Aktueller Kommentar April 2022

ODA Zahlen 2021: nicht einmal eine halbe Partnerschaft für die globale, nachhaltige Entwicklung

Michael Obrovsky

Rund 179 Mrd US$ an öffentlicher Entwicklungshilfe 2021 aller DAC-Geber sind laut OECD ein „ALLZEITHOCH“ – das ist aber weniger als die Hälfte der international zugesagten Leistungen. Die im SDG 17 angepeilte „globale Partnerschaft“ mit der Verpflichtung für die Hocheinkommensländer, 0,7% des BNE für öffentliche Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen, steckt in einer veritablen Beziehungskrise, da die Zusagen nicht einmal „halbherzig“ umgesetzt werden.

Michael Obrovsky, April 2022

Ein „Allzeithoch“?

Jedes Jahr im April veröffentlicht das Development Assistance Committee – DAC der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die vorläufigen Daten des Vorjahres zu den Leistungen der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit ihrer Mitglieder. Für das Jahr 2021 haben die ersten Berechnungen 179 Mrd US$ und somit die bisher höchsten Leistungen ergeben. In Relation zum BNE aller Länder waren das 0,33%. Auch wenn einige wenige Länder (Luxemburg 0,99%, Norwegen 0,93%, Schweden 0,92%, Deutschland 0,74%, Dänemark 0,70%) das vereinbarte ODA-Ziel von 0,7% des BNE erfüllen, erreichten die gesamten ODA-Leistungen aller DAC-Mitgliedsländer nicht einmal die Hälfte der zugesagten Quote.

Trotz COVID-19 sind die Steigerungen bescheiden

Im Vergleich zum Jahr 2020 ist das eine Steigerung von rund 4,4%. Die Steigerung geht zu einem großen Teil auf zusätzliche Mittel zur Bewältigung der COVID-19 Pandemie zurück. Darunter fallen auch die Lieferungen von COVID-19 Impfstoffen an Entwicklungsländer in der Höhe von insgesamt 6,3 Mrd US$. Laut DAC wurden rund 857 Mio Impfdosen für Entwicklungsländer bereitgestellt, wobei rund 2,3 Mrd US$ für die Verteilung von überschüssigen Impfdosen (fast 357 Mio Impfdosen), 3,5 Mrd US$ für den Kauf von Impfdosen für Entwicklungsländer und 0,5 Mrd US$ für andere Kosten angerechnet wurden. Als ODA-anrechenbare Kosten für die gespendeten, überschüssigen Impfdosen wurde vereinbart maximal 6,72 US$ pro Dosis anzurechnen bzw. im Falle günstigerer Einkaufspreise, diese zu verwenden. Ohne die Anrechnung der Kosten für Impfstoffe betrug die Steigerung der ODA 2021 im Vergleich zu 2020 nur 0,6%. Insgesamt stellten die DAC-Mitglieder 18,7 Mrd US$ zur Bekämpfung von COVID-19 zur Verfügung.

Der OECD-Generalsekretär Mathias Cormann meinte bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Leistungen: „Die OECD-Länder haben wieder einmal gezeigt, dass sie selbst in Krisenzeiten ihre Hilfen für schwächere Länder und Menschen aufstocken“. Angesichts der Diskussion und der Kritik an der ODA-Anrechenbarkeit von überschüssigen Impfdosen, die erst kurz vor ihrem Ablaufdatum weitergegeben wurden, und in Kenntnis der viel zu langsamen und zu geringen Unterstützung der COVAX Facility zur Beschaffung von Vakzinen für die Länder des globalen Südens sowie des Widerstands vieler OECD-Länder gegen einen zeitlich begrenzten TRIPS Waiver, der es ermöglicht hätte, COVID-19 Vakzine auch im globalen Süden herzustellen, übersieht diese Interpretation, dass angesichts der ökonomischen Auswirkungen von COVID-19 auf die Länder des globalen Südens die Summe von 18,7 Mrd US$ für die weltweite Bekämpfung einer globalen Pandemie relativ gering ist. Die Unterstützung der EU-Länder für COVID-19 Aktivitäten im Rahmen der ODA 2021 in der Höhe von rund 6,1 Mrd US$ (inklusive Impfstofflieferungen) ist im Vergleich zum befristeten Aufbauinstrument NEXTGenerationEU in der Höhe von mehr als 800 Mrd € (rd. 946 Mrd US$), das innerhalb der EU geschaffen wurde, um die „unmittelbar coronabedingten Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft abzufedern“, wohl mehr als bescheiden.

Das Glas ist nicht einmal halb voll

Bedenkt man, dass bereits im Jahr 1970 das Ziel 0,7% des BNE als öffentliche Entwicklungshilfe zu verwenden und dieses Ziel nach nunmehr 50 Jahren nur von einigen Ländern erreicht wurde, dass mit den Millennium Development Goals im Jahr 2000, mit dem Monterrey Consensus im Jahr 2002 sowie mit den Sustainable Development Goals (SDGs) im Jahr 2015 die quantitativen Zielsetzungen in der Entwicklungszusammenarbeit immer wieder erneuert wurden, dann irritiert es einigermaßen, wenn weniger als 50% der zugesagten Mittel bereit gestellt werden und dies als Erfolg der OECD-Länder verkauft wird.

ODA 2021 in % bzw. in US$ Mio, sowie absolute Differenz auf die ODA-Quote von 0,7%

Land/EU

ODA Quote %*

ODA 2021            US$ Mio *

ODA-Quote 0,695%

Differenz

Australien

0,22

3.444,35

11.116,49

-7.672,14

Österreich

0,31

1.459,80

3.305,95

-1.846,15

Belgien

0,46

2.571,40

3.870,69

-1.299,29

Kanada

0,32

6.270,58

13.662,70

-7.392,12

Tschechische Rep

0,13

361,74

1.887,02

-1.525,28

Dänemark

0,70

2.874,47

2.839,02

35,45

Finnland

0,47

1.435,82

2.114,07

-678,25

Frankreich

0,52

15.447,52

20.723,16

-5.275,64

Deutschland

0,74

32.232,02

30.233,83

1.998,19

Griechenland

0,12

263,83

1.506,79

-1.242,96

Ungarn

0,29

455,03

1.100,15

-645,12

Island

0,28

71,92

180,10

-108,18

Irland

0,31

1.168,80

2.581,32

-1.412,52

Italien

0,28

6.016,81

14.828,38

-8.811,57

Japan

0,34

17.618,90

35.637,19

-18.018,29

Korea

0,16

2.855,04

12.646,97

-9.791,93

Luxemburg

0,99

538,89

379,47

159,42

Niederlande

0,52

5.287,55

7.017,63

-1.730,08

Neuseeland

0,28

681,00

1.676,02

-995,02

Norwegen

0,93

4.673,14

3.506,48

1.166,66

Polen

0,15

952,33

4.473,78

-3.521,45

Portugal

0,18

449,66

1.716,45

-1.266,79

Slowakei

0,13

150,71

787,70

-636,99

Slowenien

0,19

114,81

423,39

-308,58

Spanien

0,25

3.541,94

9.842,33

-6.300,39

Schweden

0,92

5.926,63

4.490,33

1.436,30

Schweiz

0,51

3.926,52

5.383,33

-1.456,81

Großbritannien

0,50

15.813,57

22.036,78

-6.223,21

USA

0,18

42.311,37

159.832,63

-117.521,26

DAC Total

0,33

178.916,15

379.800,13

 -200.883,98

* vorläufige Daten

Quelle: OECD: ODA Levels in 2021 – Preliminary data, 12. April 2022

Im Jahr 2021 erreichte der Anteil der ODA rund 47% der zugesagten ODA-Quote. Das heißt 53% wurden nicht zur Verfügung gestellt. Die Grafik verdeutlicht, dass der Anteil der faktisch nicht bereitgestellten ODA an der zugesagten ODA seit 2000 jeweils höher war als der tatsächlich zur Verfügung gestellt Anteil. In den Jahren von 1970 bis 1999 war die Situation zwar auch nicht besser, mit dem Beschluss der Millennium Development Goals sollte aber ein neuer Anlauf für eine globale Partnerschaft begonnen werden.

Grafik ODA 2000 - 2021

Ab 2018: Umstellung der Statistik von Flow auf Grant Equivalent Prinzip, Sollwert 0,7% berechnet auf Basis 0,695% des BNE
Quelle: DAC: International Development Statistics (IDS) online databases

Auch in Österreich fehlt eine Strategie

Österreich bildet hier keine Ausnahme, sondern hat 2021 mit 0,31% des BNE ebenso weniger als die Hälfte der ODA-Quote erreicht. Um 0,7% des BNE als ODA zu erreichen müsste die Bundesregierung die ODA-Leistungen um 1,85 Mrd US$ (1,56 Mrd €) erhöhen. Eine Erhöhung in Richtung 0,7% des BNE ist zwar im Regierungsprogramm 2020-2024 der Bundesregierung vorgesehen. Es ist aber weder ein Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik noch ein verbindlicher Stufenplan zur signifikanten Steigerung der Mittel in Sicht. Auch die im Jahr 2020 angekündigte Strategie der Humanitären Hilfe wurde bislang nicht beschlossen.

Weder Quantität noch Qualität

Bei den ODA-Leistungen der DAC-Geberländer bleibt die Qualität der bereitgestellten Mittel sogar noch unberücksichtigt. Kritik wurde in der Vergangenheit etwa an der Anrechnung der Kosten für Asylwerber*innen, an der Anrechnung für indirekte Studienplatzkosten oder von Entschuldungen privater Kreditfinanzierungen geübt. Seit im Jahr 2018 die statistische Darstellung der Finanzflüsse an Entwicklungsländer auf das Prinzip des Grant Equivalents umgestellt wurde, das stärker den Nutzen für das Empfängerland auch bei Instrumenten des Privatsektors in einem Geldequivalent berücksichtigt, wurde auch Kritik an der statistischen Validität laut. Die Kritiken lassen sich mit dem Vorwurf zusammenfassen, dass Veränderungen der statistischen Melderichtlinien vor allem der Steigerung der Anrechenbarkeit und somit der statistisch produzierten Steigerung der ODA-Statistiken dienten.

Multiple Krisen erfordern die Umsetzung der Versprechen

Der OECD-Generalsekretär Mathias Cormann stellt aber auch fest, dass es noch viel mehr zu tun gibt. „Durch den unprovozierten russischen Krieg gegen die Ukraine ist die Welt mit einer neuen humanitären Krise konfrontiert. Wir müssen mehr tun, um den Entwicklungsländern zu helfen, die am stärksten von Angebotsengpässen und höheren Nahrungsmittel- und Rohstoffpreisen betroffen sein werden.“ Darüber hinaus sind weitere hohe finanzielle Mittel für die Eindämmung der Erderwärmung und für die Folgen der Auswirkungen der Klimakrise in den Ländern des globalen Südens erforderlich. Es wäre zu kurz gegriffen, zu glauben, dass mit Hilfe der ODA die globalen Krisen zu lösen sind. Dies ist bereits bei der Monterrey Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung im Jahr 2002 festgestellt worden. Mit dem Monterrey Consensus ist damals ein Papier vorgelegt worden, das die erforderlichen finanziellen und politischen Anstrengungen benennt, die weit über die Entwicklungsfinanzierung hinausgehen und eine kohärente Politik im Dienste der globalen Entwicklung fordern.

Globale Partnerschaft ernst nehmen

Gerade vor dem Hintergrund des neuen im Jahr 2015 international vereinbarten Referenzrahmens für eine globale nachhaltige Entwicklung – den Sustainable Development Goals – sollte es „common sense“ sein, dass die drei Bereiche wirtschaftliche Entwicklung, soziale Entwicklung und Umwelt gemeinsam und in einem globalen Kontext gedacht werden müssen, um die Erderwärmung zu stoppen und für alle Menschen eine nachhaltige Zukunft gewährleisten zu können. Die besondere Verantwortung der OECD-Länder bei der Umsetzung der SDGs wird auch mit dem Ziel 17 (Partnerschaften zur Erreichung der Ziele: Umsetzungsmittel stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen)adressiert. Mit dem Unterziel 17.2 wird insbesondere das Commitment der Industrieländer bekräftigt, einen finanziellen Beitrag zur globalen Entwicklung im schon lange versprochenen Umfang von 0,7% zu leisten.

Die Zahlen und Daten der OECD aus dem Jahr 2021 zeigen hingegen deutlich, dass die meisten OECD-Länder die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung nicht mit neuem Leben erfüllen, sondern diese bestenfalls halbherzig wahrnehmen. Bis 2030 bleibt nicht mehr viel Zeit.

Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
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