Aktueller Kommentar März 2019

Nach dem Brexit: Neue Weichenstellung in EU-Afrika Beziehungen

Berhard Tröster

Auch wenn seit den letzten Tagen nichts mehr unmöglich scheint, so wird es wohl früher oder später zu einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (Brexit) kommen. Damit müssen auch die Beziehungen der EU mit Drittstaaten neu geordnet werden, vor allem mit den 79 Afrikanischen-, Karibischen und Pazifikstaaten (AKP). Dabei zeichnen sich schon jetzt manche Konfliktlinien für die EU-Handels- und Entwicklungspolitik deutlich ab.

Von Bernhard Tröster (ÖFSE), März 2019

Anspruch und Realität

Am unmittelbarsten zeigen sich die Folgen des Brexits bei den Verhandlungen über ein Nachfolgeabkommen für die im Februar 2020 auslaufende Cotonou-Vereinbarung. Seit dem Lomé-Abkommen, das nach dem Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft in den 1970er-Jahren geschlossen wurde, gelten die umfassenden EU-AKP Abkommen als ein Kernelement der gemeinsamen Europäischen Entwicklungspolitik.

Großbritannien erfüllt bisher wichtige Aufgaben auf mehreren Ebenen. So setzt die britische Entwicklungspolitik vor allem auf die Ergebnisorientierung in der Entwicklungspolitik, Genderförderung und gute Regierungsführung. Welche anderen EU-Mitgliedstaaten diese Agenden zukünftig vorantreiben sollen, bleibt unklar. Und neben den finanziellen Beiträgen zum Europäischen Entwicklungsfonds, über dessen außerbudgetäre Sonderstellung derzeit ebenfalls intensiv diskutiert wird, ist Großbritannien ein wichtiger Geber für bestimmte Länder, vor allem in Ost- und Südafrika.

Als kaum zu kompensieren gelten jedoch die politischen Beziehungen des Vereinigten Königreichs zu bestimmten Regionen und Ländern. Das führt zu einem Dilemma: Einerseits beansprucht die EU eine globale Gültigkeit für ihre entwicklungspolitischen Ziele, andererseits reduzieren sich die Mittel und der Einfluss bei bestimmten Themen und Regionen, diese wirksam umzusetzen.

Regionalisierung als Lösung?

Das Verhandlungsmandat der EU für das Post-Cotonou Abkommen scheint eine mögliche Antwort auf dieses Dilemma zu bieten. So soll das künftige EU-AKP Abkommen aus einem übergeordneten Teil und drei speziellen Vereinbarungen mit den Regionen Karibik, Pazifik und Afrika bestehen. Damit soll sowohl dem Wunsch der afrikanischen Länder nach spezifischer Kooperation als auch dem rechtlichen Vertretungsanspruch des Sekretariats der AKP-Gruppe entsprochen werden
Jedoch gelten die Beziehungen Großbritanniens mit den karibischen und pazifischen Staaten als besonders eng, was zu einer Neujustierung des Verhältnisses zwischen diesen Staaten und der verbleibenden EU-27 führen muss. Aber auch innerhalb der EU-Afrika Beziehungen wird vor einem künftigen Ungleichgewicht zwischen dem französisch dominierten Westafrika und den Ländern im östlichen und südlichen Afrika gewarnt. Sollte die EU einen Schwerpunkt auf Sicherheit und Migration auch in den AKP-Abkommen setzen, wie es vor allem von osteuropäischen Staaten gefordert wird, verstärkt dies die regionale Fokussierung auf West- und Nordafrika. Jüngste Initiativen wie der Compact with Africa der G-20 und der Marshallplan mit Afrika (beides auf Initiative Deutschlands) fokussieren sich bereits vor allem auf jene Länder. Und auch wenn die Afrikanische Union sich als Verhandlungspartner für die ‚kontinentale‘ Lösung einsetzt, bleibt abzuwarten, welche Staaten hier Ton angebend sein werden.

So werden die Unsicherheiten über die Wechselwirkungen zwischen Schwerpunktsetzungen im allgemeinen Teil, Regionalisierung, Brexit und Verteilung der möglicherweise reduzierten EU-Finanzmittel, die Verhandlungen entscheidend beeinflussen. Daher ist es für die EU wichtig, auch während und nach einem Brexit die Koordinierung mit Großbritannien beizubehalten und möglichst abgestimmte Politiken zu verfolgen. Allerdings stehen diesem Ziel entgegengesetzte Interessen in Handels- und Investitionsbereich gegenüber.

Konkurrenz im wirtschaftlichen Bereich

In kaum einem anderen Punkt ist die Strategie der Britischen Regierung beim Thema Brexit klarer als beim künftigen Handel und bei Investitionen mit Nicht-EU Staaten: ‚Beim Brexit ging es nie darum, dass sich das Vereinigte Königreich mit sich selbst beschäftigt, sondern darum, den Blick auf die Welt zu richten‘, wie es der Britische Handelsminister George Hollingbery vor Vertretern der AKP-Gruppe im Oktober 2018 formulierte (‚Why British trade with Africa, Caribbean and Pacific nations can boom after Brexit’)

Das Ziel Großbritanniens ist es daher, neue Handels- und Investitionsabkommen mit den jeweiligen Staaten zu schließen. Freilich bleibt offen, wie attraktiv dies für die Drittstaaten sein könnte. Denn klar ist, dass Großbritannien als Partner im Güterhandel im Vergleich zur EU-27, aber auch zu China und anderen Schwellenländern, an Bedeutung verloren hat. Auch die Versuche, schon bestehende EU-Handelsverträge weiterzuführen (‚roll-over‘), hat sich für Großbritannien als schwierig erwiesen und nur sechs Vereinbarungen wurden bisher erzielt.

Jedoch hat Großbritannien post-Brexit die Möglichkeit seine eigenen Interessen mit Angeboten an wichtige Handelspartner zu verbinden. Zum einen ist der Güterhandel des Vereinigten Königreichs auf eine Handvoll afrikanischer Länder fokussiert (die Länder Südafrika, Nigeria, Kenia, Côte d’Ivoire, Ghana, Mauritius und Äthiopien machen knapp 90% des Handels aus), zum anderen sind Dienstleistungen und Investitionen von entscheidender Bedeutung. Großbritannien ist derzeit der viert-wichtigste Investor in Afrika, vor allen anderen EU-Staaten.

Das Vereinigte Königreich könnte daher diese beiden Themen auf die Agenda für Verhandlungen setzen, noch bevor die EU die Teile der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) zum Güterhandel mit allen Regionen ratifizieren konnte. Um diese Verhandlungen für AKP-Staaten attraktiv zu machen, könnte Großbritannien entwicklungsfreundliche Abkommen mit mehr Politikspielraum anbieten und müsste bei Standards bei landwirtschaftlichen Produkten keine Rücksicht auf Interessen anderer EU-Länder nehmen.

Zudem könnte Großbritannien versuchen, Abkommen mit der Afrikanischen Union zu verhandeln, die letztes Jahr die Schaffung einer ‚African Continental Free Trade Area‘ beschlossen hat. Dies liefe konträr zur Architektur der EU-WPA, die auf regionale Wirtschaftsblöcke innerhalb Afrikas setzt. Zudem könnten alternative Angebote Großbritanniens in Verbindung mit britischen ‚Aid-for-Trade‘-Mitteln den Widerstand einzelner afrikanischer Länder gegen die WPA verstärken. So sind derzeit die WPA mit den Westafrikanischen Staaten (ECOWAS) und der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) noch nicht ratifiziert. Unter anderem auch deshalb nicht, weil die finanziellen Mittel der EU für die Implementierung der WPA mit den Post-Cotonou Verhandlungen und dem Brexit noch einmal unsicherer geworden sind. Doch noch hält die EU unverändert an den Verhandlungsergebnissen von 2014 fest.

Der Brexit hat also, unabhängig davon wie er stattfinden wird, deutlichen Einfluss auf Entscheidungen der Europäischen Union in Hinblick auf die zukünftigen Beziehungen mit den AKP-Ländern. Neben den aktuellen Post-Cotonou Verhandlungen müssen schon bei den anstehenden Vereinbarungen zum EU-Budget und bei der Ausrichtung der kommenden Europäischen Kommission die Weichen für mögliche Kooperation, aber auch Konfrontation mit Großbritannien gestellt werden. Entscheidend für die Beziehungen der EU mit den AKP-Ländern wird sein, ob und wie insbesondere die afrikanischen Partner ihre erweiterten Optionen nutzen können.

Dr. Bernhard Tröster, Researcher (ÖFSE)
Arbeitsschwerpunkte: Entwicklungsökonomie, Internationaler Handel, Rohstoffmärkte
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