Aktueller Kommentar Februar 2018

EU-Ratspräsidentschaft Österreichs: Innenpolitische Agenda oder aktiver Gestaltungsanspruch?

Ab 1. Juli 2018 hat Österreich den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Obwohl wichtige Themen im Bereich der EU-Beziehungen mit Afrika, Asien und Lateinamerika im Herbst zu verhandeln sein werden, sind die Schwerpunkte der österreichischen Präsidentschaft „Sicherheit“ und „Kampf gegen die illegale Migration“. Das Thema globale nachhaltige Entwicklung hat für Österreich in der EU-Ratspräsidentschaft offenbar wenig Bedeutung und die Vorbereitung droht zu einer improvisierten „last minute action“ zu werden.

Von Michael Obrovsky (ÖFSE), Februar 2018

Während einerseits für die neue ÖVP-FPÖ Bundesregierung eine 100 Tage Schonfrist gefordert wird (Anneliese Kitzmüller im ORF am 04.02.2018), drängen auf der anderen Seite internationale Herausforderungen, die von der Bundesregierung vorbereitet und organisiert werden müssen, um als konstruktiver europäischer Partner und Akteur anerkannt zu werden. Für diese Herausforderungen braucht es rasch adäquate politische Strategien, die inhaltlich über die teils vagen Ankündigungen im Regierungsprogramm hinausgehen sowie erfahrene BeamtInnen, die mit den zu verhandelnden Inhalten vertraut sind.

Eine Vielzahl von drängenden Themen, statt …

Auch wenn die Aufgaben der EU-Ratspräsidentschaft stärker im Bereich des Organisierens, Vermittelns und Moderierens liegen, braucht es strukturelles und inhaltliches Fachwissen, politische Erfahrung und Sensibilität, um Verhandlungen gestalten und nicht nur abwickeln zu können. Gerade im Bereich der internationalen bzw. der europäischen Entwicklungspolitik stehen während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft einige wichtige und komplexe Themen auf dem Programm, die einer präzisen inhaltlichen Vorbereitung bedürfen. Folgende Themen stehen auf der Agenda:

  • Die Debatte über die Zukunft der EU27 und daraus für die Beziehungen der EU zu Afrika, Asien und Lateinamerika resultierende Schlussfolgerungen.
  • Ab August 2018 wird das Post Cotonou-Abkommen, das die zukünftigen Beziehungen der EU mit Afrika, Karibik- und Pazifikstaaten regeln soll, verhandelt.
  • Im Rahmen der von der EU-Kommission präsentierten Vorschläge zum Multiannual Financial Framework (MFF) für den Zeitraum nach 2020 sind die Vorschläge für die externen Finanzierungsinstrumente (im Speziellen auch für den Europäischen Entwicklungsfonds) zu diskutieren.
  • Die BREXIT-Verhandlungen sollen während der österreichischen EU-Präsidentschaft abgeschlossen werden. Durch den Wegfall der britischen Finanzbeiträge werden auch die externen Finanzierungsinstrumente geschwächt, sofern keine finanziellen Alternativen gefunden werden.
  • Die Vereinfachung und Modernisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) soll verhandelt werden. Die GAP hat im Zusammenhang mit Klimawandel, der 2030 Agenda und der globalen Ernährungssicherheit einen entscheidenden Einfluss auf globale Entwicklungen.
  • Eine Kommunikation zu den Beziehungen der EU zu Lateinamerika und der Karibik soll verabschiedet werden.
  • Ein Reflexionspapier zur konkreten Umsetzung der SDGs in den EU-Institutionen und in der EU soll von der EU-Kommission Ende 2018 vorgelegt werden.

Nachdem die Zuständigkeit des Exekutivsekretariats für die EU-Präsidentschaft mit 8. Jänner 2018 vom BM für Europa, Integration und Äußeres (BMEIA) zum Bundeskanzleramt (BKA) gewechselt ist, liegt die Verantwortung für praktische Planung und Durchführung von Tagungen, Akkreditierungen der TeilnehmerInnen, Website, Logistik usw. beim Bundesministerium für EU, Kunst, Kultur und Medien. Ein entsprechendes Schwerpunktprogramm für die österreichische EU-Präsidentschaft will der neue Europaminister Gernot Blümel in den kommenden Wochen vorlegen (Parlamentskorrespondenz Nr. 50). Die entsprechenden organisatorischen und personellen Strukturen sowohl im BKA als auch in den einzelnen Ministerien sind erst im Aufbau begriffen. Sowohl Informationen zu den Sektionen als auch zur Geschäftseinteilung werden für die kommenden Wochen angekündigt.

… „Sicherheit“ und „Kampf gegen die illegale Migration“ als Schwerpunkthemen

Derzeit fehlt aber eine globale Vision für die österreichische EU-Präsidentschaft. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat bei dem Besuch des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk am 13. Februar 2018 bekanntgegeben, dass die Schwerpunkte der österreichischen Präsidentschaft die Themen „Sicherheit“ und „Kampf gegen die illegale Migration“ sein werden, und dass dazu im September 2018 ein informeller Ministerrat in Wien stattfinden wird.

Nun ist es nachvollziehbar, dass eine neue Bundesregierung ihre innenpolitischen Schwerpunkte auch in Europa stärker sichtbar machen möchte, es bleibt allerdings zu fragen, welche globale Rolle Österreich für die Europäische Union sieht und welchen Beitrag Österreich dazu leisten möchte. Diese Frage stellt sich nicht nur im Kontext der Diskussion über den MFF, sondern vor allem auch vor dem Hintergrund der Schwerpunktsetzungen während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft. Als globale Themenstellungen ergeben sich aktuell vor allem die Neugestaltung der Beziehungen der EU mit Afrika und die Umsetzung der Sustainable Development Goals durch die EU.

Widersprüche zwischen globalen Anforderungen und strukturellen Bedingungen

Sowohl personell, strategisch als auch finanziell ist die neue Bundesregierung derzeit in Fragen der globalen Entwicklung, die für die Zukunft der Europäischen Union wichtig sein werden, nicht gut aufgestellt. So ist beispielsweise im BMEIA die Leitung der Sektion Entwicklung vakant und darüber hinaus sind drei von fünf Abteilungsleiterposten in dieser Sektion nicht besetzt. Das Doppelbudget für die Jahre 2018 und 2019 wird von Finanzminister Hartwig Löger erst Mitte März 2018 vorgestellt, also rund drei Monate vor dem 1. Juli, dem Beginn der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft. Die vom Finanzminister angekündigten Maßnahmen zur Budgeterstellung sehen sowohl Kürzungen im BMEIA (-5%) als auch in den bundeseigenen Agenturen und nachgeordneten Dienststellen vor. „Sparen im System“ – etwa bei den Verwaltungskosten, bei den Personalkosten und bei den Förderungen – soll insgesamt Einsparungen in der Höhe von Euro 2,5 Mrd bereits im Jahr 2018 ermöglichen. Das konkrete Sparpotenzial im BMEIA ist erfahrungsgemäß gering, da ein großer Teil des Budgets mit Personalkosten, Ausgaben für Botschaften und Beiträge für internationale Organisationen gebunden ist. Für Reduktionen bleibt somit der Bereich der „Ermessensausgaben“ bzw. Förderungen, in den das Budget der Austrian Development Agency (ADA) fällt. Dieser Budgetansatz sollte aber bis zum Jahr 2021 – glaubt man den Zusagen des damaligen Außenministers Kurz – verdoppelt werden. Kurz hatte 2017 eine Anhebung des ADA-Budgets bis zum Jahr 2021 auf rund Euro 154 Mio angekündigt und 2016 das Budget für den Auslandskatastrophenfonds (AKF) von Euro 5 auf 20 Mio angehoben. Die Steigerung des Budgets wurde damit argumentiert, dass mit Hilfe der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) des BMEIA ein Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen geleistet werden kann. Einsparungen beim Personal sind kaum möglich, da der Diplomatische Dienst im internationalen Vergleich budgetär bereits sehr reduziert wurde. Eine weitere Kürzung kann kurzfristig nur schwer umgesetzt werden. Die Beiträge für internationale Organisationen wurden bereits in der Vergangenheit auf ein absolutes Minimum zurückgefahren. Ein Sparpotenzial durch Zusammenlegungen von Botschaften, Außenhandelsstellen und anderen Einrichtungen im Ausland ist kurzfristig ebenfalls nicht erreichbar. Im Bereich der Entwicklungspolitik lassen sich die Sparpläne nur mit einem weiteren Verzicht auf die Mitgestaltung globaler Governance umsetzen. Wie die Bundesregierung die Doppelmühle zwischen der internationalen Beschädigung der Glaubwürdigkeit des nunmehrigen Bundeskanzlers einerseits und der verlangten Budgetkonsolidierung im BMEIA andererseits bewältigen möchte, bleibt abzuwarten, zumal Außenministerin Karin Kneissl noch keine konkreten Überlegungen zur Neuausrichtung der Entwicklungspolitik und der EZA vor dem Hintergrund der angekündigten Sparprogramme geäußert hat.

Aktiver Gestaltungsanspruch der EU ist notwendig

Die Fokussierung der österreichischen Präsidentschaft auf die Themen „Sicherheit“ und „Kampf gegen die illegale Migration“ droht den gebotenen umfassenden Gestaltungsanspruch der EU auf internationaler Ebene auf die kurzfristigen Interessen der Bundesregierung und einiger weniger Mitgliedsstaaten zu verengen. Notwendig wäre vielmehr, drängende Probleme auf internationaler Ebene aufzugreifen. Dazu gehört insbesondere die aktive Gestaltung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den Nachbarregionen im Osten und Süden Europas, sowie eine Vorreiterrolle der EU bei der Umsetzung einer globalen nachhaltigen Entwicklung. Gerade angesichts des durch die erratische Politik der derzeitigen US-Regierung entstehenden Vakuums bedürfte es eines aktiven Internationalismus in der EU-Außen- und Entwicklungspolitik.

Es bleibt allerdings nicht mehr viel Zeit bis zum 1. Juli 2018, um wichtige personelle, strategische und finanzielle Entscheidungen in der österreichischen Außen- , Europa- und Entwicklungspolitik zu treffen. Fest steht, wer Europa auch in Zukunft in einer aktiven Gestaltungsfunktion für die internationale Politik sehen möchte, muss globale Fragen aktiv thematisieren und darf sich nicht nur auf die gerade angesagte innenpolitische Agenda konzentrieren.

Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
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