Aktueller Kommentar Dezember 2021
Die Entwicklungspolitik der neuen deutschen Regierung – eine erste Einschätzung
Mit der neuen deutschen Ampel-Koalition ist das Entwicklungsministerium (BMZ) zur SPD gewechselt. Schwerpunkte der neuen Ministerin Svenja Schulze liegen auf der Bekämpfung des Klimawandels, der Migrationspolitik oder dem nachhaltigen Schuldenmanagement. In so zentralen Bereichen wie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, der regionalen Schwerpunktsetzung (Stichwort Afrika) oder den neuen geostrategischen Herausforderungen hätte man sich aber deutlich mehr erwartet.
Robert Kappel, Dezember 2021
Die neue deutsche Bundesregierung ist im Amt und hat einen umfassenden Katalog zur Entwicklungspolitik vorgelegt. Ausgestattet mit einem Etat von 12,4 Mrd. Euro (2021) kann das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter der Leitung der neuen Ministerin Svenja Schulze (bisher Umweltministerium) mit einem Team aus bewährten Staatssekretären und dem Apparat nun die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben umsetzen.
Schwerpunkt Klimaschutz
Eindeutiger Schwerpunkt in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) der nächsten Jahre ist der Klimaschutz, der Schutz der Wälder und der Biodiversität. Ob es möglich sein wird, die globalen Aufgaben wie die Klimakrise zu meistern, entscheide sich – so die Ampelkoalition – maßgeblich in Entwicklungs- und Schwellenländern. Zudem will sich die Bundesregierung an der Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren Sustainable Development Goals und einer werteorientierten Entwicklungspolitik ausrichten, d.h. für nachhaltige Entwicklung, Klimagerechtigkeit und für eine sozial-ökologische Wende. Der Ausbau erneuerbarer Energien soll die lokale Wertschöpfung und die lokalen Nutzungsmöglichkeiten erweitern. Im Rahmen der Klimaziele soll mehr in den Schutz bestehender Wälder und Moore und nachhaltige Aufforstungen investiert werden.
Die entsprechenden Mittel sollen durch eine ODA-Quote von mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens bereitgestellt werden – davon 0,2 Prozent für die ärmsten Länder. Interessant ist, dass der Aufwuchs der Mittel für die internationale Krisenprävention, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit im Maßstab eins-zu-eins wie die Ausgaben für Verteidigung steigen sollen.
Die Regierung verspricht ein Sonderprogramm „Globaler Süden“. Sie will koloniale Kontinuitäten überwinden. Deutschland will ferner Mittler der Kulturen durch die Stärkung der im Ausland tätigen deutschen Kultureinrichtungen sein (wie bspw. Goethe Institute). Im Unterschied zur Vorgängerregierung will die Ampelkoalition einen neuen internationalen Schuldenmanagementkonsens hervorrufen, der alle Gläubiger miteinbezieht und Schuldenerleichterungen für besonders gefährdete Ländergruppen umsetzt.
Neuanfang in der Migrationspolitik
Gesprochen wird von einem Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik, „der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird“. Die bislang umstrittene deutsche Migrationspolitik soll eine Wende nehmen. Die neue Regierung will Einwanderungsabkommen mit wichtigen Entwicklungsländern abschließen, deren EinwohnerInnen von einem leichteren legalen Zugang zu Deutschland profitieren sollen. Irreguläre Migration soll reduziert werden.
Traditionelle Entwicklungsmaßnahmen stehen ebenfalls im Fokus, wie Ernährungssicherheit und Zugang zu sauberem Trinkwasser, Wissens- und Technologietransfer im Bereich kleinbäuerlicher Agrarwirtschaft. Für die Ärmsten soll es spürbare Verbesserungen durch Aufforstung, Gesundheitsmaßnahmen und Grundschulbildung geben. Interessant ist auch, dass deutsche und europäische Agrarexporte die Märkte in den Partnerländern nicht zerstören sollen. Aktiv will die Regierung die mutwillige Verzerrung des Nahrungsmittelmarktes durch Finanzmarktspekulation bekämpfen.
Faire Lieferketten fördern
Gemeinsam mit Gewerkschaften, Unternehmen und Zivilgesellschaft sollen ferner Pläne für faire und formelle Arbeitsbedingungen sowie existenzsichernde Löhne weltweit angegangen und der Aufbau sozialer Sicherungssysteme im Kampf gegen Armut unterstützt werden. Das von der Vorgängerregierung beschlossene Lieferkettengesetz soll umgesetzt und europäisiert werden. Dass die Koalition den Compact with Africa weiter verfolgen würde, war zu erwarten, hatte doch der neue Kanzler dieses Konzept in der letzten Legislaturperiode als Finanzminister vertreten.
Ferner freier und fairer Handel. Hier zeigt sich, was ein wenig typisch für den Ampelvertrag ist. Man hält einige Aussagen recht vage. Es stellt sich die Frage, wie fair der Handel sein soll. Ob damit die Abschaffung der Agrarsubventionen und Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse für Exporteure aus Entwicklungsländern gemeint ist? Noch immer hindert man Unternehmen aus Entwicklungsländern geradezu daran, Märkte in Europa zu erschließen, abgesehen von Produkten, die die EU importieren muss, weil sie die Nachfrage im Inland nicht bedienen kann, bspw. Rohstoffe, Kakao und Kaffee, die alten Kolonialwaren.
Defizite in der regionalen Schwerpunktsetzung
Der Ampelvertrag strotzt ein wenig von Formulierungen wie: wir haben Lust auf Neues, wir wollen einen Neuanfang auf allen Ebenen. Die bittere Wahrheit ist: Lateinamerika, Afrika, der Nahe Osten und Asien (mit Ausnahme von China) spielen im Koalitionsvertrag eine weitaus geringere Rolle als noch in den Vereinbarungen der Vorgängerregierung. Eine deutliche Abkehr zeichnet sich für die Wirtschaftskooperation ab, die eindeutig ein Schwerpunkt auch der EZ unter Kanzlerin Merkel war.
Man darf nicht alles im Koalitionsvertrag als bare Münze nehmen. Aber ein wenig mehr hätte man in Sachen Entwicklungspolitik schon erwarten können. Am Problematischsten ist, dass die Ampel die EZ-Müdigkeit in vielen Ländern nicht in Betracht zieht. Deutschland ist als Partner zwar gefragt – wirtschaftliche und technologische Kooperation, aber immer weniger als Geber von EZ. Aber davon ist im Dokument nichts zu spüren.
Geostrategische Veränderungen bleiben unberücksichtigt
Die Ampelkoalition hat ein Bündel von Einzelmaßnahmen beschlossen, die einerseits vom Geist der Steuerung der Entwicklungsprozesse durch deutsche Aktivitäten gekennzeichnet ist, aber andererseits zentrale Fragen der veränderten Bedingungen in der Globalisierung ausblenden, wie die weltweite Zunahme von Armut, Beschäftigungskrisen, Barrieren der Industrieentwicklung in der Globalisierung oder die zukünftige Bedeutung der Landwirtschaft.
Viel steht auf dem Papier, aber nur wenig Strategisches. Letztendlich kommt es auf die neue Leitung des BMZ an, um in Abstimmung mit der EU (Handelsfragen, Landwirtschaft) und mit anderen Ministerien zusätzliche Schwerpunkte – außer zu den Maßnahmen der Klimapolitik – zu entwickeln. Gerd Müller, der ehemalige BMZ-Minister, hatte eine Vielzahl von Aktivitäten in die Wege geleitet und immer wieder neue Sonderinitiativen gestartet. Es wird die Aufgabe der neuen Ministerin sein, eine Agenda aus einem Guss zu schmieden, die auch den globalen Kräfteverschiebungen Rechnung trägt. Wahrlich eine Großaufgabe. Doch das Dokument verliert kein Wort zur geostrategischen Veränderungen durch China, Russland, den USA, Indien usw. Es dürfte klar sein, dass es angesichts dessen einer Neuaufstellung der deutschen Außen-, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik bedarf. Dass die größte Wirtschaftsmacht in Europa keinen erkennbaren Plan dafür entwickelt hat, lässt tief blicken.
Prof. Dr. Robert Kappel ist Prof. Emeritus am Institut für Afrikanistik der Universität Leipzig und Aufsichtsratsmitglied der ÖFSE. Er bloggt unter https://graensengrenzen.wordpress.com/ und https://weltneuvermessung.wordpress.com/