Aktueller Kommentar November 2025

Rollback auch bei der Klimakonferenz: Vom Scheitern des Dekarbonisierungsstaates

Portrait von Ulrich Brand

Der aktuelle Backlash zeigt, dass Klimapolitik nur gelingen kann, wenn auch staatliche Strukturen grundlegend verändert werden.

Von Ulrich Brand, November 2025

Die dreißigste Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention im brasilianischen Belém ist vor kurzem zu Ende gegangen. Die Ergebnisse sind enttäuschend, auch wenn die Erwartungen an das Treffen ohnehin gering waren. Denn wir erleben aktuell einen dramatischen klimapolitischen Backlash. Deutlichster Ausdruck ist die Politik von US-Präsident Donald Trump nach dem Motto „Drill, Baby, drill!“. Darin liegt durchaus ein rationaler Kern der Trump´schen Politik, die oft so volatil und unberechenbar wirkt: Er will eine fossile Weltwirtschaft politisch absichern gegen die Bemühungen zur Dekarbonisierung in anderen Ländern, insbesondere in China.

Auch die Bemühungen in Europa, etwa im Rahmen des European Green Deal von 2019, geraten unter Druck. Die fossilen Kräfte, besonders deutlich im Automobilsektor, drängen auf ein Aus oder zumindest eine Verlangsamung des sozial-ökologischen Umbaus. Und Beschäftigte haben Angst um Arbeitsplätze, solange es keine überzeugenden Alternativen gibt.

Selbst wenn in Umfragen Klimapolitik weiterhin auf Zustimmung stößt. Sie soll halt nicht wehtun. Viele Menschen wollen die gewohnte „imperiale Lebensweise“ erhalten, also den Zugriff auf billige Natur und Arbeitskraft, die im Handy und im Auto, in vielen Kleidungsstücken und im industriell gefertigten Essen stecken.

Die Erfahrungen der letzten Regierungen in Österreich und Deutschland lehren allerdings, dass die konkreten Maßnahmen zur ökologischen Modernisierung des Kapitalismus auch deshalb von vielen Menschen skeptisch gesehen werden, weil das Projekt macht- und sozialpolitisch unglaubwürdig geblieben ist. Anstatt die Vermögenden, deren CO2-Fussabdruck um ein Vielfaches größer ist als jener der durchschnittlichen Bevölkerung, für den Umbau stärker an die Steuerkasse zu bitten und dabei auch Konflikte auszufechten, knickte die Politik ein. Folglich kamen Klimaschutzmaßnahmen bei vielen Menschen als Form der „ökologischen Austerität“ an.

Und dennoch: In den letzten zehn Jahren hat sich auf der Ebene der klimapolitischen Ziele und Strategien etwas herausgebildet, was ich zusammen mit sieben Mitautor*innen in einem jüngst erschienenen Artikel in der Zeitschrift Nature Climate Change als „Dekarbonisierungsstaat“ bezeichnet habe. Um die Klimaziele zu erreichen, will der Staat verstärkt in die Wirtschaft und in die Lebenswelt der Menschen eingreifen, indem etwa die Nutzung fossiler Energieträger bei der Wärme- und Stromerzeugung ausläuft oder die Ernährung auf pflanzliche Proteine umgestellt wird.

Doch bislang scheitert der Dekarbonisierungsstaat. Und das liegt nicht nur an den mächtigen fossilen Interessen, sondern auch an den Existenzbedingungen des liberal-kapitalistischen Staates selbst. Das zentrale Dilemma bleibt: Staatliche Politik ist eng mit der fossilen Produktions- und Lebensweise verbunden. Heute ist deswegen ein Umbau zum „Transformationsstaat“ notwendig, der darauf abzielt, die Nutzung fossiler Rohstoffe und den gesamten Material- und Energiefluss der Gesellschaften drastisch zu reduzieren.

Dazu wären politische Maßnahmen notwendig, die nicht nur auf fossilen Rohstoffen basierende Technologien und die entsprechenden Infrastrukturen ersetzen, sondern die bestehenden Material- und Energieflüsse drastisch reduzieren. Ja mehr noch, zentrale Staatsfunktionen wie die Ermöglichung von Wirtschaftswachstum müssten im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation verändert werden – hin zu dem, was die Autor*innengruppe des genannten Artikels als „postfossilen gesellschaftlichen Wohlstand“ bezeichnet. Eine solche Veränderung geht einher mit der Herausforderung, wie gesellschaftliche Grenzen innerhalb planetarer Grenzen gesetzt und eingehalten werden können. Damit stellen sich knallharte macht- und interessenspolitische Fragen, etwa beim notwendigen Rückbau wichtiger fossiler Wirtschaftsbranchen wie der Autoindustrie oder der industriellen Landwirtschaft, bei der Demokratisierung von Investitionsentscheidungen, oder bei der sozial-ökologischen Ausrichtung von internationalen Lieferketten.

Dementsprechend muss die Macht der etablierten Industrien eingegrenzt werden, was zwangsläufig mit dem Eingriff in Eigentumsverhältnisse einhergehen würde. Wohlstand muss unabhängig vom Zwang des Wirtschaftswachstums gesichert werden. Das sind große Aufgaben, weil keineswegs sicher ist, ob der liberal-kapitalistische Staat ohne fossile Energiequellen weiterexistieren kann. Und die vielen Vorschläge unter Stichworten wie Kreislaufwirtschaft, Suffizienz, Postwachstum, Klimagerechtigkeit, Vergesellschaftung oder sozial-ökologische Infrastrukturen generieren bislang noch keine breit akzeptierte gesellschaftliche Vision.

Zentral ist dabei die Veränderung der Produktionsweise und hier spielt der Staat eine wichtige Rolle. Aber eben eine andere als bisher, und dazu bedarf es einer grundlegenden Neuausrichtung der Politik – und einiges an politischem Mut.

Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien und Vorsitzender des Aufsichtsrates der ÖFSE. Gemeinsam mit Markus Wissen veröffentlichte er das Buch „Kapitalismus am Limit. Öko-imperiale Spannungen, umkämpfte Krisenpolitik und solidarische Perspektiven (München: oekom), das gerade in englischer Übersetzung bei Polity Press erschienen ist.