Aktueller Kommentar Juni 2017
Der neue EU-Konsens für Entwicklung – Entwicklungspolitik im Dienste der EU-Außen- und Sicherheitspolitik
Der im Juni 2017 unterzeichnete neue EU-Konsens für Entwicklung definiert als primäres Ziel der EU-Entwicklungspolitik die globale Armutsbekämpfung, ordnet diese aber gleichzeitig der EU-Außen- und Sicherheitspolitik unter. Wird dies dem Anspruch der SDGS für eine umfassende sozial-ökologische Transformation gerecht?
Michael Obrovsky und Margarita Langthaler (ÖFSE), Juni 2017
Wozu ein neuer EU-Konsens?
Der globale Kontext hat sich seit der Verabschiedung des bisher gültigen EU-Konsens im Jahr 2005 wesentlich verändert. Auf der einen Seite zeigen sich neue oder stärker sichtbare globale Herausforderungen wie Ungleichheit, Instabilität, Klimaveränderungen, mehr und differenzierte Partnerländer. Auf der anderen Seite haben sich sowohl auf EU- als auch auf UN-Ebene die vertraglichen Rahmenbedingungen (Lissabon Vertrag, Addis Ababa Action Agenda, Sustainable Development Goals – SDGs, Pariser Klima Abkommen, Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU) verändert.
Das Ziel des am 7. Juni 2017 unterzeichneten Konsens mit dem Titel The New European Consensus on Development „Our World, our Dignity, our Future“ ist es, einen Bezugsrahmen für einen gemeinsamen Ansatz der EU-Entwicklungspolitik auszuarbeiten, der sich wesentlich auf die Sustainable Development Goals (SDGs) bezieht, sowohl für alle EU-Institutionen als auch für die Mitgliedsländer für die nächsten 15 Jahre gültig ist und die unterschiedlichen Rollen und Kompetenzen der AkteurInnen – wie sie im Lissabon Vertrag von 2009 festgehalten wurden – berücksichtigt.
Der EU-Konsens stellt als gemeinsames Papier von Parlament, Rat und Kommission die gemeinsame EU-Vision der künftigen Gestaltung der Entwicklungspolitik dar, die den Mitgliedsländern einen breiten Handlungsspielraum offen lässt. In diesem Sinn werden die zentralen Aspekte der 2030 Agenda (People, Planet, Prosperity, Peace and Partnership) aufgegriffen und die ökonomischen, sozialen und ökologischen Dimensionen der Nachhaltigen Entwicklung bestätigt, aber als Teil der Globalen Strategie der EU dargestellt.
Transformationsagenda oder Entwicklungspolitik im Dienste der EU-Außen- und Sicherheitspolitik?
Die in den SDGs geforderte sozial-ökologische Transformation der Welt, die globale nachhaltige Entwicklung erst möglich macht, ist aus dem EU-Konsens nicht herauszulesen. Zwar betont er, dass Armutsbekämpfung das primäre Ziel der EU-Entwicklungspolitik bleibt. Er macht jedoch auch deutlich, dass das Bekenntnis der EU zu den SDGs und zu den Vereinbarungen des Pariser Klimagipfels dazu dienen sollen, die Rolle der EU zu stärken. „By contributing to the achievement of the 2030 Agenda, the EU and its Member states will also foster a stronger, more sustainable, inclusive, secure and prosperous Europe.“ (Council of the European Union 2017: 3) Bereits am Anfang wird klargestellt, dass mit der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU die Visionen für das Engagement der EU in der Welt festgelegt worden sind und dass die SDGs ein Querschnittsthema bei der Umsetzung der Globalen Strategie darstellen. „This Consensus will contribute to the achievements of the priorities of EU external action, including through support to resilience at all levels.“ (ebd.: 4) Damit gelingt es der EU elegant den zentralen Gedanken der SDGs –die sozio-ökologische Transformation der Welt – unter den Tisch fallen zu lassen, denn die Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU strebt in erster Linie ein stärkeres Europa an, das „zu Frieden und Sicherheit in unserer Region und in der ganzen Welt beiträgt“ (ebd.).
Konsens zur Migrationsabwehr
Neu ist die starke Verknüpfung von Entwicklungspolitik und Migrationsmanagement. Sie ist einerseits eine Reaktion der EU auf die große Anzahl von MigrantInnen, die 2015 und 2016 aus Syrien, dem Irak und Afghanistan nach Europa gekommen sind und andererseits versucht sie, die Vorgaben der SDGs mit den Zielen der Globalen Strategie in Einklang zu bringen. Entwicklungspolitik wird in der Globalen Strategie explizit stärker in die Pflicht genommen, um die gemeinsamen Interessen voranzubringen. In Kapitel 4 „Von der Vision zur Aktion“ heißt es: „…wird die Entwicklungspolitik flexibler und an unsere strategischen Prioritäten angepasst.“ (Mogherini 2016: 41) Unter den Prioritäten des Auswärtigen Handels findet sich auch eine „wirksamere Migrationspolitik“. Im Konsens heißt es dazu, nicht zuletzt auf Druck bestimmter Mitgliedsstaaten wie Ungarn: „Through development policy, the EU and its Member States will address the root causes of irregular migration and will, inter alia, contribute to the sustainable integration of migrants in host countries and communities and help ensure the successful socio-economic integration of returning migrants in their countries of origin or transit.“ (ebd.: 17) Diese konkrete „Anpassung“ der Entwicklungspolitik an die strategische Priorität der Migrationsabwehr zeigt, dass im Zweifelsfall Entwicklungspolitik den politischen Eigeninteressen der Mitgliedsstaaten untergeordnet wird. Zudem macht sie deutlich, dass die vielfältigen Erwartungshaltungen an Entwicklungspolitik sowohl die konkrete Funktionalität der Entwicklungszusammenarbeit als auch die realen Interventionsmöglichkeiten in den Partnerländern weit überschätzen.
Finanzierung nach wie vor offen
Der Konsens betont mehrmals – mit Verweis auf die Addis Ababa Action Agenda von 2015 – dass die Verknüpfung der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit mit anderen Ressourcen sowie die Mobilisierung von „domestic resources“ und die Hebelung von privaten Mitteln sowie die wirksame Verwendung aller Mittel bei der Umsetzung der SDGs wichtig ist. Es wird auch betont, dass die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) vor allem für die ärmsten und am meisten gefährdeten Länder eine wichtige Rolle spielt. Die Zusage 0,7% des BNE als ODA bis 2030 zu leisten wurde bei der Addis Ababa Action Agenda nicht mehr für jedes einzelne EU-Land erneuert, sondern nur mehr als gemeinsame Zusage der EU abgegeben. Ein entsprechendes EU internes burden sharing zur Umsetzung dieser finanziellen Zusage fehlt bisher für die ODA.
Konkrete Umsetzung der SDGs erst ab 2018
Der Konsens hebt wichtige entwicklungspolitischen Querschnitts-Themen und Herausforderungen (Jugend, Geschlechtergleichstellung, nachhaltige Energie und Klimawandel, Investitionen und Handel, gute Regierungsführung, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, Finanzierung der Entwicklung und Zusammenarbeit mit Schwellenländern) hervor und verweist darauf, dass die Kommission jenen Maßnahmen besondere Aufmerksamkeit widmen wird, die die unterschiedlichen Ziele in einer kohärenten Art und Weise verfolgen. Der Konsens bleibt hier allerdings sehr vage.
Ein überraschend positives Zeichen setzte hingegen der Allgemeine Rat am 20. Juni 2017: Per Ratsschlussfolgerung fordert er die Kommission auf, bis Mitte des Jahres 2018 eine Umsetzungsstrategie inklusive Zeitplan, Zielen und konkreten Maßnahmen sowie eine entsprechende Lückenanalyse in allen relevanten Politikbereichen auszuarbeiten. Damit reagiert der Rat auf die Mitteilung der Kommission vom 22. November 2016, in dem die Kommission die Umsetzung der SDGs auf EU-Ebene einerseits durch die Europe 2020-Strategie abgedeckt sieht und andererseits ein SDG Mainstreaming in allen EU-Politiken vorsieht (EU Commission 2016: 18).
Sowohl die Umsetzung des neuen Konsenses als auch die geforderte Umsetzungsstrategie der EU zu den SDGs wird davon abhängen, ob zwei zentrale Schlüsselfaktoren einer intergouvernementalen Politik tatsächlich ernst genommen werden. Sowohl der Konsens als auch die Globale Strategie verweisen darauf, dass für eine erfolgreiche Umsetzung zwei Voraussetzungen gegeben sein müssen: (i) Greater coherence is required between Member States and EU Institutions und (ii) The EU and its Member States must be united in diversity using a variety of experiences and approaches (Council 2017: 5).
Policy Coherence for Development (PCD) bzw. Policy Coherence for Sustainable Development (PCSD) wird im Konsens als „crucial element of the strategy to achieve the SDGs“ (Council of the European Union 2017: 51) bezeichnet. Die SDGs – als Verknüpfung mehrerer Politikbereiche mit dem Ziel der globalen nachhaltigen Entwicklung – haben zu einer Renaissance des PC(S)D Konzeptes geführt. Dessen konkrete politische Umsetzung steht aber nach wie vor aus. Vielfach funktioniert der Interessensausgleich zwischen den verschiedenen Politikbereichen nicht. Institutionelle Ebenen zur Herstellung einer kohärenten Politik sind entweder nicht vorhanden oder begnügen sich mit dem Informationsaustausch anstatt kohärente Politikentscheidungen im Sinne einer nachhaltigen globalen Entwicklung herbeizuführen. Die Defizite bei der gemeinsamen Europäischen (Außen-)Politik zeigen sich derzeit nicht nur im Umgang der EU-Mitgliedsländer mit dem Thema Migration. Nationale Interessen verhindern oftmals gemeinsame europäische Positionen, die aber einer europäischen Globalen Strategie erst Relevanz und Gewicht verleihen.
Was am Beispiel Migration auch deutlich wird, ist, dass eine globale nachhaltige (Entwicklungs-)Politik anderen politischen Prioritäten untergeordnet wird, nicht umgekehrt.
› Hinweis: Im Juli erscheint eine ÖFSE Policy Note zur Umsetzung der SDGs auf EU-Ebene
Literatur:
European Comission (2016): Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and social committee and the committee oft he regions. Next steps for a sustainable European future. European action for sustainability, COM(2016) 739 final. https://ec.europa.eu/europeaid/sites/devco/files/communication-next-steps-sustainable-europe-20161122_en.pdf (Zugriff: 26.06.2017).
Council of the European Union (2017): European Consensus on Development, 9459/17. https://ec.europa.eu/europeaid/sites/devco/files/european-consensus-on-evelopment-20170602_en_0.pdf (Zugriff: 26.06.2017).
Council of the European Union (2017a): A sustainable European future: The EU response to the 2030 Agenda for Sustainable Development, Council conclusions (20 June 2017), 10370/17.
Mogherini, Federica (2016): Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. https://europa.eu/globalstrategy/sites/globalstrategy/files/eugs_de_0.pdf (Zugriff: 26.06.2017).
Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
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Mag.a Margarita Langthaler, Senior Researcher
Arbeitsschwerpunkte: Bildungsstrategien in der EZA, Berufliche Bildung und Skills Development, Education for All und die Post-2015-Agenda, Entwicklungsforschung in Österreich
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