Aktueller Kommentar September 2020
Die Humanitäre Hilfe in Österreich – eine Standortbestimmung.
Mit dem Brand im Flüchtlingslager Moria ist die Diskussion über die Hilfsbereitschaft Österreichs erneut aufgeflammt. Die von der Bundesregierung angekündigte Erhöhung des Auslandskatastrophenfonds ist ein erster wichtiger Schritt zur Behebung langjähriger Versäumnisse bei der Dotierung der Humanitären Hilfe (HuHi). Vom Spitzenfeld der europäischen Länder sind wir aber weit entfernt.
Von Michael Obrovsky (ÖFSE), September 2020
Die Humanitäre Hilfe ist ein breiter Begriff …
Die OECD nennt als Ziele von Humanitären Hilfsmaßnahmen: „The objectives of humanitarian action are to save lives, alleviate suffering and maintain human dignity during and in the aftermath of man-made crises and natural disasters, as well as to prevent and strengthen preparedness for the occurrence of such situations.“ Die Abgrenzung zu Projekten und Aktivitäten der Entwicklungszusammenarbeit ist oft fließend, eine Unterscheidung kann aber getroffen werden: Humanitäre Hilfe erfolgt unmittelbar nach einer Krise, um Leben zu retten und ein Überleben zu sichern. Nach Bewältigung der unmittelbaren Krise kommt oft Entwicklungszusammenarbeit ins Spiel, um Wiederaufbaumaßnahmen bzw. längerfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation der betroffenen Menschen zu unterstützen.
…. dem ein kleiner Budgettopf …
Die Vielzahl globaler Krisen – politische Konflikte, Kriege, ökologische Krisen u.a.m. – erfordert unmittelbare und abgestimmte Hilfsmaßnahmen der bilateralen Geberländer wie auch der dafür zuständigen multilateralen Einrichtungen. Dafür braucht es Budgetmittel, die eine rasche, unbürokratische Auszahlung ermöglichen und für den Katastrophenfall gewidmet sind. In Österreich gibt es neben dem von Bund und Ländern finanzierten Katastrophenfonds für das Inland (im Kompetenzbereich der Bundesländer, die auch Ansprüche nach Katastrophen abwickeln) auch den Auslandskatastrophenfonds (AKF), der beim BMEIA angesiedelt ist und dessen Mittel – nach einem Ministerratsbeschluss – von der Austrian Development Agency (ADA) administriert werden. Für den AKF waren bis zum Jahr 2015 nur EUR 5 Mio. im Bundesbudget vorgesehen. Einer Aufstockung auf EUR 20 Mio. im Budgetvoranschlag 2016 und 2017 folgte eine Kürzung auf EUR 15 Mio. im Budgetvoranschlag 2018 und 2019, wobei die Differenz auf EUR 20 Mio. aus Rücklagen zur Verfügung gestellt werden sollte. Der Erfolg 2018 lag bei fast EUR 20 Mio. Das Budget der aktuellen Regierung sah für 2020 eine Steigerung auf EUR 25 Mio. vor. Die Ereignisse in Moria sowie die Erfordernisse von COVID-19 haben nun dazu geführt, dass die Bundesregierung eine Verdoppelung auf EUR 50 Mio. ab 2020 und eine Erhöhung auf EUR 60 Mio. bis zum Ende der Legislaturperiode angekündigt hat.
… für die Hilfe vor Ort zur Verfügung steht
Die Mitglieder der Bundesregierung betonen in aktuellen Interviews, dass Österreichs humanitäres Engagement sehr gut sei und verweisen insbesondere auf unsere Leistungen bei der Aufnahme von Geflüchteten in den Jahren 2015 und 2016. Weiters wird betont, dass Österreich statt einer Verteilung von Geflüchteten in Europa den Ansatz „Hilfe vor Ort“ forciere. Die exemplarische Nennung von Millionenbeträgen für einzelne Hilfsmaßnahmen bzw. die bereits aus dem Wahlkampf 2017 bekannten Ankündigungen der Verdoppelung des ADA-Budgets bis 2021 und der Vervierfachung des AKF verstellen allerdings die Sicht auf einen langjährigen Vergleich der Leistungen im internationalen Vergleich.
Österreich liegt im internationalen Vergleich hinten
Die OECD-Daten zur öffentlichen Entwicklungshilfe bieten eine gute Vergleichsbasis, da für alle Länder die gleichen Melderichtlinien gelten und auch alle Ausgaben aus öffentlichen Budgets, die den Melderichtlinien entsprechen, herangezogen werden. Das DAC der OECD erfasst die Leistungen für die bilaterale Humanitäre Hilfe der Mitgliedsländer und weist diese als eigene Kategorie aus. Darüber hinaus gibt es auch noch Humanitäre Hilfe von multilateralen Einrichtungen, die aber nur über die Beiträge der Länder an diese Organisationen bzw. an deren Programme verglichen werden kann. Da Kosten für AsylwerberInnen im ersten Jahr als öffentliche Entwicklungshilfe gemeldet werden können, wird auch das Engagement der Länder im Bereich der Flüchtlingshilfe in den Jahren 2015 und 2016 abgebildet.
Österreich liegt bei der HuHi pro EinwohnerIn im Jahr 2019 mit rund EUR 4 im Ranking der europäischen DAC-Mitgliedsländer erst an 12. Stelle von 22 Ländern. Finnland, das an 11. Stelle liegt, gibt bereits mehr als doppelt soviel wie Österreich pro Kopf für die HuHi aus und Norwegen, das im Ranking an der Spitze liegt, mehr als das 20-fache. Deutschland gibt das rund 6,5-fache und die Schweiz fast 9 mal soviel wie Österreich.
Bei den Ausgaben für die Betreuung von Geflüchteten aus Entwicklungsländern zeigt sich im Jahr 2019 das gleiche Bild. Österreich liegt mit Pro-Kopf-Ausgaben von EUR 3,10 nicht nur unter dem EU-Durchschnitt von rund EUR 9, sondern im unteren Mittelfeld und unmittelbar vor den Visegrád Staaten. Die hohen Leistungen im Jahr 2015 und 2016 im Bereich der Flüchtlingsbetreuung (2015 rund EUR 46 pro Kopf, 2016 rund EUR 62 pro Kopf) führten dazu, dass Österreich 2015 an der 7. Stelle und 2016 an der 6. Stelle der DAC-Mitgliedsländer zu finden war. Sowohl 2015 als auch 2016 waren wir daher am unteren Ende des Spitzenfeldes.
Die Vervierfachung des Basisbeitrages für das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNHCR – nach einer signifikanten Kürzung im Jahr 2018 – im Jahr 2020 sollte zu einem Basisbeitrag von rund EUR 2,2 Mio. führen. Auch wenn man die Programmbeiträge dazu rechnet, – das UNHCR weist für Österreich im Jahr 2020 bis jetzt fast USD 7 Mio. an Leistungen aus – liegt Österreich auch gegenüber vergleichbaren Ländern weit hinten. Irland liegt derzeit bei fast USD 21 Mio., Dänemark bei fast USD 103 Mio., Finnland bei rund USD 22 Mio. und Deutschland gar bei USD 398 Mio..
Fazit: HuHi Erhöhung wichtig – aber weitere Schritte notwendig
Die angekündigte Erhöhung der HuHi auf EUR 50 Mio. im Jahr 2020 ist zu begrüßen und trägt dazu bei, dass Österreich angesichts des absehbaren Anstiegs humanitärer Krisen mehr finanziellen Spielraum und Flexibilität hat. Mit der Erhöhung des AKF wird auch das Budget der ADA entlastet, das bislang für die Finanzierung von Humanitärer Hilfe und für Beiträge an multilaterale Einrichtungen einspringen musste. Dennoch ist die Erhöhung der HuHi nur ein erster Schritt, dem weitere folgen müssen. Gemessen am BIP pro Kopf im Jahr 2019, gehört Österreich zu den sechs reichsten Ländern der EU. Die angesichts dessen zurecht im Regierungsprogramm festgehaltene „schrittweise Erhöhung der Entwicklungsgelder in Richtung 0,7% des BNE“ ist mit der Erhöhung der HuHi von rund EUR 25 Mio. nicht zu erreichen. Die österreichische ODA-Quote (0,27% im Jahr 2019) steigt damit im Jahr 2020 bestenfalls um 0,01%-Punkte.
Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
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