Aktueller Kommentar September 2025

SDG 8.7: Weit entfernt von einer Welt ohne Kinderarbeit

Trotz leichter Rückgänge arbeiten noch immer Millionen Kinder. Um Kinderarbeit bis 2030 zu beenden, braucht es konsequente Schritte - auch von Österreich.

Von Simela Papatheophilou (ÖFSE), Bernhard Tröster (ÖFSE), Olivier De Schutter (UN Special Rapporteur on extreme poverty and human rights)

Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen definiert 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) – darunter auch Ziele die noch vor 2030 erfüllt sein sollten. Dazu zählt das SDG 8.7, unter dem jeder Form von Kinderarbeit bis 2025 durch wirksame Maßnahmen ein Ende gesetzt werden soll.  Doch die neuesten Zahlen zu globaler Kinderarbeit zeigen, wie weit wir noch von diesem Ziel entfernt sind: Rund 137,6 Millionen Kinder weltweit sind noch in Kinderarbeit, also beschäftigt in einem Ausmaß, einer Form oder Intensität, die gefährlich oder ausbeuterisch ist und damit schlecht für ihre Entwicklung oder Bildung.

Dass SDG 8.7. verfehlt wird, ist schon länger klar, denn obwohl der Trend bei Kinderarbeit nach unten geht (von ca. 16 % betroffener Kinder im Jahr 2000 zu 7,8 % betroffenen Kindern heute), ist das Tempo viel zu langsam: Um bis 2030 kinderarbeitsfrei zu sein, müsste der Rückgang von Kinderarbeit elfmal schneller vonstattengehen.

Kinderarbeit ist ein komplexes Problem, das unterschiedliche Gruppen von Kindern unterschiedlich betrifft. So arbeiten von zehn Kindern weltweit etwa sechs in der Landwirtschaft, drei in der Erbringung von Dienstleistungen und eines in der Industrie. Mädchen machen eher Tätigkeiten im Haushalt, Jungen eher außerhalb. Manche Kinder sind besonders gefährdet – etwa indigene, geflüchtete, verwaiste, oder behinderte Kinder, oder Kinder von Wanderarbeiter*innen.

Maßnahmen zur Abschaffung von Kinderarbeit haben folglich auch unterschiedliche Effekte auf die betroffenen Kinder. Auch in den verschiedenen Weltregionen kommt es zu massiven Unterschieden: So konnte etwa Asien in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte in der Verhinderung von Kinderarbeit verzeichnen, währen insbesondere in Sub-Sahara Afrika das Ausmaß der Kinderarbeit kaum zurückgegangen ist. Dass es innerhalb der Kontinente, und selbst innerhalb von Ländern oft große regionale Unterschiede gibt, zeigt, wie komplex das Thema bei genauerem Hinschauen ist.

Verboten heißt nicht verschwunden

Dass das Ziel der Abschaffung von Kinderarbeit nicht erreicht wurde, liegt nicht an mangelndem globalem Verständnis. Internationale Konventionen zu diesem Thema – insbesondere das ILO Mindestalter-Übereinkommen von 1973 und das ILO-Übereinkommen zu den schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999 sind bereits von fast allen Staaten der Welt ratifiziert. Weltweit verbieten Staaten also Kinderarbeit. Doch Expert*innen sind sich einig: Verbote alleine reichen nicht. Denn sie können weder die Armut, wirtschaftliche Schocks und Einkommensunsicherheiten als Gründe für Kinderarbeit beseitigen, noch Alternativen wie qualitativ hochwertige Bildung ersetzen.

Was hilft gegen Kinderarbeit?

Kinderarbeit lässt sich nur bekämpfen, wenn ihre Ursachen angegangen werden. Dazu gehören flächendeckende soziale Absicherung, die Durchsetzung von Arbeitnehmer*innenrechten und existenzsichernde Löhne. Gleichzeitig braucht es Alternativen wie kostenlose, qualitativ hochwertige Schulbildung ohne „versteckte Kosten“ und verlässliche Kinderbetreuung. Das kann nur im Zusammenspiel verschiedener Akteur*innen gelingen, wie wir in einer aktuellen Studie zeigen.

Während multilaterale Zusammenarbeit, insbesondere in Organisationen wie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), UNICEF oder UNESCO, unerlässlich ist, um etwas an globalen und regionalen Politiken zu verändern, wirkt sich bilaterale Zusammenarbeit direkter in betroffenen Ländern aus. Lokale Kooperation, unter Einbezug zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, Gewerkschaften, Unternehmen, Politik, und Verwaltung. Auch Kinder selbst fordern richtigerweise, in Maßnahmen gegen Kinderarbeit einbezogen zu werden. Ihnen ist es beispielsweise ein Anliegen, darauf aufmerksam zu machen, dass sie gewalt- und diskriminierungsfreie Schulen in ihrer Umgebung brauchen. 

Ohne Finanzierung sind Maßnahmen nicht umsetzbar

Doch für wirksame Maßnahmen, egal auf welcher Ebene, braucht es finanzielle Mittel – und genau das fehlt in den am stärksten von Kinderarbeit betroffenen Ländern. 3,3 Milliarden Menschen leben in Staaten, die mehr Geld für die Bezahlung von Zinsen für Schulden ausgeben als für die Ausbildung oder Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Um in soziale Absicherung zu investieren, fehlen manchen Staaten schlichtweg die Steuereinnahmen. Dass es weltweit zu massiven Kürzungen von Geldern für Entwicklungszusammenarbeit kommt, verschärft diese Situation weiter.

Nach Ankündigungen unter anderem der USA, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs, der Schweiz, und Österreich, Gelder für internationale Hilfen zu kürzen, schlugen viele internationale Organisationen, die sich gegen Kinderarbeit einsetzen, Alarm. UNICEF und UNSECO etwa kündigten massive Budgetkürzungen an, während die ILO erklärte, einen von zehn Arbeitsverträgen kündigen zu müssen.

Konsumanreize richtig setzen

Staaten, in denen die Endkonsument*innen global erzeugter Güter leben, wie etwa Österreich, haben hier eine besondere Verantwortung: Das globale Wirtschaftssystem setzt für Länder mit niedrigen Einkommen einen fatalen Anreiz. Wer am billigsten durch niedrige Löhne, Ausbeutung von Arbeitnehmer*innen und unter Missachtung von Menschenrechten produzieren kann, dessen Produkte werden billiger angeboten und gekauft. Der Einsatz von Kinderarbeit ist hier einerseits für sich ein Symptom, andererseits eine Auswirkung der wirtschaftlichen Ausbeutung Erwachsener, denn es sind besonders Eltern, die ihre Familie nicht vom eigenen Einkommen ernähren können, die auf Kinderarbeit zurückgreifen.

Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Absicherung kranker, verunglückter oder pensionierter Arbeitnehmer*innen, und faire Preise werden in diesem System nicht belohnt, sondern machen Wirtschaftstreibende weniger wettbewerbsfähig. Wenn Unternehmen trotz dieser Anreize fair produzieren wollen, so sind etwa durch Fairtrade zertifizierte Produkte, teurer. Wer sich also an Menschenrechte hält, ist im Wettbewerbsnachteil.

Lieferkettengesetze, durch die transnational agierende Unternehmen verpflichtet werden, auch bei ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten in anderen Ländern, die Menschenrechte einzuhalten, könnten hier Abhilfe schaffen. Doch kaum wurde nach jahrelangen Verhandlungen endlich ein EU-Lieferkettengesetz beschlossen, soll dieses  mit den Argumenten „Deregulierung“ und „Entbürokratisierung“ wieder abgeschwächt werden. Die Chance, die falschen Konsumanreize und den unfairen Wettbewerb durch Gesetze zurückzudrängen, wird nicht als solche begriffen und droht daher ungenutzt zu bleiben.

Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten, mit Ländern zu kooperieren, und ihnen Anreize – wie einen erleichterten Zugang zu europäischen Märkten – für die Einhaltung der Menschenrechte zu gewähren. Ein konkretes Beispiel wäre die steuerliche Vergünstigung von fair produzierten Produkten, sodass Konsument*innen sich die Wahl dieser Güter besser leisten können.

Wie weiter gegen Kinderarbeit?

Die Zahlen zeigen, dass es globale Fortschritte in der  Bekämpfung der Kinderarbeit gibt, aber es viel mehr Momentum braucht, um diese voranzutreiben. Dies erfordert weiterhin finanzielle Mittel zur multilateralen und bilateralen Kooperation, insbesondere in Zeiten, in denen sich wichtige Kooperationspartner, wie die USA, zurückziehen. Daneben muss man neue und verbindliche Wege u.a. mit mehr Konzernverantwortung gehen, um Menschenrechte in Zeiten, in denen unser Wirtschaftssystem global vernetzt ist, auch global durchzusetzen.

Die österreichische Regierung muss also ihre Maßnahmen besser koordinieren, wirksame Instrumente stärken und Konzernverantwortung sowie Konsumanreize ernst nehmen, um einen Beitrag zum Ziel der (verspäteten) Beendigung von Kinderarbeit zu leisten.“