Aktueller Kommentar März 2023

Kraftakt für eine neue Weltordnung

Robert Kappel

Während China im Aufwind gleitet, sinkt die Anziehungskraft des westlich liberalen Modells. Zwischen den zwei Systemen könnte eine neue Bewegung blockfreier Staaten entstehen. Was es für eine gemeinschaftliche Weltordnung braucht.

Robert Kappel, März 2023

Der Westen läuft Gefahr, im globalen Wettbewerb seine einstige Übermacht zu verlieren. Vier große Prozesse verdeutlichen dies: Wirtschaftliche Machtverschiebungen, technologische Aufholprozesse im globalen Süden, Verlust der soft-power-Macht und Erosion der Attraktivität des liberalen Models. Hingegen werden China, Indien und andere große Staaten zu führenden Nationen. Die USA werden künftig nach China nur noch zweitwichtigste Wirtschaftsnation der Welt sein.

Die aktuellen Handelsstreitigkeiten zwischen den USA, der EU und China drehen sich vor allem um globale Technologieführerschaft, d.h. die Fähigkeit, in wirtschaftlich zentralen Bereichen wie Energietransfer, Halbleitertechnologien oder Betriebssoftware globale Normen und Standards zu setzen, von denen alle Nutzer*innen dieser Technologien abhängig sind.

Seit zwei Jahrzehnten zeigt Chinas Entwicklung steil nach oben. Es hat durch Investitionen, Handelsaustausch und seine Belt-and-Road-Initiative Partnerschaften in aller Welt aufgebaut und zu einem Schub der wirtschaftlichen Entwicklungen vieler Länder des globalen Südens beigetragen. Durch diese Kooperationspolitik konnte sich China im globalen Süden eine bessere Position verschaffen als der Westen. Chinas globaler Aufstieg verläuft allerdings nicht gradlinig und schon gar nicht friktionsfrei. Einerseits ist die interne wirtschaftliche Situation angespannt, andererseits hat China nicht nur Freunde in der Welt. Das Agieren der Volksrepublik wird in zahlreichen asiatischen Ländern zunehmend als Bedrohung angesehen. Sie fürchten die wirtschaftliche und militärische Dominanz Chinas. Weiters scheint China sich selbst in die Falle einer internationalen Schuldenkrise hineinzumanövrieren. Viele der im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative vergebenen Kredite können nicht mehr zurückgezahlt werden. Die Schuldenstrategie erweist sich zunehmend als Bürde. Zu guter Letzt hat sich die interne Spaltung der Gesellschaft vertieft. Die Mittelschichten sind zunehmend verunsichert und skeptischer gegenüber ihrer eigenen Führung.

China verfolgt eine neue globale Agenda. Es handelt sich um eine Strategie des Systemwettbewerbs gegen die westliche Welt. Die Folge wäre eine zweigeteilte Weltwirtschaft mit einem Block autokratischer Staaten auf der einen Seite, dem ein Club demokratischer Länder gegenübersteht. Das könnte eine neue Blockfreienbewegung entstehen lassen, zu der mächtige Staaten wie Indien, Brasilien, Indonesien, Saudi-Arabien oder Südafrika gehören. Diese Länder kooperieren mit China und dem Westen gleichermaßen und erheben ihre Stimme immer deutlicher, um sich die besten Optionen für ihre eigene Entwicklung zu sichern.  Im Gegensatz zum Westen richtet China sein Augenmerk viel stärker auf diese Länder.

Trotzdem sprechen viele Argumente gegen Blockbildungen. Aufgrund ihrer großen Interdependenz werden Europa, China und die USA ihre Wirtschaftsbeziehungen fortsetzen wollen. Sie sind auf dem globalen Markt stark verflochten. Neu ist der Kampf um die Technologieführerschaft, der in eine kritische Phase eingetreten ist. Auch wenn hier mit harten Bandagen gestritten wird, werden die ‚key player‘ über kurz oder lang eher um eine Wirtschaftsordnung der gleichberechtigten Beziehungen ringen, als sich gegenseitig durch Protektionismus zu isolieren.

Die Fundamente der liberalen Nachkriegsordnung sind eindeutig schwächer geworden. Die westliche Welt verliert ihre einst führende Rolle und die Attraktivität erodiert durch mangelnde wirtschaftliche Dynamik und interne Schwächen wie Populismus und nachlassende Wettbewerbsfähigkeit. Aber es scheint auch klar zu sein, dass China die Vereinigten Staaten als Hegemon nicht ablösen kann. Dazu fehlen die erforderlichen Kohäsionskräfte. Denn der globale Süden wird sich kaum als geopolitischer Block gegen den Westen positionieren. Zudem ist der globale Süden gespalten und durch Konkurrenz gelähmt, was am Verhältnis zwischen China und Indien z.B. deutlich ersichtlich wird.

Doch trotz all seiner Schwächen hat das liberale Modell nicht ausgedient. Allerdings bedarf es grundlegender Reformen, um es zu stärken. Erstens: Der Westen muss seine globale Agenda verändern und Abschied vom neoliberalen Modell nehmen, das reiche Nationen begünstigt und den Aufstieg der armen Länder erschwert. Ein ‚new deal‘ müsste die Weichen für ein inklusives, soziales, demokratisches, solidarisches und ökologisch nachhaltiges Konzept stellen. Zweitens: Der Westen sollte alles daransetzen, dabei zu helfen, die selbst verursachte globale Ungleichheit zu beseitigen, Beschäftigungs- und Klimakrisen zu reduzieren und ein verlässliches multilaterales System von gleichberechtigten Staaten zu entwickeln. Drittens: Der Westen sollte auf die große Zahl der Staaten des globalen Südens zugehen, um gemeinsam die Grundpfeiler einer neuen Weltordnung zu erarbeiten. Anstatt Handelskriege auszuweiten, wird es notwendig sein, dass sich die USA und China als größte Wirtschaftsmächte in die Prozesse zur Ausgestaltung einer Weltwirtschaftsordnung einbringen. Zur Lösung globaler Probleme kommt es nicht allein auf die Handlungsfähigkeit des Westens, sondern auf alle Länder an, um verlässliche Normen und Ordnungen festzulegen. Ein gemeinsamer Kraftakt ist notwendig, um die Welt vor weiteren Krisen zu schützen.


Prof. Dr. Robert Kappel ist Prof. Emeritus am Institut für Afrikastudien der Universität Leipzig und Aufsichtsratsmitglied der ÖFSE. Er bloggt unter https://graensengrenzen.wordpress.com/ und https://weltneuvermessung.wordpress.com/