Aktueller Kommentar September 2019

Der „Kampf gegen den Klimawandel“ braucht eine andere Politik für nachhaltige, globale Entwicklung

Michael Obrovsky

Die Klimakrise war das Topthema des Nationalratswahlkampfs. Die wahlwerbenden Parteien sind allerdings über Ankündigungen nicht hinausgekommen. Für eine neue Regierung muss es darum gehen, die notwendige Verringerung des CO2 Ausstoßes in ein Gesamtkonzept einer sozial-ökologischen Transformation einzubetten. Dazu braucht es vor allem politisches Leadership und neue Koordinationsmechanismen.

Michael Obrovsky (ÖFSE), September 2019

Der Klimawandel
ist ein dringliches globales Thema, das zu Recht auch im österreichischen Wahlkampf eine zentrale Rolle spielt, zumal konkret Österreichs Beitrag und die zukünftige Politik der globalen nachhaltigen Entwicklung zur Diskussion steht. Beim UN-Klimagipfel in New York am 23. September 2019 hat Österreich keine Rolle gespielt. Österreich bekam nicht einmal 3 Minuten Redezeit, denn die war nur jenen VertreterInnen von Ländern vorbehalten, die konkrete Klimastrategien zur Treibhausgasreduktion vorlegen konnten. Daran konnte auch die Ankündigung des BM für Nachhaltigkeit und Tourismus (BMNT) vom 16. September 2019, sich in den nächsten Jahren mit 30 Mio Euro an der Wiederauffüllung des Green Climate Fund zu beteiligen, nichts ändern. Im Gegenteil: Damit wurde erst deutlich, dass Österreich – im Vergleich mit anderen europäischen Staaten – eher knausrig ist und seinen Zusagen nicht nachkommt.

Während der Klimawandel in der medialen Aufmerksamkeit das Thema Nummer 1 ist, bleiben die beiden anderen wichtigen Säulen der im Jahr 2015 auf UN-Ebene beschlossenen 2030-Agenda im Schatten des politischen und des medialen Wettbewerbs. Neben den Klimazielen wurden 2015 auch soziale Ziele verabschiedet, die – genau wie die Klimaziele – globale Veränderungen der Produktionsbedingungen und des Konsumverhaltens erfordern. Gerade in der Verknüpfung und der gemeinsamen Behandlung der Bereiche Ökologie, Ökonomie und soziale Entwicklung liegt der fundamentale Fortschritt der globalen Nachhaltigkeitsziele. Die UN-Resolution „Transforming our world: the 2030-Agenda for Sustainable Development“ fordert einen umfassenden gesellschaftlichen Veränderungsprozess, der als übergeordnetes Ziel globale, nachhaltige Entwicklung festgelegt hat.

Die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) …
Der mediale Hype um Greta Thunberg und die Bewegung „Fridays for Future“ bietet der Politik eine Bühne, um andere Zielgruppen anzusprechen und zu erreichen. Dabei bleibt aber das in der UN-Resolution festgehaltene übergeordnete Ziel der globalen, nachhaltigen Entwicklung auf der Strecke und der Bezug der verschiedenen (Wahl-)Programme und Versprechen im Hinblick auf das Ziel der globalen, nachhaltigen Entwicklung wird weder erwähnt noch hergestellt. Die Qualität der zukünftigen Politik wird aber davon abhängen, ob die Interdependenzen zwischen den drei Bereichen, die eine gesellschaftliche Transformation verlangen, konsequent berücksichtigt werden und ob die politischen, administrativen, rechtlichen und institutionellen Instrumente und Rahmenbedingungen diese Veränderungsprozesse unterstützen, ermöglichen oder verhindern.

... als sozial-ökologischer Transformationsprozess …
Und genau hier fehlt es sowohl an konkreten, politischen Visionen, die zur sozial-ökologischen Transformation und zur Überwindung der „imperialen Lebensweise“ beitragen, als auch an konkreten Programmen zur Neuordnung einer verantwortungsbewussten Regierungsführung im Dienste der globalen Nachhaltigkeit. Der Begriff von „Good Governance“, der von den EZA-Geberländern von den Regierungen der so genannten „Entwicklungsländer“ zur Steigerung der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) eingefordert wird, sollte im Sinne des Universalitätsanspruches der Sustainable Development Goals (SDGs) auch für die Industrieländer Gültigkeit haben. Er sollte jedoch – im Sinne von Policy Coherence for Sustainable Development – die Ausrichtung der Politiken einer Regierung auf die globale, nachhaltige Entwicklung bewerten.

Auch wenn die ODA-Quote (die öffentliche Entwicklungshilfe in % des BNE) eines Landes als Ausweis der internationalen Solidarität herangezogen wird, gilt seit dem Maastricht-Vertrag der EU (1992) als gemeinsamer Konsens, dass die konkreten Auswirkungen anderer Politikbereiche auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Länder des globalen Südens die Ziele der Entwicklungszusammen-arbeit nicht konterkarieren sollen. „Policy Coherence for Development“ und seit 2015 „Policy Coherence for Sustainable Development“ sind zentrale Elemente der EU-Programme und Strategien globaler Entwicklung, wie zum Beispiel im European Consensus on Development verankert. Im Rahmen der Sustainable Development Goals werden im Ziel 17 (Globale Partnerschaft) unter dem Kapitel „Systemic Issues“ Politik- als auch institutionelle Kohärenz als wesentliche Unterziele einer globalen Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung definiert. Die konkrete Umsetzung bzw. die Anpassung der Politik und ihrer Instrumente an die gemeinsam formulierten Strategien und internationalen Beschlüsse blieb jedoch weit hinter den Ansprüchen zurück.

… brauchen keine bessere, sondern eine andere Politik
Jens Martens fordert etwa – angesichts des Umstandes, dass die meisten Regierungen bis jetzt gescheitert sind, die transformative Vision der 2030 Agenda in eine reale, transformative Politik überzuführen – eine grundlegende Neugestaltung der Politikinstrumente, bei der es nicht nur um eine effizientere und bessere Politik geht, sondern um Veränderung von Institutionen, von Machtverhältnissen und nicht zuletzt um die Stärkung von demokratischen Rechten. Es geht um das Überdenken einer verantwortungsbewussten Regierungsführung mit dem Ziel einer globalen, nachhaltigen Entwicklung.

„Good Governance for Global Sustainability“ braucht ein Umdenken der Politik
Eine innovative, transformative Politik darf sich nicht mit Ankündigungen, Appellen an die Bevölkerung und den Verweis auf freiwillige Beiträge der Wirtschaft zufriedengeben, sondern wird auf Basis demokratischer Entscheidungsprozesse rechtliche Rahmenbedingungen und ambitionierte Umsetzungen liefern müssen, die sich am konkreten Beitrag zur Reduktion der Treibhausgase messen lassen werden müssen.

Die wissenschaftliche Basis für politische Entscheidungen wird nicht nur vom International Panel on Climate Change (IPCC) der UN, sondern auch von zahlreichen nationalen WissenschafterInnen zur Verfügung gestellt. Der Zusammenschluss der österreichischen Universitäten zum UniNEtZ, in dem sich die Universitäten und Hochschulen mit den SDGs auseinandersetzen, zeigt die breite wissenschaftliche Beachtung des Themas. Weder die politischen Parteien noch die Regierung berücksichtigen die Empfehlungen der WissenschafterInnen in ihren Programmen und Strategien ausreichend.

Welche Veränderungen der politischen Instrumente und Institutionen bräuchte es, um globale, nachhaltige Entwicklung besser umsetzen zu können?

Empfehlungen für eine transformative Politik
Eine gesamtstaatliche Strategie für sozial-ökologische Transformation sollte im Regierungsprogramm jeder kommenden Regierung verankert werden. Die Verantwortung für die Umsetzung der Strategie muss auf einer möglichst hohen politischen Ebene – bei dem/der BundeskanzlerIn – angesiedelt sein und muss vom Bundeskanzleramt koordiniert und verfolgt werden. Die „kohärente Umsetzung der 2030-Agenda“ in Österreich darf nicht den Ministerien in ihrem eigenen Verantwortungsbereich übertragen werden – wie dies im Ministerratsvortrag 86/11 vom 7. Jänner 2016 geschehen ist – ohne ihnen eine gemeinsame Strategie und konkrete Instrumente, Mittel und auch Budgets zur Seite zu stellen, um Kohärenz bzw. Gesamtstaatlichkeit überhaupt herstellen zu können.

Daher ist es eine zentrale politische Aufgabe, die legistischen Voraussetzungen für gesamtstaatliche Politiken zu ermöglichen. Ministerien brauchen neue Kooperations- und Entscheidungsfindungsprozesse, die es ermöglichen übergreifende, gesamtstaatliche Strategien und Politiken zu entwickeln und zu beschließen. Die Benennung eines Ministeriums (Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus – BMNT) in der letzten Legislaturperiode schaffte weder Nachhaltigkeit noch eine kohärente globale Politik, da das Ministerium weder das Mandat hatte, eine gesamtstaatliche Strategie zu formulieren noch die politische Möglichkeit, Nachhaltigkeit in anderen Sektoren und Ministerien (wie beispielsweise im Wirtschaftsministerium oder im Verkehrsministerium) einzufordern oder gar umzusetzen.

Ein Bundesministerium für globale, nachhaltige Entwicklung, oder – in Anlehnung an die neue EU-Kommission – ein Ministerium für globale Partnerschaften, das gemeinsam mit dem Bundeskanzler/der Bundeskanzlerin Koordination und „leadership“ übernimmt, könnte hier das ministerielle „Silodenken“ aufbrechen helfen und ein globales Denken und Handeln unterstützen.

Eine andere, transformative Politik wird nicht ohne eine sozial-ökologisch ausgerichtete Steuerreform auskommen. Die Diskussion über eine CO2 Besteuerung, die von zahlreichen Wirtschaftswissenschaftern, unter anderem von WIFO Chef Christoph Badelt vorgeschlagen wird, konzentriert sich auf die soziale Verträglichkeit und Ausgewogenheit einer CO2 Besteuerung, sie lässt aber einerseits die globale Komponente außer Acht und überlässt andererseits die Kosten den nächsten Generationen. Eine ökologisch ausgerichtete Steuerreform, die den CO2 Verbrauch sowohl bei der Produktion als auch beim Konsum von Gütern berücksichtigt, führt zu konkreten gesellschaftlichen Lenkungseffekten, die machbar und notwendig sind.

Die Verantwortung der Wirtschaft für die Umsetzung der SDGs ist ein wichtiger Punkt, der sowohl die Förderung von Innovation als auch von Forschung verlangt. Freiwillige Maßnahmen sind in vielen Fällen zwar begrüßenswert, greifen aber zu kurz. Die Politik ist daher gefordert, nicht nur klare Strategien und Programme zu einer CO2-neutralen Produktion zu formulieren, sondern konkrete Ziele in Gesetzen und Verordnungen zu verankern, damit die Umsetzung einer globalen, nachhaltigen Entwicklung nicht nur Vision und Thema auf jährlichen UN-Klimagipfeln bleibt.

Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
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