Aktueller Kommentar Jänner 2024
Wendepunkt 2024: ein Jahr der Entscheidung nicht nur für die Entwicklungszusammenarbeit
Das Superwahljahr 2024 könnte in Österreich, der EU und den USA politische Veränderungen einläuten, welche die Chance auf konstruktive internationale Zusammenarbeit auf absehbare Zeit zunichtemachen. Angesichts existenzieller globaler Krisen wäre das eine Katastrophe. Statt einer Forcierung werteorientierter Außenpolitik, braucht es dafür einen solidarischeren Zugang zu internationaler Politik auf Basis gemeinsamer Interessen.
Von Werner Raza (ÖFSE)
Superwahljahr in Österreich, der EU, und den USA
2024 ist das Jahr, in dem die politischen Weichen für die kommenden vier bis fünf Jahre neu gestellt werden. Mit den voraussichtlich im Herbst stattfindenden Nationalratswahlen gilt dies für Österreich gleichermaßen wie auf internationaler Ebene, wo vor allem der Ausgang der Wahlen zum Europäischen Parlament (6. – 9. Juni) und die Präsidentschaftswahlen in den USA am 5. November weitreichende Auswirkungen zeitigen könnten.
Bei all den genannten Wahlen ist ein Erstarken rechter bis rechtsautoritärer Kräfte zu erwarten. In Abhängigkeit vom Ausmaß des Rechtsrucks ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass wir in den kommenden Jahren deutliche Änderungen in der politischen Programmatik wie auch Praxis sehen werden. Dies dürfte auch für die Entwicklungszusammenarbeit nicht ohne Folgen bleiben.
EZA & HuHi unter Druck, auch in der EU
Rechte bzw. rechtspopulistische Parteien haben traditionell ein distanziertes Verhältnis zu Fragen internationaler Zusammenarbeit im Allgemeinen, und zum Thema Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (EZA & Huhi) im Besonderen. Oft werden Argumente wie Korruption und die Finanzierung autoritärer Regime gegen EZA & HuHi in Stellung gebracht. Generell wird EZA & HuHi als Instrument zur Durchsetzung eng definierter nationaler Interessen gesehen. Unter Rückgriff auf derlei Argumente hat im EZA Musterland Schweden die von den Schwedendemokraten unterstützte und 2023 ins Amt gekommene Rechtsregierung die EZA & HuHi von über 1% des BIP auf 0,88% gekürzt, Finanzflüsse an Partnerländer an die Bedingung der Rücknahme von Asylwerber*innen gebunden, und die Beiträge an multilaterale Einrichtungen wie den Vereinten Nationen zurückgefahren. Zudem wurde bis 2026 ein vollständiges Auslaufen der Forschungsförderung für Entwicklungsforschung angekündigt, nachdem die Mittel im Juni 2023 überfallsartig gekürzt worden waren.
Auch das Beispiel Deutschland zeigt, dass EZA & HuHi rasch unter Druck kommen können. Der infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse von FDP Finanzminister Lindner durchgesetzte Sparhaushalt sieht im Jahr 2024 eine Reduktion der EZA Mittel um rund € 930 Mio. und jener für HuHi um € 400 Mio. vor. Vor allem auf Betreiben der FDP sind weitere Kürzungen in den Folgejahren vorgesehen.
Auch in Österreich wird der Rotstift angesetzt. Die mittelfristige Finanzplanung der österreichischen Bundesregierung sieht ab 2025 eine Kürzung des Budgets für das BMEIA vor. Aufgrund des Status der EZA Mittel als Ermessensausgaben dürfte dies auf die Mittelzuweisung an die ADA durchschlagen. Das ist weniger Ausdruck einer entwicklungspolitischen Kehrtwende, sondern folgt dem von Finanzminister Brunner vorgegebenen allgemeinen Konsolidierungskurs. Hier ist das letzte Wort allerdings noch nicht gesprochen. Das Budget 2025 ist schließlich erst von einer neuen Bundesregierung im Herbst 2024 zu verhandeln. Klar ist aber, dass eine Regierungsbeteiligung der FPÖ Kürzungen bei den EZA & HuHi Mitteln wahrscheinlich macht, haben doch FPÖ Vertreter*innen wiederholt klargemacht, dass Sie die EZA & HuHi in der derzeitigen Form und Höhe nicht unterstützen (siehe z.B. HIER und HIER).
Wertebasierte Außenpolitik oder multipolare Ordnung?
Komplementär zu den sich abzeichnenden innenpolitischen Verschiebungen in Österreich, Europa und den USA lässt sich feststellen, dass auch die globalpolitischen Veränderungen Auswirkungen auf die Entwicklungszusammenarbeit zeitigen. Einerseits, indem EZA zunehmend für die eigenen geopolitischen Zwecke in Dienst genommen wird -- die Global Gateway Initiative der EU oder die geplante Verknüpfung von EZA als Unterstützung für den erweiterten Zugang zu kritischen Rohstoffen im Globalen Süden sind Beispiele dafür. Andererseits, indem Rivalitäten um globale Hegemonialansprüche zu Blockbildungen bzw. zur Herausbildung von Einflusszonen führen. Unterfüttert wird dies durch Legitimationsnarrative, die den eigenen Standpunkt zulasten des Anderen aufwerten. Die von den USA forcierte und von der EU weitgehend übernommene, sogenannte „Werteorientierung“ in der internationalen Politik folgt diesem Muster. Sie stellt einem imaginierten „Wir“ – die Gemeinschaft der liberalen, marktwirtschaftlichen Demokratien – ein „Anderes“, bestehend aus autoritären, die Menschenrechte missachtenden Regimen (China, Russland, Iran, u.a.) gegenüber. Länder, vor allem im Globalen Süden, die keinem dieser Pole angehören, werden mit einer Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche unter Druck gesetzt, sich für eines der beiden Lager zu entscheiden. Die EZA & HuHi droht hier instrumentalisiert zu werden, indem sie präferentiell den eigenen „Freund*innen“ zugutekommt, freilich verbunden mit der Drohung des Entzugs von Mitteln, wenn bestimmte Konditionalitäten nicht erfüllt werden. In diesem Punkt verbinden sich rechtsautoritäre Programmatik und geopolitische Strategie.
Die zunehmende Werteorientierung der westlichen Geber stößt allerdings auf starken Widerstand aus dem Globalen Süden. Vor allem Mittelmächte wie Brasilien, Südafrika, Indien oder Indonesien wollen sich weder dem Westen noch China anschließen. Stattdessen streben sie eine aktualisierte Form der aktiven Blockfreiheit im Rahmen einer multipolaren Weltordnung an. Gute politische und wirtschaftliche Beziehungen wollen sie mit beiden Blöcken pflegen. Welche Werte sie vertreten, möchten sie sich insbesondere vom Westen nicht länger vorschreiben lassen. Die Positionierung des Westens in Bezug auf den Krieg in der Ukraine und den Gaza Konflikt haben die diesbezüglichen Vorbehalte des Globalen Südens weiter verstärkt.
Es geht nicht um Verteidigung unserer Werte, sondern um das Erkennen gemeinsamer Interessen
So wichtig das Bekenntnis zur liberalen Demokratie, zu den Menschenrechten oder zur (sozialen) Marktwirtschaft für viele in Europa berechtigterweise ist, ist die Forcierung der Werteorientierung in der internationalen Politik angesichts der veränderten globalen Rahmenbedingungen eine Sackgasse. Sie droht ohnedies bereits vorhandene Spaltungen und Brüche zu vertiefen. Angesichts drastisch zunehmender globaler Problemlagen, wie dem Klimawandel, die nur gemeinsam zu bewältigen sind, können wir uns einen weiteren Leerlauf in der internationalen Zusammenarbeit schlicht nicht mehr leisten. Es kann derzeit nicht darum gehen, die eigene Vormachtstellung im Weltsystem gegen als bedrohlich wahrgenommene Rivalen zu verteidigen. Der Westen, also EU und USA, sollte zur Kenntnis nehmen, dass die überwiegende Mehrzahl der Länder im Globalen Süden weder eine globale Ordnung unter Führung der USA, noch eine neue Weltordnung unter Führung Chinas unterstützt, sondern ein neues multipolares Alternativmodell anstrebt. Dieses muss stärker auf den Prinzipien der Anerkennung staatlicher Souveränität und gleichberechtigter Teilnahme aller Länder an den internationalen Beziehungen aufbauen.
Statt um die Betonung unserer Werte muss es in der internationalen Politik generell und in der EZA & HuHi im Besonderen künftig darum gehen, eine Politik auf Basis gemeinsamer Interessen zu definieren. Solidarische Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Klimakrise ist schließlich keine Frage der Werte, sondern des gemeinsamen Menschheitsinteresses. Die im Dezember 2023 begonnene, einjährige G-20 Präsidentschaft Brasiliens sollte dafür genutzt werden, die Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden wieder auf eine konstruktive Basis zu stellen. Brasiliens G-20 Agenda mit den Schwerpunkten (1) Bekämpfung von Ungleichheit und Hunger, (2) Bekämpfung des Klimawandels und Förderung nachhaltiger Entwicklung, und (3) Reform der globalen Institutionen, bietet dafür eine gute Grundlage. Die EU sollte diese Chance zur Kooperation ergreifen.
Die österreichische Politik und nicht zuletzt die Bevölkerung sollte sich klarmachen, dass nicht nur die Bewältigung der existenziellen Krisen unserer Zeit auf intensive internationale Zusammenarbeit angewiesen ist. Letztlich hängt auch unser wirtschaftlicher Erfolg als kleine offene Volkswirtschaft davon ab, dass wir auch in Zukunft kooperative Beziehungen zur Welt unterhalten. Das heißt nicht, dass wir unser Bekenntnis zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten entsorgen. Wir tun aber gut daran, dies – wie im Fall des EU Lieferkettengesetzes - zuvorderst im Rahmen unseres eigenen politischen Wirkungsbereichs voranzutreiben.
Die im Jahr 2024 zur Wahl stehende politische Programmatik des „Österreich/Europa/USA first!“ in Verbindung mit einer als „wertebasierte Außenpolitik“ verbrämten konfrontativen Geopolitik ist also kein Schicksal, sondern eine Wahl. Die Bürger*innen sollten wissen, was dabei auf dem Spiel steht.
Dr. Werner Raza ist Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE).