Aktueller Kommentar Juni 2020

It’s about Europe’s future, stupid!

„Wie Europa – im Vergleich zu anderen Regierungen der Welt – die Folgen der COVID-19 Pandemie bewältigt, wird über den Wohlstand der europäischen Bürgerinnen und Bürger entscheiden und über die zukünftige Rolle Europas in der Welt“, stellte Angela Merkel im Deutschen Bundestag am 18. Juni 2020 fest. Das setzt allerdings nicht nur den Willen der Mitgliedsstaaten zu einer gemeinsamen Krisenpolitik innerhalb der EU voraus, sondern wird nur gelingen, wenn die EU-Mitgliedsstaaten eine gemeinsame internationale Politik für die Post-COVID-19 Ära entwickeln. Solange das nicht passiert, bleibt die Zukunft Europas und ihre Rolle in der Welt nach der COVID-19 Krise weiter ungewiss.

Von Michael Obrovsky (ÖFSE), Juni 2020

Der Aufbauplan der EU

Die EU-Kommission hat auf die Auswirkungen der COVID-19 Krise auf die europäische Wirtschaft und die Gesellschaft mit dem Europäischen Aufbauplan rasch reagiert und einerseits ein Aufbauinstrument „NextGenerationEU“ mit einem Finanzvolumen von 750 Mrd. Euro zur Stärkung des EU-Haushaltes 2021-2024 entwickelt und anderseits eine Erhöhung des langfristigen Haushaltes (MFF – Multiannual Financial Framework) von 2021-2027 auf 1.100 Mrd. Euro vorgeschlagen. Bereits im April wurde von den Finanzministern ein Paket zur Unterstützung von ArbeitnehmerInnen und Unternehmen in der Höhe von insgesamt 540 Mrd. Euro beschlossen, das aus einem Paket zur Unterstützung der Kurzarbeit in den Mitgliedsländern (SURE), einem Garantiefonds der EIB zur Absicherung von Unternehmen und Kreditlinien des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als Pandemie-Krisenhilfe besteht. Die Verknüpfung des Aufbauinstruments mit dem erweiterten MFF folgt auch der EU-Strategie, dass die bereitgestellten Mittel die grundlegende Arbeit in den Mitgliedsländern verstärken und ergänzen sollen. Der Aufbauplan soll helfen, die durch die Pandemie entstandenen Schäden zu beheben, Aufschwung und Beschäftigung anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schützen.

Tabelle Übersicht NextGenerationEU

Die Kommission unterstützt mit diesem Plan nicht nur den Wiederaufbau, sondern forciert vor allem Investitionen in jene Bereiche, die im Zentrum des Arbeitsprogramms der Kommission stehen. „Der Europäische Grüne Deal und die Digitalisierung werden Beschäftigung und Wachstum ankurbeln und die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaften sowie die Gesundheit unserer Umwelt fördern.“, so lautet das Credo der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Die Investitionen in ein grünes, digitales widerstandsfähiges Europa verfolgen drei Stoßrichtungen:

Grafik drei Säulen NextGenerationEU

Für die Unterstützung der Mitgliedsstaaten schlägt die EU-Kommission in den ersten beiden Säulen eine Reihe von Instrumenten vor, die die Anstrengungen der Mitgliedsstaaten bei der Krisenbewältigung unterstützen sollen. Bei der dritten Säule geht es neben einem neuen Programm zur Verbesserung der Gesundheitssicherung und zur Vorbereitung auf künftige Gesundheitskrisen auch um eine Stärkung des Katastrophenschutzverfahrens der Union. Dafür wird auch das Programm Horizont Europa aufgestockt, um die Forschung in den Bereichen Gesundheit, Resilienz sowie umweltgerechter und digitaler Wandel zu finanzieren.

Die Kommission betont, dass sich die EU langfristig nur dann erfolgreich erholen wird können, wenn sich auch unsere Partner weltweit erholen. Investitionen in einen nachhaltigen, weltweiten Wiederaufbau liegen daher im Interesse der EU.

Im Rahmen des Bereichs „Auswärtiges Handeln“ schlägt die Kommission eine Steigerung um 15,5 Mrd. Euro unter anderem für Humanitäre Hilfe (+5 Mrd. Euro) und für das Instrument Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI) (+10,5 Mrd. Euro) vor. Das Instrument NDICI soll über eine „Garantie für Auswärtiges Handeln“ insgesamt (2021 und 2027) mit 86 Mrd. Euro ausgestattet werden. Das Instrument der Humanitären Hilfe soll insgesamt mit fast 15 Mrd. Euro dotiert werden.

Der gemeinsame Haushalt 2021-2027 (MFF – Multiannual Financial Framework)

Neben dem kreditfinanzierten Aufbauinstrument hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Mai auch die Aufstockung des gemeinsamen Haushaltes 2021-2027 auf 1.100 Mrd. Euro vorgeschlagen. Die COVID-19 Krise hat die Diskussionen über den zukünftigen gemeinsamen EU Haushalt 2021-2027 überlagert. Die Verknüpfung des MFF mit dem Wiederaufbauplan hat der Diskussion allerdings eine andere Dynamik verliehen, da es nun nicht mehr nur um Haushaltsobergrenzen oder um die Prozentsätze des BNE der jeweiligen nationalen Beiträge geht, sondern um Fragen der gemeinsamen Finanzierung des Wiederaufbaupaketes, für dessen Gelingen die Ausstattung des Haushaltes eine wesentliche Rolle spielt.

Das Budget für den Bereich des „auswärtigen Handelns“ ist mit 89,2 Mrd. Euro gleich wie im Vorschlag vom Jahr 2018. Die Steigerungen von 15,5 Mrd. Euro ergeben sich aus der zusätzlichen Finanzierung aus dem Programm „NextGenerationEU“. Bedingt durch die COVID-19 Pandemie werden nun weder die starken Veränderungen der Instrumente des Auswärtigen Handelns (insbesondere das Instrument NDICI) im Vergleich zum letzten MFF diskutiert, noch konnte die Zeit genutzt werden, um die Vor- oder Nachteile einer Integration des Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) in den EU-Haushalt zu erörtern. Die Neuordnung des Instruments NDICI (86 Mrd. Euro) in drei Säulen, nämlich (i) eine geografische Säule, (ii) eine thematische Säule und (iii) eine Säule Krisenreaktion, bringt zwar mehr Flexibilität, reduziert aber gleichzeitig auch die Planbarkeit. Angesichts der COVID-19 Pandemie rückt die thematische Säule mit ihren Schwerpunkten zu (i) Menschenrechten und Demokratie, (ii) Organisationen der Zivilgesellschaft, (iii) Stabilität und Frieden sowie (iv) globale Herausforderungen wie Gesundheit, Bildung, Stärkung der Rolle von Frauen und Kindern, Migration, Flucht und Vertreibung, inklusives Wachstum, menschenwürdige Arbeit, Sozialschutz und Ernährungssicherheit in den Mittelpunkt.

Angesichts der noch nicht absehbaren Auswirkungen der Pandemie im globalen Süden müssen sowohl die Instrumente als auch die Mittel im Bereich des „Auswärtigen Handelns“ noch angepasst werden, zumal beide – Instrumente und Budgetmittel – eine Pandemie im Ausmaß der COVID-19 Krise nicht berücksichtigen konnten.

Die EU-Unterstützung für die Partnerländer zur Bekämpfung der Pandemie greift zu kurz.

Bereits Anfang April hat die Kommission einen Plan vorgestellt, der die Partnerländer unterstützen soll, die COVID Pandemie zu bekämpfen. Die gemeinsame Aktion – unter dem Titel „Team Europe“ – konzentriert sich auf Maßnahmen, um die unmittelbaren Probleme im Gesundheitssystem sowie die Bedürfnisse im humanitären Bereich zu lindern. Weiters zielt der Plan auf eine Stärkung der Gesundheits-, Wasserversorgungs- und Sanitärsysteme der Partnerländer, um die Auswirkungen der Pandemie zu verringern. Mit diesem Programm fördert die EU eine koordinierte, multilaterale Antwort, gemeinsam mit der UN, den Internationalen Finanzinstitutionen der G7 und der G20 und richtet sich an Länder in Afrika, im West Balkan, in der Nachbarschaft der EU, dem Nahen Osten, Nord Afrika, Asien und dem Pazifik sowie Lateinamerika und der Karibik. Das gesamte Paket beträgt 15,6 Mrd. Euro, von dem 3,25 Mrd. Euro für Afrika bestimmt sind. Rund 3 Mrd. Euro sind für die Länder der Europäischen Nachbarschaftspolitik vorgesehen. Bei den Mitteln handelt es sich jedoch nicht um frisches Geld, sondern die 15,6 Mrd. Euro werden aus dem Budget für Auswärtiges Handeln umgeschichtet.

Angesichts der globalen Auswirkungen der COVID-19 Krise sind 15,6 Mrd. Euro kein „großer Wurf“, der den eigenen Ansprüchen und Zielsetzungen zur Bekämpfung einer Pandemie gerecht werden könnte. Eine Berücksichtigung der längerfristigen Implikationen von COVID-19 in der strategischen Politik- und Finanzplanung der EU ist noch nicht sichtbar und fehlt in der derzeitigen Diskussion.

Auch wenn die strategischen EU-Zielsetzungen Green Deal und Digitalisierung auch in den globalen Beziehungen berücksichtigt werden sollen, wird der Wohlstand in Europa und die Rolle Europas in der Welt davon abhängen, wie wir global die Folgen der COVID-19 Pandemie bewältigen können. Dazu wird es zusätzlich zu Hilfspaketen und Garantien eine entsprechende Anpassung der europäischen Strategien und Politiken brauchen. Die derzeitige Diskussion über die Finanzierung des Aufbauinstruments „NextGenerationEU“ und über den MFF berücksichtigt die globale Dimension der COVID- 19 Pandemie zu wenig und vernachlässigt die sich rasch verändernde geopolitische Dynamik.

Eine Entscheidung für die Zukunft

Um die Mittel und Instrumente Anfang 2022 bereitstellen zu können, bedarf es einer Entscheidung im europäischen Rat im Juli 2020. Beim Rat am 19. Juni 2020 konnten sich die RegierungschefInnen auf keinen Kompromiss einigen. Bis zum nächsten Treffen sind noch viele Details zu klären. Auch wenn die Zeit drängt, sollten nach der Entscheidung über einen europäischen Wiederaufbauplan und über den gemeinsamen Haushalt die Strategien, Politiken und Instrumente an die COVID-19 Anforderungen angepasst werden. Die Rolle Europas in der Welt steht auf dem Spiel.

Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
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