum zahnlosen Papiertiger. Zudem wurde die Anwendung noch einmal nach hinten verschoben. Erst ab 2029 müssen Unternehmen das Gesetz überhaupt anwenden.

Weitere Omnibusse

Neben dem Lieferkettengesetz wurden mit Omnibus I auch die Richtlinie über Nachhaltigkeitsberichterstattung und die Taxonomie-Verordnung beschränkt – oder im euphemistischen Jargon der Kommission ‚vereinfacht‘. Doch das ist erst der Anfang.

Der Omnibus II-Verordnungsvorschlag betrifft Investitionen und baut vor allem Berichtspflichten für Unternehmen, die InvestEU-Gelder erhalten, ab. Der Omnibus III-Vorschlag betrifft den Landwirtschaftssektor. Omnibus IV betrifft die Regeln des Binnenmarktes. Der Vorschlag umfasst verschiedenste Deregulierungen, von der Ausnahme vieler Unternehmen von der Registrierungspflicht für den Import von klimaschädlichen fluorierten Gasen bis zur Verschiebung der Anwendung der Batterieverordnung. Omnibus V umfasst die Verteidigung der Union und dient primär der Erleichterung von Investitionen in den Militärsektor. Omnibus VI beschäftigt sich mit der sensiblen Materie des Gesundheitsschutzes gegenüber Chemikalien, Omnibus VII mit Regeln des digitalen Raums und Datenschutz und Omnibus VIII mit Umweltgesetzgebung. Die Liste der Rechtsgebiete, die ‚vereinfacht‘ werden sollen, wächst stetig an. Omnibus VIII wurde erst im Dezember 2025 vorgeschlagen. Weitere Omnibus-Vorschläge sind für 2026 zu erwarten.

Rechtliche Bedenken

Sogenannte Omnibus-Vorschläge der Kommission gab es vereinzelt auch in der Vergangenheit. Der Gedanke dahinter war, formelle Bereinigungen gleich mehrerer Rechtsakte mit einem einzigen Rechtsakt zu erledigen. Die 2025 vorgestellten Omnibus-Vorschläge gehen über formelle Bereinigung jedoch weit hinaus und haben, wie gezeigt, inhaltlich bedeutende Auswirkungen. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die CSDDD, sondern kann auch für andere Omnibusse gezeigt werden, etwas im Hinblick auf die Auswirkungen von Omnibus VII auf die Datenschutzgrundverordnung.

Deregulierung, also die Abänderung oder Abschaffung bestehenden Rechts, ist per se erlaubt. Allerdings gibt es von Jurist*innen Zweifel daran, ob die im Eiltempo und ohne Impact Assessments durchgepeitschte Omnibus-Gesetzgebung mit dem in den EU-Verträgen festgelegten Grundsatz der Proportionalität (Artikel 5(4) EUV) vereinbar ist. Zudem wird bezweifelt, ob sie den Prinzipien der evidenzbasierten, partizipativen Gesetzgebung (Artikel 11 EUV und Artikel 296 AEUV) entspricht. Schließlich geht es hier offensichtlich nicht um Verwaltungsvereinfachung. Letztere würde die Umsetzung für Unternehmen erleichtern (z.B. im Bereich von Berichtspflichten, Fristenläufen o.ä.m.), an der inhaltlichen Substanz einer Regelung aber keine Änderungen vornehmen.

Wem dient die Deregulierung?

Wie eine Analyse des Omnibus VII zur Digitalisierung von Professorin Hannah Ruschemeier festhielt, ist neben zahlreichen rechtlichen Bedenken, auch der Zweck von Deregulierung in Frage zu stellen: ‚Deregulierung favorisiert diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten und bestraft diejenigen, die es tun.‘ Deregulierung normiert, dass Unternehmen sich nicht an Regeln halten müssen, indem diese inhaltlich ausgehöhlt, ihr Anwendungsbereich verkleinert oder ihre Anwendung zeitlich verschoben wird. Konkrete Berechnungen, wer für die externalisierten Kosten, die sich durch die Deregulierung ergeben, aufkommen soll, gibt es nicht. Doch klar ist, dass es zu diesen Kosten kommen wird.

Während die dadurch ausgehebelten Gesetze auf Impact Assessments und auf Konsultationen mit Stakeholdern basieren, trifft ebendies nicht auf die Omnibus-Pakete der Kommission zu. Diese wurden im Eilverfahren und ohne Wirkungsabschätzung erlassen. Dass die Omnibus-Initiative den europäischen Wirtschaftsstandort attraktiver macht und Deindustrialisierung entgegenwirkt, wird zwar behauptet, kann aber derzeit nicht fundiert beurteilt werden.

Die Kommission betont in der Kommunikation zum Omnibus-Paket, dass es ihr vor allem darum geht, klein- und mittelständische Unternehmen (KMUs) von Kosten zu entlasten. Vor dem Hintergrund dieser Argumentation ist es bemerkenswert, dass viele der Omnibus-Erleichterungen primär großen Unternehmen zugutekommen.

Die Kommission geht davon aus, durch die Omnibus-Maßnahmen den administrativen Aufwand von Unternehmen um 25 %, konkret 37,5 Milliarden € oder 0,2% des EU BIP senken. Angesichts des laut Draghi-Bericht benötigten Investitionsvolumen von € 800 Milliarden pro Jahr, darf bezweifelt werden, ob die Omnibus-Initiative der Gamechanger zur Erhöhung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit werden wird.

Fazit: Der Zweck heiligt nicht die Mittel

Die im Letta-Bericht und in noch stärkerem Ausmaß im Draghi-Bericht aufgeworfenen Probleme rund um Europas mangelnde Wettbewerbsfähigkeit sind ernst zu nehmen und bedürfen politischer Maßnahmen.

Das Durchpeitschen von Eilgesetzen, die nicht den europäischen Standards der Gesetzgebung entsprechen, und letztlich Großunternehmen mehr dienen als den in den Maßnahmen kolportierten KMUs, ist allerdings kontraproduktiv. Etikettierungen wie ‚Vereinfachung‘ und ‚Rechtsbereinigung‘ dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier Gesetze inhaltlich aufgeweicht werden, die nicht nur Kosten für Unternehmen verursachen, sondern auch einen gesellschaftlichen Nutzen haben. Werden solche Gesetze abgeschwächt ohne eine informierte Kosten-Nutzen-Bilanz zu ziehen, haben wir neben einem Manko an Wettbewerbsfähigkeit auch ein Demokratiedefizit in Europa zu beklagen.

Mag.iur. Simela Papatheophilou, MSc ist Junior Resercher an der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE)

> Mehr zu Simela Papatheophilou