Aktueller Kommentar April 2017

Sind die SDGs bei den PolitikerInnen angekommen?

Zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung durch Österreich.

Nach schleppendem Start liegt nunmehr ein erster Bericht der Bundesregierung zur nationalen Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDGs) vor. Der gewählte Mainstreaming Ansatz überlässt die Interpretation der Ziele den einzelnen Ministerien. Eine klare politische Prioritätensetzung und gesamtstaatliche Umsetzungsplanung ist nach wie vor ausständig.

Michael Obrovsky und Margarita Langthaler (ÖFSE), April 2017

Erster Umsetzungsbericht – Verwaltung statt Gestaltung

Die ressortübergreifende Arbeitsgruppe unter der Leitung von Bundeskanzleramt (BKA) und BM für Europa, Integration und Äußeres (BMEIA) zur Koordination des Fortschrittsberichts zur Umsetzung der SDGs hat in einem 65-seitigen Dokument die „Beiträge der Bundesministerien zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung durch Österreich“ (BKA 2017) publiziert. Ein wichtiger Schritt, mit dem man zeigt, dass die SDGs in Österreich – zumindest auf Beamtenebene – angekommen sind. PolitikerInnen halten sich bislang mit klarer Unterstützung für die SDGs zurück und überlassen der Verwaltung die Interpretation, welche Maßnahmen für eine adäquate Umsetzung der SDGs in Österreich notwendig sind. Die politische Vision ist daher bei den PolitikerInnen noch nicht angekommen, die Agenda 2030 wird nur verwaltet.

Die kohärente Umsetzung der 2030-Agenda wurde am 12.1.2016 im Ministerrat an die jeweiligen Bundesministerien delegiert, die zwar im Rahmen der inter-ministeriellen Arbeitsgruppe (AG) mit den SDGs konfrontiert werden, aber deren Anspruch nur teilweise erfasst haben. Während die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 25. September 2015 mit der Agenda 2030 nicht weniger als die „Transformation unserer Welt“ fordert, werden im Bericht der AG „exemplarisch“ Beiträge der Bundesministerien zu den 16 Zielen aufgelistet, die suggerieren, dass kein besonderer Handlungsbedarf für die Politik besteht, denn „eine Bestandsaufnahme der verfügbaren Indikatoren ergibt für Österreich im internationalen Vergleich ein in vielen Bereichen überwiegend positives Bild“ (BKA 2017, 11).

Mainstreaming führt zu Fragmentierung

Als optimaler politischer Strategierahmen für die Umsetzung wird „Mainstreaming“ angeführt. „Dadurch werden die SDGs in effizienter, zielorientierter und eigenverantwortlicher Weise in sämtliche Aktivitäten der österreichischen Politik und Verwaltung integriert.“ (ebenda, 7) Wie dieser SDG-Umsetzungs-Automatismus jedoch hergestellt wird, erklärt der Bericht nicht. Aus dem Ministerratsbeschluss vom 12.1.2016 folgt, dass alle Bundesministerien im Rahmen einer „Gap Analysis“ festlegen müssten, in welchen Strategien, Programmen und Aktionsplänen eine SDG-Adaption erforderlich ist und bis wann die globalen Nachhaltigkeitsziele in diesen Strategien integriert werden. Eine Bestandsaufnahme wurde zwar durchgeführt, die daraus gewonnen politischen Schlussfolgerungen aber nicht veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Im Sinne einer effizienten gesamtstaatlichen Umsetzung wäre zumindest eine gemeinsame Interpretation der Nachhaltigkeitsziele und eine Prioritätensetzung bei der Umsetzung notwendig gewesen. Eine Darstellung, die die einzelnen Nachhaltigkeitsziele aufzählt und exemplarisch Berichte über Maßnahmen und Aktivitäten verschiedener Ministerien bzw. öffentlicher Stellen darunter subsumiert, illustriert zwar, welche Aktivitäten in Österreich als SDG-relevant angesehen werden, sie zeigt aber auch, dass eine der Komplexität und dem Anspruch der globalen Nachhaltigkeitsziele entsprechende Systematik bei der Umsetzung fehlt.

Die fehlende Systematik ist auch Spiegelbild der realen Möglichkeiten der Verwaltung. Die Umsetzung der SDGs ist vor allem eine Herausforderung, Politikkohärenz im Dienste der globalen nachhaltigen Entwicklung (PCSD – Policy Coherence for Sustainable Development) zu realisieren. In Österreich fehlen dafür aber nach wie vor die Strukturen und Instrumente. Obwohl im Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik 2016–2018 die gesamtstaatliche Verantwortung für die Entwicklungszusammenarbeit betont wird und verschiedene Ebenen und Instrumente der Politikkohärenz dargestellt werden (BMEIA 2016, 25), beschränkt sich das Verständnis von PCD auf gegenseitige Information und Koordination von Maßnahmen einzelner Ministerien. Dies gilt erst recht für Policy Coherence for Sustainable Development.

Mit der Strategie des Mainstreaming und mit der Beauftragung der Umsetzung durch die einzelnen Ministerien hat der Ministerrat den einfachen Weg gewählt, der „keine Transformation unserer Welt“ erwarten lässt. Die Umsetzung der Agenda 2030 ist daher keine gesamtstaatliche Aufgabe, sondern obliegt der Einschätzung der jeweiligen MinisterInnen und bleibt damit letztendlich beliebig und fragmentiert.

Maßnahmenkatalog bleibt beliebig

Dies zeigt sich vor allem im Teil 2 des Berichts, der Maßnahmen „entlang der SDGs 1-16, die sich auf die nationale Umsetzung beziehen“ (ebenda, 11) darstellt. Da unsere Kritik aber vorwiegend an den mangelhaften politischen Rahmenbedingungen ansetzt, lässt sich als allgemeines Defizit am Bericht festhalten, dass viele Aktivitäten, Maßnahmen und Vorhaben angeführt werden, die einen unmittelbaren Bezug zu den SDGs vermissen lassen oder anders formuliert auch ohne Agenda 2030 durchgeführt worden wären.

Exemplarisch lässt sich dies am SDG 4 festmachen: Das SDG zu Bildung fordert inklusive, gerechte und hochwertige Bildung zu gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle zu fördern. Inklusive und gerechte Bildung erweist sich durchaus als Herausforderung für Österreich, zählt Österreich doch zu jenen OECD-Ländern, in denen die soziale Stellung maßgeblich über Bildung vererbt wird und die Segregation im Bildungswesen stark verankert ist. Darüber hinaus gilt die Umsetzung von Ziel 4.7., das die Verbreitung von Global Citizenship Education und Bildung für nachhaltige Entwicklung beinhaltet, als Herausforderung für Österreich. Bildungsgerechtigkeit herzustellen verlangt nach strukturellen Veränderungen im Bildungswesen. Neben den traditionell benachteiligten Gruppen, insbesondere Menschen mit migrantischem Hintergrund, zählen aktuell Flüchtlinge zu den Personengruppen, deren Bildungsbedürfnisse nicht ausreichend befriedigt werden. Die Bundesregierung beschreibt im Dokument zur Umsetzung der Agenda 2030 die Bildungsreform mit ihren Kernstücken der Schulautonomie und einer neuen Behördenstruktur auf Länderebene als Meilenstein auf dem Weg zur Erreichung des SDG 4. Daneben werden kaum Neuerungen in Aussicht gestellt, sondern auf bereits bestehende Maßnahmen, wie die Strategie zum Lebensbegleitenden Lernen und systematisches Qualitätsmanagement im Bildungswesen verwiesen. Für die in Ziel 4.7. geforderte transformative Bildung müssen bestehende Werkzeuge wie Unterrichtsprinzipien und fachübergreifende Themenfelder ausreichen. Dass die Bildungsreform alleine die notwendigen strukturellen Veränderungen in die Wege leiten wird, darf daher angezweifelt werden.

Politische Dimension dringend notwendig

Auf diese Weise lassen sich die einzelnen Kapitel des Berichtes kritisch analysieren. Das greift aber deshalb zu kurz, da der Bericht einerseits das Verständnis der einzelnen Ministerien zur Umsetzung von nachhaltiger Entwicklung widerspiegelt und andererseits das BKA und das BMEIA – als Leitung der AG – nicht das Mandat haben, strukturelle Defizite aufzuzeigen oder gar Verantwortung für die Umsetzung von bestimmten Zielen einzufordern.

Sowohl aufgrund innenpolitischer Motive als auch aufgrund der fehlenden Strukturen in der Koordination der Ministerien sind in dieser Legislaturperiode kaum gesamtstaatliche Fortschritte bei der Umsetzung der SDGs zu erwarten. Dafür sind in erster Linie die politischen Defizite des Umsetzungsprozesses ausschlaggebend.

So fehlen hier insbesondere (i) ein klares politisches Bekenntnis der Bundesregierung zu den globalen Nachhaltigkeitszielen und eine politische Prioritätensetzung, (ii) eine langfristige gesamtstaatliche Strategie zur Umsetzung der SDGs unter Einbindung von Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und anderen relevanten Stakeholdern sowie (iii) eine institutionelle Struktur, auf der Kohärenzprobleme zwischen nationalen und globalen Zielsetzungen verhandelt, entschieden und kommuniziert werden.
Um die „Transformation unserer Welt“ im Sinne einer globalen nachhaltigen Entwicklung in Österreich in komplexe nationale Politikprozesse zu integrieren, sollte die Umsetzung der SDGs im Regierungsprogramm der nächsten Bundesregierung vorbereitet und diese durch geeignete institutionelle Vorkehrungen strukturell ermöglicht werden. Der Mainstreaming-Ansatz steht für eine defensive Politik, die nicht die „Transformation der Welt“ anstrebt, sondern sich mit Textbausteinen in bunten Berichten zufrieden gibt.

Literatur:
BKA (2017): Beiträge der Bundesministerien zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung durch Österreich. Darstellung 2016, http://archiv.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=65724 (Zugriff am: 19.04.2017)
BKA (2015): Ministerratsvortrag 86/11 http://archiv.bundeskanzleramt.at/DocView.axd?CobId=64930 (Zugriff am: 19.04.2017)
BMEIA (2016): Zukunft braucht Entwicklung. Entwicklung braucht Zukunft. Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik 2016 bis 2018. http://www.entwicklung.at/fileadmin/user_upload/Dokumente/Publikationen/3_JP/2016-2018_Dreijahresprogramm.pdf (Zugriff am: 19.04.2017)

Weitere Infos zur Umsetzung der SDGs in Österreich

Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
mehr Informationen zu Michael Obrovsky

Mag.a Margarita Langthaler, Senior Researcher
Arbeitsschwerpunkte: Bildungsstrategien in der EZA, Berufliche Bildung und Skills Development, Education for All und die Post-2015-Agenda, Entwicklungsforschung in Österreich
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