Aktueller Kommentar Februar 2023
In der Ukraine gewinnen, aber den Globalen Süden verlieren?
Die letzten Sonntag zu Ende gegangene Münchener Sicherheitskonferenz hat gezeigt, dass die politischen Prioritäten des Westens und des Globalen Süden zunehmend divergieren. Der Fokus des Westens auf den Krieg in der Ukraine riskiert die drängenden Probleme des Globalen Südens zu vernachlässigen. Das ist nicht zuletzt geopolitisch kontraproduktiv.
Von Werner Raza (ÖFSE)
Lang waren die Gesichter der Vertreter*innen des Westens, als sich bei der Abstimmung über die UN Resolution zur Verurteilung des Angriffs Russlands auf die Ukraine am 2. März 2022, von 193 Mitgliedsstaaten ganze 35 Staaten der Stimme enthielten. Darunter 17 afrikanische Staaten und einflussreiche Schwellenländer wie Algerien, Indien oder Südafrika. Eine ganze Reihe von diplomatischen Bemühungen des Westens konnten daran bislang nichts Entscheidendes ändern. Hinter dieser in der EU und den USA überwiegend auf Unverständnis stoßenden Haltung steht ein neues Selbstbewusstsein vieler Regierungen im Globalen Süden. Sie betreiben, nicht zuletzt gestärkt durch das Auftreten neuer Player wie etwa China, in den letzten zwei Jahrzehnten eine eigenständige, auf nationale Interessen fokussierte Außenpolitik. Vor dem Hintergrund drängender Probleme wie Klimawandel, Migration oder Ernährungskrise gibt es schlicht andere Prioritäten. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Positionierung zum Krieg in der Ukraine, sondern auch hinsichtlich des geopolitischen Machtkampfs USA – China.
Fokus auf Ukraine lenkt Aufmerksamkeit von globalen Folgeeffekten ab
Der Fokus des US-geführten Westens auf den Ukraine-Krieg entspricht daher nicht den Interessen des Globalen Südens. Wenngleich viele Länder des Globalen Südens den Bruch des Völkerrechts durch Russland durchaus verurteilen, gibt es keine Bereitschaft zur militärischen Unterstützung auf Seiten der westlichen Allianz. Dafür gibt es aus Sicht des Globalen Südens triftige Gründe. Zum einen, weil China und teilweise auch Russland wichtige wirtschaftliche und politische Partner sind. Zum andern, weil die Länder des Globalen Südens überproportional unter den ökonomischen Folgen des Kriegs leiden. Dazu gehören als direkte Effekte vor allem der Anstieg der Preise für Nahrungsmittel und Energie, sowie zunehmende Knappheiten in der Versorgung mit anderen wichtigen Gütern, z.B. Düngemittel. Indirekte Effekte, die heuer deutlicher zutage treten dürften, haben die Änderungen in der Leitzinspolitik der US-amerikanischen Zentralbank Fed und anderer führender Zentralbanken. Der Versuch, die stark gestiegene Inflation in den USA und Europa durch höhere Zinsen zu bekämpfen, ist nicht nur makroökonomisch fragwürdig, sondern führt auch zu einer drastischen Erhöhung der externen Schuldenlast vieler Länder des Globalen Südens. Laut UNCTAD befanden sich Ende 2022 über 90 Länder am Rand einer Schuldenkrise. Dazu kommt, dass die US-Hochzinspolitik zu einer Aufwertung des USD gegenüber den meisten Währungen des globalen Südens geführt hat. Das resultierte einerseits in der Verteuerung notwendiger Importe von Energie und Lebensmitteln, andererseits erhöhte sich die Last der laufenden Schulden in den nationalen Budgets noch einmal. Auch interne Finanzierungskonditionen in den Ländern verteuern sich, wenn die nationalen Notenbanken die Zinsen erhöhen müssen, um Kapitalabflüssen entgegen zu wirken. Das wirkt dämpfend auf Wirtschaftswachstum und Investitionen. Die aktuelle Wachstumsprognose der Weltbank für 2023 musste daher um 1,1%-Punkte von 3,8% auf 2,7% für die Entwicklungs- und Schwellenländer (exkl. China) gesenkt werden. Laut Einschätzung von Expert*innen (siehe HIER und HIER) wird es bei Fortsetzung der US-Hochzinspolitik und dem Fehlen vorbeugender multilateraler Umschuldungsinitiativen künftig zu einer starken Zunahme von Staatspleiten im Globalen Süden kommen.
Systemwettbewerb USA - China stärkt eine Politik des Non-Alignment im Globalen Süden
Der geopolitische Wettbewerb zwischen den USA und China wird zunehmend aggressiver geführt. Die US-Politik der technologischen Abkopplung von China durch Exportverbote von High-tech-Gütern und die Verlagerung von Produktionskapazitäten in die USA wird mit großen Förderprogrammen (z.B. US Chips Act mit Fördervolumen von USD 280 Mrd.) vorangetrieben. Die EU geht in eine ähnliche Richtung und strebt mit dem EU Chips Act ebenfalls den Aufbau einer heimischen Halbleiterindustrie an. Sowohl die USA als auch die EU versuchen zudem Produktionsverlagerungen in Drittstaaten zu fördern. Frei nach dem Motto: „Ihr unterstützt unsere geopolitischen Positionen gegen China und Russland und im Gegenzug unterstützen wir eure Wirtschaft durch neue Produktionsansiedlungen und Arbeitsplätze“. Viele Länder im Globalen Süden haben durchaus Interesse an Direktinvestitionen, wollen deshalb aber ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu China nicht aufgeben. China ist mittlerweile der wichtigste Handelspartner für den Großteil der Staaten in Asien, Afrika und Südamerika (insgesamt knapp 130 Staaten). Die Kosten einer solchen Richtungsentscheidung sind für die Mehrheit der Länder schlicht zu groß.
Es ist daher wenig überraschend, dass die meisten Regierungen im Globalen Süden zu einer Politik der Zurückhaltung in der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen USA und China tendieren. Dabei wird explizit auf die Politik der Blockfreien Bewegung der 1950-70er Jahre verwiesen und versucht, diese im Licht der aktuellen Situation in Richtung eines „Non-Alignment 2.0“ weiter zu entwickeln (siehe HIER oder HIER).
Grüne Subventionsrally vertieft technologische Kluft, untergräbt globale Klimapolitik
Auch im Kampf gegen den Klimawandel und der dringenden Notwendigkeit, die sozial-ökologische Transformation voranzutreiben, zeigen sich große globale Divergenzen. Die den Ländern des Globalen Süden im Rahmen des Pariser Klimaabkommens zugesagten Finanzhilfen, hinken weit hinter der Zielvorgabe von 100 Mrd. USD pro Jahr her (siehe HIER). Auch der bei der COP27 in Sharm El-Sheikh beschlossene Loss and Damage Fund wird daran in absehbarer Zeit nichts ändern.
Der finanziellen Knausrigkeit auf globaler Ebene steht eine zunehmende Spendierfreude auf nationaler Ebene gegenüber. So haben führende Industrieländer in den letzten Monaten umfangreiche grüne Investitionsprogramme beschlossen oder angekündigt. Die USA stellen im Rahmen des „Inflation Reduction Acts“ rund 370 Mrd. USD an Fördermitteln zur Verfügung, deren Inanspruchnahme zum Teil an WTO-widrige Bedingungen geknüpft ist, wie z.B. die Verwendung von einheimischen Rohstoffen oder Wertschöpfungsanteilen. Das muss angesichts des jahrzehntlangen Drucks der Industrieländer zur Reduktion von Subventionen in der WTO, von vielen Ländern des Globalen Südens als glatter Hohn empfunden werden. Auch die EU verwendet im Rahmen diverser industriepolitischer Initiativen hunderte Milliarden Euro für die Förderung grüner Investitionen. 30% des rund 750 Mrd. Euro schweren Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ sollen in Investitionen für erneuerbare Energien gehen. Zudem sollen mit dem Ende 2022 akkordierten Carbon Border Adjustment Mechanismus (CBAM) rohstoff- und energieintensive Importe aus Drittstaaten in die EU durch einen Klimazoll verteuert werden.
Grüne Industriepolitik ist klimapolitisch grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings zielt diese Politik darauf ab, in den Zukunftstechnologien Wettbewerbsvorteile für EU und USA zu sichern. Damit sollen über den Investitionsschub Wachstum und Beschäftigung im Binnenmarkt gefördert werden. Die Fähigkeit zur großflächigen Subventionierung korreliert eng mit der finanziellen Stärke eines Landes und steht daher der überwiegenden Mehrzahl der Staaten des Globalen Südens nicht zur Verfügung. Ohne internationale Maßnahmen zum Technologietransfer und zur Zusammenarbeit im Bereich F&E droht somit die Vertiefung der globalen Kluft bei grünen Technologien. Viele Regierungen des Globalen Südens, der von den Auswirkungen des Klimawandels überproportional betroffen ist, kritisieren mit gutem Grund, dass die Industrieländer sich ihrer historischen Verantwortung nicht stellen.
Die geopolitische Auseinandersetzung wird nicht nur in der Ukraine gewonnen
Die globalen Folgeeffekte des Kriegs in der Ukraine, insbesondere auf den Globalen Süden werden zunehmend sichtbar. Dies zu ignorieren, riskiert eine weitere Entfremdung der Länder des Globalen Südens von der liberalen internationalen Ordnung. Gerade vor dem Hintergrund, dass USA und EU die Unterstützung der Länder des Globalen Südens in der geopolitischen Auseinandersetzung mit China und Russland brauchen, ist dies politisch kurzsichtig. USA und EU sind gefordert, hier neue Initiativen zu setzen. Der vorzeitige Rückzug von David Malpass von der Spitze der Weltbank böte beispielsweise die Chance, durch eine umfassende Reform der Weltbank die Spielräume bei der globalen Klimafinanzierung und der makroökonomischen Stabilisierung angesichts steigender Schuldenlasten signifikant zu steigern. Die von Mia Mottley, Premierministerin von Barbados, geleitete Bridgetown-Initiative hat dazu bereits sinnvolle Vorschläge gemacht, die man jetzt aufgreifen sollte.
Dr. Werner Raza ist Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE)
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