Aktueller Kommentar Dezember 2023
COP28: Aberglaube oder Reformen
Die COP28 ist vorbei und die Teilnehmer*innen konnten sich am Ende auf ein Konsensdokument einigen. Dass das Ergebnis eine tatsächliche Verringerung der Treibhausemissionen bewirkt, ist jedoch kindischer Aberglaube. Was es braucht, ist die Konzentration auf zwei wichtige Reformen.
Von Thomas Pogge (Yale University), Dezember 2023
Nach zweiwöchigem Ringen um Worte beim COP28 wurde ein Konsensdokument verabschiedet, in dem die Notwendigkeit einer erheblichen Verringerung von Treibhausgasemissionen – runter auf Null im Jahr 2050 – anerkannt wird, mit der für die COP offenbar neuen Einsicht, dass dies einen Übergang weg von fossilen Energieträgern erfordert. Manche sehen diese Sätze als historisches Schlüsselereignis und Wahrzeichen. Andere werten sie als trivial und bedeutungsarm, weil völlig offenbleibt, wer was bis wann tun soll, um den angestrebten globalen Sollzustand zu erreichen.
Weitgehend einig sind sich die Kämpfer*innen beider Seiten, dass die jährlichen COP-Schlachten wichtig sind, und dass die errungenen oder verlorenen Worte den Lauf der Welt beeinflussen. Dieser Glaube ist nicht überraschend. Schließlich werden diese Krieger*innen – die Fossilen und die Grünen – von ihren Firmen, Regierungen, NGOs und Thinktanks dafür bezahlt, dass sie zu den COP-Treffen hinfliegen und diese COPs auch angemessen vor- und nachbereiten. Ihre Einkommen und Selbstwertgefühle hängen an dieser endlosen Serie von Wortgefechten, und sie fühlen sich privilegiert und wichtig, besonders wenn sie Einlass in die blaue Konferenzzone ergattern.
Schlachtfeld der Worte
Viele Außenstehende belächeln diese Wichtigtuerei, manche mit Neid. Sie können auf die Messstation in Mauna Loa (Hawaii) verweisen, deren Messungen zeigen, dass sich am immer schnelleren Anstieg der Treibhausgasanteile an der Atmosphäre in den 28 COP Jahren rein gar nichts verändert hat.
Ich sehe das ebenso. Die Hoffnung, dass die Einigung auf die Phrase "Bedarf für erhebliche Verringerung von Treibhausgasemissionen", tatsächlich eine erhebliche Verringerung von Treibhausgasemissionen bewirkt, ist ein kindischer Aberglaube.
Es gibt sogar Anzeichen (zusätzlich zu den 160.000 Flügen zur/von der COP) für eine gegenteilige Kausalbeziehung. Im September 2015 einigten sich die Staaten, nach langen Wortgefechten, auf die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs). Die vornehmsten dieser Ziele – SDG1 und SDG2 – sehen vor, dass bis 2030 Armut in all ihren Formen, einschließlich Hunger, überall beendet sein wird. Auf diese von moralischen Menschen weltweit gefeierte Einigung folgte sofort eine Trendwende: Während die Inzidenzen von Hunger und Armut vor 2015 stetig gefallen waren, sind sie seitdem ebenso stetig angestiegen – die Anzahl der unter Ernährungsunsicherheit leidenden Menschen zum Beispiel um 22% bis 2019 (von 1.612 auf 1.966 Millionen) und um 46% bis 2022 (auf 2357 Millionen).[1] Dieser rasante Armutsanstieg wurde zunächst, im Windschatten des grandiosen Papiertriumphs von 2015, gar nicht wahrgenommen und ließ sich dann, als er gar zu groß wurde, glücklicherweise mit COVID-19 und dem Krieg in der Ukraine in Verbindung bringen. Diese Erfahrung spricht dafür, dass – auch im Kampf um einen gesunden Planeten – das ganze Ringen um rechtlich unverbindlichen Erklärungen wirklichen Fortschritt dadurch hindert, dass es Kreativität, politische Energien, Gelder, und öffentliche Aufmerksamkeit von den wirklichen Aufgaben unserer Generation abzieht. Auch wenn die Fossilen sich bei den Wortgefechten oft nicht durchsetzen, gewinnen sie doch dadurch, dass sie uns auf dem Schlachtfeld der Worte erschöpfen.
Dagegen kann man einwenden, dass auf den COPs viel mehr passiert. Es werden Erfahrungen ausgetauscht, neue Forschungen und grüne Technologien vorgestellt, Beziehungen geknüpft und vertieft, Allianzen geschmiedet, Projekte geplant, u.v.a.m.. Manche dieser Aktivitäten haben sicherlich positive Auswirkungen auf unsere Umwelt. Aber die wirkliche Beseitigung von Treibhausgasemissionen wird dadurch allenfalls marginal befördert.
Mächtige Lobbys
Um dieser großen Aufgabe gerecht zu werden, muss man verstehen, warum es bisher kaum Fortschritte gegeben hat, warum auch heuer wieder ein neuer Rekord beim Verbrennen von Öl, Gas und sogar Kohle ansteht.
Die noch verbleibenden fossile Brennstoffe haben Eigentümer: Staaten, Firmen, Aktionäre, Individuen. Und sie haben einen Marktwert, der sich, nach Abzug der Förderkosten, auf rund €300 Billionen beläuft, rund das 18-fache des Bruttosozialprodukts der Europäischen Union. Diese potenziellen zukünftigen Einnahmen bieten extrem starke Anreize für sehr mächtige Akteur*innen. Man sieht vielleicht ein, dass manche dieser fossilen Brennstoffe im Boden verbleiben müssen – aber doch nicht die eigenen! Sogar die selbsternannte "moralische Großmacht" Norwegen, mit dem höchsten Pro-Kopf Einkommen der Welt, investiert weiterhin kräftig in die Erschließung neuer Öl- und Gasvorkommen.
Diesen mächtigen Brennstoffbesitzern stehen insbesondere die politisch impotenten Interessen ärmerer und tropischer Bevölkerungen, zukünftiger Generationen und nicht-menschlicher Lebewesen entgegen, die von den Auswirkungen von Luftverschmutzung und Klimawandel am stärksten betroffen sind und sich diesen Schädigungen nicht entziehen können. Es besteht keine realistische Hoffnung, hinreichend viele Brennstoffeigner*innen dazu zu zwingen oder davon zu überzeugen, ihre Bodenschätze nicht auszubeuten. Wenn unser Problem überhaupt gelöst werden kann, dann nicht dadurch, dass Drosselung der Förderung den Verbrauch reduziert, sondern umgekehrt dadurch, dass Verringerung der Nachfrage die Produktion fossiler Brennstoffe eindämmt.
Zwei Reformen
Ein wichtiger Schritt zur Verringerung der Nachfrage ist ein Zurückfahren der staatlichen Subventionen, die 2023 rund USD 7 Billionen betrugen,[2] und den globalen Konsum fossiler Brennstoffe um etwa diesen Betrag verbilligt haben. Diese Subventionen werden gern damit begründet, dass auch arme Menschen Zugang zu einem Minimum an Energie haben sollen. Aber dieser Zweck lässt sich viel besser durch Transferzahlungen erreichen, welche auf die ärmeren Haushalte beschränkt werden können und ihnen die Freiheit lassen, diese Unterstützung nach eigenem Gutdünken (also auch für Essen, Wohnen, Lernen, Kleidung, Medizin oder sanitäre Anlagen) zu verwenden. Damit wäre die künstliche Verbilligung fossiler Brennstoffe abgeschafft und jeder Verbraucher bzw. jede Verbraucherin hätte die durch den eigenen Konsum entstehenden Kosten voll selbst zu tragen. Dass wir trotz dieses recht offensichtlichen Arguments weiterhin 7% des Weltsozialprodukts für Subventionen fossiler Brennstoffe ausgeben, bezeugt die enorme politische Macht der fossilen Lobby.
Der andere wichtige Schritt ist die Eindämmung der künstlichen Verteuerung grüner Technologien, deren Einsatz den Konsum fossiler Brennstoffe stark verringern kann. Diese künstliche Verteuerung kommt durch Patente zustande, die in modernen grünen Technologien massenhaft zur Anwendung kommen. Allein die USA verleihen jährlich ca. 15.000 grüne Patente, deren Besitzer sich Lizenzgebühren versprechen. Das verteuert den Einsatz grüner Technologien und behindert ihre Verbreitung – besonders im globalen Süden, wo man sich solche Monopolrenten, die meistenteils an nördliche Patentinhaber fließen, nicht leisten kann und will. Eine naheliegende Lösung ist ein Ecological Impact Fund (EIF), der es Erfindern ermöglichen würde, ihre Monopolprivilegien – wenigstens im globalen Süden – gegen Wirkungsprämien einzutauschen, die an die mit ihrer Erfindung erzielten Emissionsverringerungen gebunden wären.[3] Grüne Technologien wären zu Wettbewerbspreisen erhältlich, und Erfinderfirmen würden sich stark um den breiten und effizienten Einsatz ihrer Produkte bemühen. Darüber hinaus würde der EIF die Entwicklung zusätzlicher grüner Technologien anreizen, die besonders auf die Bedürfnisse und Interessen des globalen Südens zugeschnitten sind. Wie die heute einkommensschwächeren Länder sich entwickeln werden, ist für die Ökologie unseres Planeten von entscheidender Bedeutung. Der EIF würde diese Entwicklung schnell und tiefgreifend in grünere Bahnen lenken.
Wenn wir wirklich etwas für unseren Planeten tun wollen, sollten wir unsere Kräfte auf diese beiden Reformen konzentrieren.
[1] FAO, IFAD, UNICEF, WFP und WHO: The State of Food Security and Nutrition in the World 2023: Urbanization, Agrifood Systems Transformation and Healthy Diets across the Rural–Urban Continuum (Rome: UN Food and Agriculture Organization, 2023), 21 (Table 4), https://doi.org/10.4060/cc3017en.
[2] Simon Black, Ian Parry, und Nate Vernon: Fossil Fuel Subsidies Surged to Record $7 Trillion, IMF, 24. August 2023, https://www.imf.org/en/Blogs/Articles/2023/08/24/fossil-fuel-subsidies-surged-to-record-7-trillion.
[3] Thomas Pogge, “An Ecological Impact Fund” in Green and Low-Carbon Economy 1, no. 1 (2023): 15–21.
Über den Autor:
Thomas Pogge ist Professor und Direktor des Programms für globale Gerechtigkeit an der Yale Universität und arbeitet dort über politische Philosophie, globale Gesundheit, Klimawandel und Kant. Er ist Mitgründer von Academics Stand Against Poverty und Incentives for Global Health.