Aktueller Kommentar Juni 2022
Das Ziel aus den Augen verloren? Wie das ambitionierte Regierungsprogramm zur österreichischen Entwicklungszusammenarbeit bis 2024 noch umgesetzt werden könnte.
Die ÖVP/GRÜNE Bundesregierung hat im Jänner 2020 ein Regierungsprogramm vorgelegt, das ein klares Bekenntnis zur Stärkung der EZA, der humanitären Hilfe und der entwicklungspolitischen Bildung als Instrumente „einer kohärenten, gesamtstaatlichen und treffsicheren Entwicklungspolitik“ enthält. Nach der Halbzeit ist die entwicklungspolitische Bilanz mager. Angesichts sich zuspitzender globalen Krisenlagen braucht es jetzt mutige politische Entscheidungen und Sofortmaßnahmen, damit noch eine entwicklungspolitische Wende eingeleitet werden kann.
Michael Obrovsky, Juni 2022
Ein umfangreiches Programm …
zur Neuausrichtung der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit wurde von den Koalitionspartnern ÖVP/GRÜNE als Teil des Regierungsprogramms 2020 vorgelegt. Einige wichtige Punkte des ambitionierten Regierungsprogramms waren:
- Schrittweise Erhöhung der Entwicklungsgelder Richtung 0,7 % des BNP (sic!)
- Substantielle Erhöhung der Hilfe vor Ort: Aufstockung der humanitären Hilfe (u.a. für Flüchtlingslager vor Ort, aber auch für den Auslandskatastrophenfonds)
- Ausweitung der finanziellen Mittel im Bereich der bi- und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) mit Fokus auf bilaterale Mittel
- Aufwertung und ausreichende Finanzierung der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit, um das Verständnis für globale Zusammenhänge und die Agenda 2030 zu fördern
- Für die humanitäre Hilfe Österreichs wird eine Strategie mit Zielen und Zuständigkeiten erstellt.
- Weiterentwicklung des 3-Jahres-Programms der ADA (sic!) zu einer Gesamtstrategie für eine kohärente, gesamtstaatliche und treffsichere Entwicklungspolitik mit Zielen und Zuständigkeiten sowie Effektuierung der damit verbundenen interministeriellen Koordination, die sicherstellt, dass die Maßnahmen in der Wirtschafts-, Handels-, Finanz, Landwirtschafts-, Migrations-, Sozial-, Klima- und Umweltpolitik die Erreichung der entwicklungspolitischen Ziele fördern
- Bekenntnis zu einer fundierten Evaluierung der Wirksamkeit von EZA-Maßnahmen, so wie dies in allen Förderbereichen durchgeführt wird
- Setzung internationaler Initiativen im Kampf gegen die Klimakrise, die Hunger und Armut verstärkt, z.B. Aufbau von Wasserversorgungssystemen, Anbau hitzebeständiger Getreideformen u.Ä.
- Österreichische Initiative in der EU für einen EU-Zukunftspakt mit Afrika
…. harrt großteils der Umsetzung
Einige dieser Punkte sind bereits in Angriff genommen worden. Bei der Erhöhung der „Entwicklungsgelder“ und bei der substantiellen Erhöhung des Auslandskatastrophenfonds (AKF) konnte sich die Koalition bereits im Herbst 2020 einigen. Die Steigerung des Budgets des AKF von 25 Mio € auf 50 Mio € als finanzielle Kompensation der ablehnenden Haltung Österreichs bei der Aufnahme von jugendlichen Migrant*Innen aus dem Flüchtlingslager Moria zugunsten von Maßnahmen der humanitären Hilfe „vor Ort“ war ein erster Erfolg der GRÜNEN, die Steigerung des AKF-Budgets um 5 Mio € bis 2022 und eine weitere einmalige Ausschüttung von 46 Mio € im Mai 2022 als Verdoppelung des Spendenaufrufs der Aktion Nachbar in Not anlässlich des Ukraine Krieges brachte dem AKF im Jahr 2022 erstmals ein Budget knapp über 100 Mio €. Eine substantielle Aufstockung des AKF ist daher im Jahr 2022 erfolgt. Die Budgetierung des AKF für die Folgejahre geht von 55 Mio € aus. Diese Mittel werden aufgrund der Auswirkungen des Ukraine Krieges auf die Länder des globalen Südens wohl kaum reichen.
Die Ausweitung der finanziellen Mittel der bilateralen Hilfe (konkret des ADA-Budgets) konnte hingegen nicht erreicht werden, da der Budgetvoranschlag für die ADA zwischen 2020 und 2022 nur von 114,4 Mio € auf 125,1 Mio € gesteigert wurde. Auch wenn der entwicklungspolitische Sprecher der ÖVP Martin Engelberg „vom größten Budget aller Zeiten für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe“ spricht, so kann dies nur der erste Schritt einer schrittweisen Erhöhung der Entwicklungsgelder Richtung 0,7% des BNE sein. Das heißt konkret: Eine einmalige Erhöhung des AKF um 46 Mio € bringt bei einem BNE Österreichs von rund 402 Mrd € (2021) eine einmalige Erhöhung der ODA-Quote um bestenfalls 0,01%. Die Steigerung des ADA-Budgets um 10,7 Mio € ist bei der ODA-Quote vernachlässigbar. Um eine schrittweise, aber nachhaltige Erhöhung zu erreichen braucht es eine jährliche, signifikante Aufstockung der Budgets. Bedenkt man, dass die ODA-Leistungen im Jahr 2021 mit 0,31 % des BNE um 0,01% höher als im Jahr 2020 waren, dann erfüllt Österreich seine internationalen Verpflichtungen bei einer jährlichen Steigerung der ODA-Quote um 0,01% erst in 39 Jahren.
Aufgrund der Anrechenbarkeit der Kosten für Geflüchtete bzw. Asylwerber*Innen (Ukraine, Afghanistan, Syrien) kommt es 2022 zu einer automatischen Erhöhung der bilateralen ODA. Allerdings führen diese Leistungen nur zu einem kurzfristigen Anstieg der ODA-Quote, da nur Mittel im ersten Jahr für Geflüchtete und Asylwerber*Innen angerechnet werden können. Auch die Anrechenbarkeit von Entschuldungen führt zu kurzfristig steigenden ODA-Quoten, die in den Folgejahren wieder absinken.
Die nachhaltige Erhöhung der bilateralen Mittel und insbesondere die Finanzierung der entwicklungspolitischen Inlands- und Bildungsarbeit kann daher nur über eine Steigerung des Budgets der ADA erfolgen.
Die im Herbst 2020 begonnene Strategie für Humanitäre Hilfe sowie das Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik 2022–2024 liegen als Entwürfe im BMEIA vor, harren aber seit Monaten auf eine politische Einigung der Koalitionspartner. Laut Bericht der Tageszeitung STANDARD scheitert die Beschlussfassung beider Strategien an einer verbindlichen Zusage einer schrittweisen Erhöhung des EZA-Budgets, die von den GRÜNEN mit Verweis auf das Regierungsprogramm eingefordert wird.
Das Bekenntnis zu einer fundierten Evaluierung der Wirksamkeit von EZA-Maßnahmen wurde bereits 2019 mit einer Evaluierungspolicy der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit dokumentiert. Die Umsetzung von Empfehlungen der Institutionellen Evaluierung der ADA 2019 vor allem im Hinblick auf finanzielle Ausstattung oder auch des OECD Peer Review Austria 2020 zur Anhebung der ODA-Quote und eine Veränderung der Zusammensetzung der ODA blieben bis jetzt aus.
Die im Regierungsprogramm angekündigten internationalen Initiativen Österreichs im Kampf gegen Klimakrise, Hunger und Armut sind zwar grundsätzlich zu begrüßen, da die Corona-19 Pandemie und andere Krisen in den letzten Jahren zu einer Zunahme von Ungleichheit, Armut und Hunger im globalen Süden geführt haben. Aufgrund des Kriegs in der Ukraine braut sich gerade der nächste Perfect Storm einer globalen Ernährungskrise zusammen, die vor allem afrikanische Länder stark treffen wird. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt zugleich, dass es nicht an internationalen Initiativen fehlt, sondern an der Bereitschaft diese zu finanzieren und umzusetzen. Eine solide nationale Entwicklungsfinanzierung und eine kohärente, gesamtstaatliche Entwicklungspolitik wären hier entscheidende Voraussetzungen dafür, dass Österreich einen glaubwürdigen und seiner Wirtschaftskraft angemessenen Beitrag zur Bewältigung der sich verschlimmernden globalen Problemlagen leisten könnte.
Das Budget ist die in Zahlen gegossene Politik
Wenn die Bundesregierung die im Regierungsprogramm festgeschriebenen Zielsetzungen in der Entwicklungszusammenarbeit umsetzen möchte, dann erfordert dies bei den im Herbst beginnenden Budgetverhandlungen über das Budget 2023 eine weitere signifikante Steigerung des ADA-Budgets und des Budgets des AKFs, um eine „schrittweise Erhöhung“ in Richtung 0,7% zu realisieren. Sowohl die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie als auch des Ukraine Krieges auf Länder des globalen Südens erfordern der multiplen Krise entsprechende budgetäre Vorkehrungen. Sowohl die Ausgaben für die Bekämpfung der COVID-19 Pandemie in Österreich als auch das soeben beschlossene Entlastungspaket der Bundesregierung für den Teuerungsausgleich der gestiegenen Energiekosten aufgrund des Ukraine Krieges und der Inflation in der Höhe von insgesamt 28 Mrd €, zeigen einmal mehr deutlich, dass der budgetäre Handlungsspielraum zur Steigerung des Entwicklungsbudgets vorhanden ist. Das für die Entwicklungspolitik und die Entwicklungszusammenarbeit zuständige BMEIA müsste daher vor allem bei den Budgetverhandlungen initiativ werden, um der Verantwortung für Österreich gerecht zu werden. Das Budget für die viel zitierte weltweite Hilfe vor Ort als Bekämpfung der Ursachen für Armut, Hunger und Migration entspricht 2022 gerade einmal den budgetären Rückstellungen des Familienministeriums für die Nachzahlung der Familienbeihilfe (220 Mio €) aufgrund der Indexierung der Familienbeihilfe im Jahr 2019.
Will man reale Kürzungen des EZA-Budgets auf Grund der starken Teuerung nicht in Kauf nehmen, dann sind darüber hinaus auch noch Inflationsanpassungen und eine gesetzliche Verankerung des EZA-Budgets zu berücksichtigen. Derzeit sind die Budgets für die ADA und für den AKF Ermessensausgaben, die im Rahmen von Budgetkonsolidierungen als Erstes gekürzt werden. Um zu verhindern, dass das EZA-Budget und das Budget für den AKF ein Opfer der Ausgaben für die Bekämpfung der COVID-19 Pandemie und der Aufwendungen für den Teuerungsausgleich werden, müssen rasch Vorkehrungen getroffen werden.
Klimakrise, Corona-19 Pandemie und aktuell der Krieg in der Ukraine zeigen, dass Österreich längst keine Insel der Seligen mehr ist. Dramatisch sich zuspitzende globale Herausforderungen verlangen nach neuen Antworten. Diese Bundesregierung hat in den verbleibenden zweieinhalb Jahren der Legislaturperiode noch die Chance, dieser Einsicht auch Taten folgen zulassen.
Dr. Michael Obrovsky, Senior Researcher
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
› mehr Informationen zu Michael Obrovsky