Aktueller Kommentar Jänner 2020

Die Rolle der Entwicklungspolitik im Regierungsprogramm 2020-2024: eine erste Einschätzung


Das türkis-grüne Regierungsprogramm 2020-2024 wird derzeit von allen Seiten analysiert und auf seine Realisierbarkeit abgeklopft. Aus einer globalen, entwicklungspolitischen Perspektive sind neben dem zentralen Schwerpunkt Umwelt und Klima und dem klaren Bekenntnis zur Entwicklungszusammenarbeit und zur Humanitären Hilfe vor allem die Verknüpfungen vieler Politikbereiche zu gesamtstaatlichen Strategien hervorzuheben. Obwohl sich die Bundesregierung zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt bekennt, sollen Klima- und Zukunftsinvestitionen sichergestellt werden. Das bis März 2020 zu erstellende Bundesbudget 2020 wird zeigen, ob die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) von der neuen Regierung als eine solche Zukunftsinvestition gesehen wird.

Von Michael Obrovsky (ÖFSE), Jänner 2020

Entwicklungszusammenarbeit, Humanitäre Hilfe sowie entwicklungspolitische Bildung

Diese Themen werden im Regierungsprogramm im Kapitel „Österreich in Europa und der Welt“ als Instrumente der Entwicklungspolitik beschrieben, die zur Schaffung von Lebensperspektiven von Menschen beitragen. Das Programm enthält ein klares Bekenntnis zur stärkeren Hilfe vor Ort, wobei die humanitäre Hilfe (Auslandskatastrophenfonds – AKF) substanziell aufgestockt werden soll. Neben den multilateralen sollen vor allem die bilateralen Mittel im Bereich der EZA „ausgeweitet“ werden. Die schrittweise Erhöhung der „Entwicklungsgelder“ Richtung 0,7% des BNP ist zwar festgeschrieben, auf einen konkreten Stufenplan konnte sich die Regierung jedoch nicht einigen. Offen bleibt auch, was unter „Entwicklungsgelder“ gemeint ist.

Das Bekenntnis zur Aufwertung und zur ausreichenden Finanzierung der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit folgt der Notwendigkeit, die 2030 Agenda sowie globale Zusammenhänge verständlich zu kommunizieren. Die fünf Grundprinzipien der 2030 Agenda (Universalität, niemanden zurücklassen, Vernetzten und Unteilbarkeit sowie gleichberechtigte Teilhabe und Multiakteurpartnerschaften) werden als Prinzipien der österreichischen EZA im Regierungsprogramm verankert.

Wichtig: klare Strategien, Ziele und interministerielle Koordination für eine kohärente, gesamtstaatliche Entwicklungspolitik

Für die Humanitäre Hilfe Österreichs soll auch eine Strategie mit Zielen und Zuständigkeiten formuliert werden. Interessant ist, dass im Regierungsprogramm festgeschrieben wurde, dass das Dreijahresprogramm der ADA (sic!) zu „einer Gesamtstrategie für eine kohärente, gesamtstaatliche und treffsichere Entwicklungspolitik“ weiterentwickelt werden soll. Darin enthalten sollen auch Ziele und Zuständigkeiten sein und es soll mit Hilfe einer wirkungsvollen interministeriellen Koordinierung sichergestellt werden, „dass die Maßnahmen in der Wirtschafts-, Handels-, Finanz-, Landwirtschafts-, Migrations-, Sozial-, Klima- und Umweltpolitik die Erreichung der entwicklungspolitischen Ziele fördern“. Ein Bekenntnis zu einer kohärenten, gesamtstaatlichen Politik – im Sinne der 2030 Agenda – im Regierungsprogramm ist zu begrüßen, es braucht darüber hinaus aber auch eine möglichst hochrangige politische Ebene, auf der Interessenskonflikte nicht nur gesammelt, sondern auch diskutiert und politisch entschieden werden. Das Konzept „Policy Coherence for Sustainable Development (PCSD)“ braucht vor allem eine faktenbasierte Folgenabschätzung der verschiedenen Politikbereiche auf die globale nachhaltige Entwicklung, um Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Politikbereichen und der Entwicklungspolitik überhaupt sichtbar zu machen. Hier wäre eine Konkretisierung der horizontalen Maßnahmen bzw. der „Ebenen-übergreifenden Governance“ – wie dies beispielsweise im Kapitel 3 Klimaschutz, Infrastruktur, Umwelt & Landwirtschaft geschehen ist – hilfreich, da interministerielle Koordinierung hier zu kurz greift.

Im Kapitel ‚Österreich in Europa und der Welt‘ findet sich im Unterkapitel Außenpolitik auch die Ausarbeitung einer gesamtstaatlichen Länderstrategie zu China sowie die Erarbeitung einer gesamtstaatlichen Afrikastrategie. Im Unterkapitel Außenpolitik wird auch bei der Präsentation des ersten Freiwilligen Berichts zur Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele SDGs die „Stärkung einer zielgerichteten Koordinierung der Umsetzung der UN Agenda 2030 (etwa durch eine Steuerungsgruppe in der Regierung) unter systematischer Einbindung von Stakeholdern, insbesondere der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und des Privatsektors“ angesprochen. Gesamtstaatliche Politiken oder Strategien müssen daher von hochrangigen PolitikerInnen (Bundeskanzler, Vizekanzler) mitgetragen und entschieden werden, damit sie auch von allen Regierungsmitgliedern umgesetzt werden. Für eine kohärente, gesamtstaatliche Entwicklungspolitik fehlen im Regierungsprogramm allerdings Hinweise auf die Mechanismen konkreter politikübergreifender Steuerungsinstrumente.

Thematische Schwerpunkte der EZA

Für das nächste EZA-Dreijahresprogramm sind im Regierungsprogramm die Schwerpunkte Stärkung der Frauen auf allen Ebenen, Berufsbildung für Klimaschutzmaßnahmen/Erneuerbare Energie, Stärkung der wirtschaftlichen Kooperation, die Unterstützung der Zivilgesellschaft vor Ort sowie die Unterstützung staatlicher Programme zur Demokratisierung, zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit, der Armutsbekämpfung und für den Kampf gegen Korruption vorgesehen. Auch Migration ist nach wie vor ein Schwerpunkt, wobei zusätzliche oder freiwerdende EZA-Mittel in Herkunfts- und Transitländern von MigrantInnen eingesetzt werden sollen. Im Kapitel Migration und Asyl finden sich Querverweise zur EZA und zur Notwendigkeit vor Ort Lebensperspektiven zu schaffen, um Migrationsursachen zu reduzieren. Die Vergabe von EZA-Mitteln wird erstmals an Fortschritte bei der Erreichung gemeinsamer Ziele mit den Partnerländern und an internationale Standards (Verbot von Kinderarbeit, Arbeitsrechte u.a.) geknüpft.
Ein Bekenntnis zu einer fundierten Evaluierung der Wirksamkeit von EZA-Maßnahmen soll eine zielgerichtete, wirksame Vergabe von Fördermittel sicherstellen.

Querverweise zu anderen Politikbereichen

Die „Schaffung von Anreizen für (österreichische) Firmen für Investitionen in relevanten Drittstaaten bzw. die Unterstützung von privaten Fonds für die Unterstützung und Absicherung von SDG- oder KMU-Finanzierungen in weniger wirtschaftlich entwickelten Ländern, die Stärkung des Eigenkapitalinstruments der österreichischen Entwicklungsbank, die Schaffung eines europaweiten Fonds zur Erhaltung des Regenwaldes und die signifikante Erhöhung des österreichischen Beitrages zum Green Climate Fonds“ sind wichtige Vorhaben im Kontext der globalen nachhaltigen Entwicklung. Diese im Abschnitt Entwicklungszusammenarbeit angeführten Maßnahmen können aber nur gemeinsam mit dem BM für Finanzen und mit anderen Ministerien angegangen werden.

Auch der Punkt „Aufbau von Partnerschaftsprojekten in Zusammenarbeit mit Ländern und Gemeinden in Krisenregionen u.a. in Zusammenarbeit mit der ADA“ braucht zusätzliche Finanzierungen.

Die angeführten „Ausbildungspartnerschaften mit der Wirtschaft und Bildungsinstitutionen in Österreich und vor Ort“ sind gemeinsam mit der Wirtschaft umzusetzen.

Sowohl der Punkt Setzung internationaler Initiativen im Kampf gegen die Klimakrise als auch die Österreichische Initiative in der EU für einen EU-Zukunftspakt mit Afrika sind Aktivitäten, die gemeinsam mit anderen Ministerien im Rahmen der österreichischen EU-Politik bzw. im Rahmen von UN-Aktivitäten gesetzt werden können.

Die im Kapitel Kunst & Kultur vorgesehene jährliche Valorisierung der Kunst- und Kulturförderungen (u.a. der Personalkosten) sollte auch für Förderungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit umgesetzt werden, um eine kontinuierliche Arbeit zu gewährleisten. Dies ist umso wichtiger, als Valorisierungen seit vielen Jahren vor allem im Bereich der entwicklungspolitischen Inlands- und Bildungsarbeit unterblieben sind.

Entwicklungszusammenarbeit als Zukunftsinvestition

Die Bundesregierung bekennt sich zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt. Sie will aber gleichzeitig Klima- und Zukunftsinvestitionen sicherstellen. Das ambitionierte Regierungsprogramm, das zentral die Bekämpfung des Klimawandels und die Einhaltung der Klimaziele von Paris verfolgt, betont auch – ganz im Sinne der Agenda 2030 – eine kohärente gesamtstaatliche Entwicklungspolitik als Teil einer globalen nachhaltigen Entwicklung. Entwicklungszusammenarbeit ist daher eine wichtige Zukunftsinvestition. In der Präambel zum Regierungsprogramm wird auch betont, „dass es in allen politischen Feldern neue Wege braucht“. Die konkrete Umsetzung der im Regierungsprogramm angekündigten Vorhaben sowie die schrittweise Anhebung der Budgets für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit sowie für den Green Climate Fonds wird daher einerseits von der konkreten Budgetplanung abhängen, andererseits aber auch von der Bereitschaft gesamtstaatliche Politiken und Strategien auf die globalen nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) auszurichten. Das bis März zu erstellende Bundesbudget 2020 wird ein erster Gradmesser sein, wie ernst es die neue Regierung mit der Umsetzung ihrer Ziele meint. Nicht umsonst heißt es: the proof of the pudding is in the eating.

Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
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