Aktueller Kommentar Juni 2024
Die OEZA nach den Nationalratswahlen - Ambition oder Niedergang?


Angesichts eines zunehmend rauen weltpolitischen Klimas und einer partiellen Rechtsverschiebung des europäischen politischen Systems, steht auch für die Oesterreichische Entwicklungszusammenarbeit bei der Nationalratswahl im September viel auf dem Spiel.
Von Werner Raza und Lukas Schlögl (ÖFSE), Juni 2024
Markante Veränderungen der internationalen Rahmenbedingungen für EZA
Die europäische Entwicklungszusammenarbeit befindet sich in einem Umbruch. Nach Jahrzehnten relativer Stabilität erlebten die ODA-Quoten der europäischen Länder leichte Anstiege oder blieben zumindest konstant. Die Entwicklungszusammenarbeit erhielt in Folge der Pariser Erklärung zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit aus dem Jahr 2005 einen Professionalisierungsschub. In den letzten Jahren sehen wir jedoch deutliche Anzeichen eines Wandels. Dieser Wandel ist das Ergebnis von vor allem vier Faktoren:
- Die Verschiebung der geopolitischen Situation, und die zunehmende Rivalität zwischen den USA und China. Die Rivalität befördert das Narrativ eines Kampfes zwischen westlichen Demokratien und Autokratien mit und trägt zu Lagerbildung und Konditionalisierung von Kooperationsangeboten bei. Gleichzeitig sehen wir eine zunehmende Entfremdung zwischen dem „Westen“ und dem „Globalem Süden“. Letzterer kritisiert, dass der Westen mit zweierlei Maß misst, wenn es um seine Interessen geht.
- Die expansive Rolle von China im Globalen Süden im Hinblick auf die Finanzierung von Infrastrukturvorhaben oder die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen führt zu einem neuen „Scramble for Africa“, d.h. einem Wettbewerb um den Zugang zu afrikanischen Ressourcen und Märkten. Die EU antwortet darauf mit Initiativen wie dem Global Gateway.
- Die Zunahme von Flucht und Migration nach Europa aufgrund des Anstiegs von militärischen Konflikten und Naturkatastrophen in der engeren und weiteren europäischen Nachbarschaft befeuert den Aufstieg rechts-populistischer Kräfte in der EU und führt zu einer EU-Politik der Migrationsabwehr. Letztere determiniert auch zunehmend die entwicklungspolitische Agenda.
- Die Versorgungsschwierigkeiten während der Corona-Pandemie, die Energiekrise im Gefolge des russischen Angriffs auf die Ukraine genauso wie die Abhängigkeiten im Bereich grüner Technologien und kritischer Rohstoffe vor allem von China führen der EU ihre Verwundbarkeit vor Augen. Die EU will daher ihre „strategischen Autonomie“ stärken, nicht zuletzt auch durch eine stärker sicherheitspolitische Ausrichtung ihrer Handels- und Entwicklungszusammenarbeit.
Die EU Entwicklungszusammenarbeit hat auf diese Herausforderungen mit einer stärkeren institutionellen Einbindung der Entwicklungszusammenarbeit in die EU Außen- und Sicherheitspolitik reagiert. Neue Initiativen wie das Global Gateway Programm und der Team Europe Ansatz wollen Infrastrukturprojekte und den Zugang europäischer Unternehmen zu Rohstoffen in Afrika, Asien und Lateinamerika forcieren, sowie die Koordination der Entwicklungspolitiken mit den EU Mitgliedsstaaten stärken. Flankiert wird dies durch Initiativen einzelner Länder wie Deutschland und Italien, die Initiativen wie den Marshall-Plan für Afrika bzw. den Plan Mattei lancieren.
Gemeinsam ist all diesen Initiativen, private Investitionen europäischer Unternehmen durch staatliche Unterstützung (De-Risking) zu befördern. Der bisherige Erfolg bleibt allerdings deutlich hinter den Erwartungen zurück. Vor allem die Beziehungen zu den afrikanischen Ländern haben in den letzten Jahren gelitten. Dafür verantwortlich war neben der mangelnden Einbeziehung dieser Länder in das Design der europäischen Initiativen vor allem auch die schlechte Versorgung mit in Europa produzierten Impfstoffen und Medikamenten während der Corona-Pandemie.
Jüngst an die Macht gekommene Rechtsparteien – etwa in Schweden und den Niederlanden – haben aus diesen Entwicklungen den Schluss gezogen, dass Entwicklungszusammenarbeit in der tradierten Form überholt sei. Vielmehr müsse die europäische Politik wieder stärker auf die eigenen Interessen schauen, und die verfügbaren öffentlichen Mittel dafür priorisieren. Dementsprechend wurden die die ODA Budgets deutlich gekürzt. Auch die deutsche Bundesregierung hat auf Betreiben der FDP eine schrittweise Reduktion der ODA Mittel vorgenommen. Das Vereinigte Königreich verabschiedete sich bereits vor einigen Jahren von der Erreichung des 0,7%-Ziels und schaffte im Zuge einer Organisationsreform sogar sein berühmtes Department for International Development (DFID) ab. Die Schweiz wiederum widmete jüngst substanzielle Budgetmittel der EZA zugunsten des Ukraine-Wiederaufbaus um.
Österreichische Entwicklungszusammenarbeit: (noch) eine Insel der Seligen?
Auch Österreich erlebte seit der Jahrtausendwende eine Zeit historischer Brüche und politischer Turbulenzen. Die Geschicke der Republik wurden im Rahmen mehrerer Regierungsbeteiligungen der FPÖ (bzw. des BZÖ) von Rechtsparteien wesentlich mitbestimmt. Die traditionelle Dominanz der Großparteien und der Sozialpartnerschaft kam zu einem Ende, das ideologische Spektrum ordnete sich neu. Und dennoch: Im Rückblick war die OEZA inmitten disruptiver Entwicklungen von erstaunlicher Kontinuität geprägt.
Obwohl die FPÖ mit der parteifreien Karin Kneissl sogar eine Zeitlang die Außenministerin stellte, hatte das kaum Auswirkungen auf die EZA und deren ausgelagerte Abwicklung durch die Austrian Development Agency (ADA). Sowohl echte Steigerungen als auch Kürzungen des Budgets blieben episodisch. Österreich blieb ein niemals überdurchschnittlich ambitioniertes, aber doch verlässliches, an internationalen Normen orientiertes „Geberland“.
Die Gründe für diese Stabilität sind vielfältig. Eine Rolle spielt die Abschottung des Außenressorts von tagespolitischen Zwängen. Der geringe Grad an öffentlicher Exponiertheit der Entwicklungspolitik in Verbindung mit einer festen gesetzlichen Grundlage der EZA und eine in Teilen immer noch politisch unabhängige öffentlichen Verwaltung ebenso. Auch Österreichs geringes Gewicht im Gefüge der Weltpolitik, helfen, die Beharrungstendenzen zu erklären – sowie nicht zuletzt der Hang österreichischer Rechtsparteien zur Selbstzerstörung in Regierungskoalitionen. Für die OEZA sind diese Beharrungstendenzen sowohl ein Fluch als auch ein Segen. Wie Lukas Schlögl in einem Gastbeitrag für EADI erörtert, kann man aber nicht davon ausgehen, dass das für immer und ewig so bleiben muss.
Wie weiter mit der OeZA nach den Wahlen im September?
Viel wird vom Ausgang der Nationalratswahlen und der zukünftigen Regierungskoalition abhängen. Dabei zeichnet sich schon jetzt ab, dass eine Koalitionsregierung mit Beteiligung der FPÖ sowohl zu programmatischen Reorientierungen als auch finanziellen Einschnitten führen könnte. Eine zumindest moderat ambitionierte entwicklungspolitische Agenda ist nur von einer Regierungskonstellation unter Ausschluss der FPÖ zu erwarten.
Angesichts des Umstands, dass die finanziellen Spielräume für die OEZA in der aktuellen mittelfristigen Budgetprognose für das BMEIA schon jetzt auf einen Rückgang der Mittel ab 2025 hindeuten, besteht die erste Herausforderung einer solchen neuen Regierung darin, die OEZA Mittel zu stabilisieren und Planungssicherheit für die kommende Legislaturperiode herzustellen.
Eine zweite Herausforderung wird darin bestehen, die Programmatik der EZA zu reflektieren und an die sich ändernden europäischen und internationalen Gegebenheiten anzupassen. Unabhängig davon, ob das bereits im Entwurf vorliegende Dreijahresprogramm 2025-2027 von der derzeitigen Regierung noch verabschiedet wird oder nicht, bedarf die Sinnhaftigkeit von Entwicklungs-zusammenarbeit einer erneuerten Legitimationsgrundlage. Angesichts der geopolitischen Herausforderungen, der kriegerischen Auseinandersetzungen in der europäischen Nachbarschaft und der sich zuspitzenden Klimakrise muss es darum gehen, die traditionellen Ziele der EZA mit neuem Leben zu füllen. Dazu gehören Armutsbekämpfung, Sicherung von Frieden und menschlicher Sicherheit, sowie Umwelt- und Klimaschutz. Österreich wäre dazu prädestiniert, vor allem in der humanitären Hilfe und in der Friedenspolitik wieder eine aktivere Rolle zu spielen.
Die dritte Herausforderung besteht darin, der innenpolitischen Obsession mit dem Thema Flucht und Migration einen konstruktiven und lösungsorientierten Diskurs entgegen zu setzen. Die Entwicklungspolitik kann dazu beitragen, die Lebensbedingungen der Menschen im Globalen Süden im Allgemeinen, und in der südlichen europäischen Nachbarschaft im Besonderen, wenn nicht zu verbessern, so doch zu stabilisieren. Gleichzeitig muss klar sein, dass es dafür steigende und langfristig verfügbare Mittel braucht. Mit den vorhandenen, und im internationalen Vergleich bescheidenen EZA Mitteln können nicht mehr als die dringendsten Löcher gestopft werden. Die Ansätze in der bestehenden Bundesregierung, Entwicklungszusammenarbeit als gesamtstaatliche Aufgabe wahrzunehmen – zum Beispiel indem andere Ministerien wie das Klimaministerium oder das Landwirtschaftsministerium eigene Programme auflegen - muss weiter ausgebaut werden. Gleichzeitig braucht es hier eine enge Koordinierung und einheitliche Abwicklung über die ADA.
Last, but not least, muss Entwicklungspolitik stärker in der österreichischen Öffentlichkeit präsent werden. Mittels Bildungs- und Kommunikationsmaßnahmen wäre aufzuzeigen, dass angesichts der engen politischen, wirtschaftlichen aber auch ökologischen Verflochtenheit Österreichs mit der ganzen Welt eine Politik der Abschottung völlig unrealistisch und für unser Land von großem Nachteil wäre. Am 29. September wird es also auch zentral darum gehen, wie Österreich seine Beziehungen mit der Welt in den kommenden fünf Jahren gestalten wird.