Aktueller Kommentar Februar 2022

Vor einem Neuanfang der Europa – Afrika – Beziehungen

Robert Kappel

Gravierende Divergenzen zur Pandemiebekämpfung und zur Klimapolitik prägten das 6. Gipfeltreffen zwischen der Afrikanischen Union und der EU am 17. & 18. Februar in Brüssel. Ein neues Investitionspaket von EUR 150 Mrd. kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die bi-regionalen Beziehungen einen Neuanfang benötigen.

Robert Kappel, Februar 2022

Gipfeltreffen im Schatten der Ukraine Krise

Im Schatten der Russland-Ukraine-Krise und des von Frankreich angekündigten Rückzugs aus Mali fand das 6. AU-EU-Gipfeltreffen am 17. und 18. Februar 2022 in Brüssel statt. In der Abschlusserklärung „ A Joint Vision for 2030“ vom 18.2.2022 betonen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) und der Afrikanischen Union (AU) „die zunehmenden gemeinsamen Herausforderungen und Chancen“. Sie verpflichten sich, eine gemeinsame Vision für eine erneuerte Partnerschaft zu entwickeln. Als Reaktion auf die makroökonomischen Auswirkungen der COVID-Krise wollen die Staaten den gemeinsamen Rahmen für ein Schuldenmanagement erarbeiten. Zudem einigten sich die Staaten darauf, illegale Finanzströme zu bekämpfen, die wissenschaftliche Zusammenarbeit zu verstärken und den Austausch von Studierenden zu fördern. Verstärkt werden soll auch die Zusammenarbeit für Frieden und Sicherheit im Rahmen der Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur.

Im Zentrum der Beratungen stand die Finanzausstattung. Ein afrikanisch-europäisches Global-Gateway-Investitionspaket in Höhe von 150 Milliarden Euro wird aufgelegt. Es besteht aus einem Investitions-, einem Gesundheits- und einem Bildungspaket. Das Investitionspaket soll zum Aufbau diversifizierter, integrativer, nachhaltiger und widerstandsfähiger Volkswirtschaften beitragen und enthält u.a. Maßnahmen zur Wachstumsfinanzierung; Migration; Unterstützung des Privatsektors; Klimawandel und Energiewende, Digitales und Verkehr. Das Global Gateway-Investitionspaket zielt auch darauf ab, Chinas geopolitisch getriebene «Road and Belt»-Initiative einzuhegen.

Divergenzen zur Pandemie- und Klimawandelbekämpfung

Die Debatte um den Zugang zu Corona-Impfstoffen wurde kontrovers geführt. Die EU erklärte, man wolle einen „fairen und gerechten Zugang zu Impfstoffen gewährleisten“. Aber die meisten afrikanischen Länder sahen das anders. Für sie sprach der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa. Er prangerte die Hortung von Impfstoffen in westlichen Ländern an. Ramaphosa verlangte die Freigabe von Patenten für die Produktion von Corona-Impfstoffen. Die EU lehnte dies jedoch auf Druck Deutschlands ab. Die Parteien einigten sich schließlich auf einen Technologietransfer: In sechs afrikanischen Staaten sollen Impfstoffe in Lizenz hergestellt werden können.

Senegals Präsident Macky Sall - zugleich Sprecher der AU - thematisierte eine andere Bruchlinie in der Partnerschaft. Während die EU und ihre Mitglieder nicht müde werden, auf dem Kontinent eine Energiewende zu fordern, verweist Sall darauf, dass die Staaten Afrikas nicht den Klimawandel verursachten, die geringsten Kohlenstoffemissionen aufwiesen und am stärksten vom Verlust der biologischen Vielfalt betroffen seien. Die meisten afrikanischen Staats- und Regierungschefs fordern mehr Unterstützung bei der Anpassung an die Energiewende und bei der Abmilderung der Folgen des Klimawandels. Sie wollen weiterhin billigere fossile Brennstoffe nutzen, da alle Energiequellen benötigt würden, um den wirtschaftlichen Wandel in Afrika voranzutreiben. D.h. die Bedürfnisse der afrikanischen Staaten unterscheiden sich grundlegend von den europäischen Konzepten. Der Vorsitzende der Kommission der Afrikanischen Union, Moussa Faki, erklärte sogar, der Green Deal sei "eine unerträgliche Ungerechtigkeit". Eine Lösung ist gegenwärtig nicht in Sicht, und es ist bemerkenswert, dass China die afrikanischen Länder beim Ausbau der Kohleenergie unterstützt.

Mehr Herausforderungen denn je

Chinas Schatten schwebte über dem Brüsseler Gipfel. Denn China hat sich im „Scramble for Africa“ deutlich aufgestellt. Das Land ist zu einem der wichtigsten Wirtschaftsakteure geworden und ist in den Augen einiger afrikanischer Länder bereits ein privilegierter Partner durch seine hohen Investitionen und Infrastrukturmaßnahmen geworden. Auch Russlands Agieren in afrikanischen Ländern bereitet der EU große Sorgen, denn im Sahel ist Russland zu einer strategischen Gegenmacht zu Frankreich und der EU avanciert. So nutzte es die Schwäche Frankreichs und das Vordringen djihadistischer Akteure in den Sahelstaaten, um sich als Partner afrikanischer Regierungen anzudienen.

Abgesehen von der Geldscheindiplomatie, die den Gipfel des „New Deal“ (so Präsident Macron) öffentlich prägte, gibt es zahlreiche Agenden, an denen die Europäer gemeinsam mit den Afrikanern nach Lösungen hätten suchen sollen, nicht nur Klima- und Impfstrategien, sondern vor allem auch Konzepte zur Zukunft der Arbeit auf dem Kontinent und dem Kampf gegen die Armut. Welche Industrialisierungspläne gibt es etwa, und wie könnte die EU diese durch Industrieinvestitionen unterstützen, um damit auch die volatilen Rohstoffökonomien Afrikas umzugestalten? Auf der Tagesordnung hätte auch die Weiterentwicklung der AfCFTA (African Continental Free Trade Area) stehen sollen, denn die Handelsfragen sind immer noch in einem Art Schwebezustand. Es bedürfte auch der Überarbeitung der Economic Partnership Agreements, die von vielen afrikanischen Ländern als tot bezeichnet werden. Dies sind nur einige der anstehenden Themen, die über die Kooperationsperspektiven Afrikas und Europas entscheiden werden.

Die Europäer wollten die Partnerschaft "auf das nächste Level" heben. Statt des "New Deal" hätten die Europäer neues Vertrauen schaffen können, indem sie die große Transformation Afrikas und die Zukunftsherausforderungen antizipiert und um gemeinsame Lösungen gerungen hätten. Leider stand dies nicht auf der Agenda. Man hätte auch erwarten können, dass die afrikanischen Staaten ihre Konzeption für eine Neuaufstellung der Kooperation formuliert hätten. Leider ebenfalls Fehlanzeige.

Aufkeimen von Hoffnungen trotz verpasster Gipfel-Chance

Europa und Afrika sind sich trotz aller Ermüdungserscheinungen vielleicht näher als sie denken, denn sie haben weitgehend Abschied von der Geber-Nehmer-Beziehung genommen und debattieren die Neuaufstellung der Beziehungen. Eine Vielzahl von Akteuren auf beiden Seiten – Jugendvertretern, Industrieverbände, Unternehmen, zivilgesellschaftliche Akteure, Kulturschaffende, Handelsexperten, Forschungseinrichtungen, Finanzierungsinstitutionen usw. – treffen sich in unterschiedlichen Foren und beraten über eine zukünftige Agenda und thematisieren auch die unterschiedlichen Vorstellungen. Es gibt sehr viele fruchtbare Debatten und letztlich ist das Engagement der afrikanischen Akteure noch nie so stark gewesen wie heute. Sie wollen die Lähmung der europäisch-afrikanischen Kooperation durch soft-power Netzwerke und gemeinsame Aktivitäten überwinden helfen. Ein hoffnungsvolles Zeichen.

Wenigstens in einer Hinsicht kann der Gipfel als diplomatischer Erfolg gewertet werden. Mehr als 40 afrikanische und alle 27 EU-Staats- und Regierungschefs nahmen am Gipfel teil. Die hohe Teilnehmerzahl spiegelt die politische Bedeutung der Beziehungen zwischen den beiden Kontinenten wider. Sie zeugt auch von der Gestaltungskraft der Präsidenten Macron und Sall, die abwechselnd den Vorsitz in den Verhandlungen innehatten.

Dennoch bleibt der Gipfel eine verpasste Chance. Er wurde von der EU, ihrer Agenda und ihren Instrumenten dominiert und versäumte es größtenteils, an den afrikanischen Initiativen anzusetzen oder neue Koordinierungsmechanismen für die Zusammenarbeit zu schaffen. Europa hatte zum Gipfel eine gemeinsame Partnerschaftsvision 2030 vorgelegt, unterließ es aber, die afrikanischen Regierungen und Stakeholder im Vorfeld einzubinden. Der Gipfel ging auch nicht über das hinaus, was bereits in der institutionellen Pipeline der EU vorhanden war. Von den afrikanischen Staatschefs kamen keine neuen Impulse, sie brachten keine eigenständige Agenda ein. Der Gipfel ist daher leider kein game changer, geschweige denn ein New Deal oder gar eine neue Allianz.


Prof. Dr. Robert Kappel ist Prof. Emeritus am Institut für Afrikastudien der Universität Leipzig und Aufsichtsratsmitglied der ÖFSE. Er bloggt unter https://graensengrenzen.wordpress.com/ und https://weltneuvermessung.wordpress.com/