Aktueller Kommentar März 2024

EU-Handelspolitik in unruhigen Zeiten: Eine Bilanz vor den Europawahlen

Bernhard Tröster

Trotz zunehmenden Gegenwinds hält die EU-Kommission an regelbasiertem Freihandel fest und strebt danach, EU-Interessen und Werte entschlossener zu vertreten. Bisherige Erfolge sind rar, daher könnten alternative Handelsbedingungen vorteilhafter sein.

Von Bernhard Tröster (ÖFSE), März 2024

In den letzten fünf Jahren war die EU-Handelspolitik stark gefordert: Handelsstreitigkeiten mit den USA, Brexit-Verhandlungen, COVID-19, der Ukraine-Krieg und steigende geopolitische Spannungen stellten die Kommission vor enorme Herausforderungen. Die internationalen Handelsbeziehungen wurden durch multiple Krisen stark beeinträchtigt und brachten Fragen zur Form der Globalisierung und neue Ideen wie "Autonomie" und "Rückverlagerungen" auf den Tisch. Der Staat spielt eine immer wichtigere Rolle und viele Länder verfolgen wieder Industriepolitiken. Handelspolitik wird dabei als geopolitisches Instrument zur Sicherung nationaler Interessen genutzt.

Eine neue alte EU Handelsstrategie

Die neue Strategie der EU-Kommission für eine „offene, nachhaltige und entschlossene Handelspolitik“ von 2021 sollte die Weichen für die kommenden Jahre stellen. Wie erwartet, betrachtet die EU-Kommission weiterhin das liberale und regelbasierte Handelssystem als die beste Lösung für die aktuellen Herausforderungen. Wie auch in der Vergangenheit nach der Finanzkrise und den Debatten rund um TTIP und CETA hat man Offenheit und Freihandel als dominante Grundausrichtung beibehalten und diese in den Handelsstrategien ergänzt oder adaptiert.

Diesmal gab es drei Änderungen. Zum ersten soll Handel den europäischen Green Deal und die Europäische Digitalstrategie voranbringen. Die Handelsregeln sollen zweitens nachhaltigeren und faireren Handel fördern und die EU will drittens ‚entschlossener‘ auftreten und ihre Interessen konsequent vertreten.

Was sich wie eine geopolitische Ausrichtung der EU anhört, ist eher eine geopolitische Einfärbung der Handelspolitik. Der Begriff ‚entschlossen‘ (oder im Englischen ‚assertive‘, was man mit ‚durchsetzungsfähig‘ übersetzen könnte), bezieht sich vor allem auf das Verfolgen von Interessen und das Durchsetzen von Rechten innerhalb des multilateralen WTO-Handelssystems und bilateralen Verträgen mit gleichgesinnten Staaten.

Bemerkenswerterweise setzt die EU Strategie wieder auf die Modernisierung des multilateralen WTO System. Eine erfolgreiche Reform im Sinne der EU und die Wiederbelebung des Schiedsgerichtssystems würde die EU stärken und den schleichenden Bedeutungsverlust vor allem gegenüber China und den USA etwas ausgleichen. Die Wertschöpfungsketten sollten mit mehr Handel resilienter werden, indem man diese mit verlässlichen Nachbarländern und in Afrika aufbaut. Und man beschwört den ‚Brussels Effect‘, also unter anderem die Verbreitung europäischer Nachhaltigkeitsstandards.

Kaum Ergebnisse

Am Ende der Legislaturperiode zeigt sich ein ernüchterndes Bild. Die WTO-Reform bleibt außer Reichweite, wie die ergebnislose WTO-Konferenz im März 2024 zeigt. Die USA, die man unter der Biden-Administration als Partner für mehr Freihandel sicher glaubte, bleiben restriktiv in handelspolitischen Maßnahmen gegenüber China und haben das Interesse an der WTO verloren. US-Zölle auf EU-Stahl und Aluminium wurden teilweise ausgesetzt, aber eine endgültige Lösung steht aus. Lediglich ein gemeinsamer Handels- und Technologie-Rat wurde gebildet.

Die Ausweitung bilateraler Freihandelsverträge stockt; nur mit Neuseeland wurde ein neues Abkommen geschlossen. Das Abkommen mit Chile wurde erneuert, Kenia musste einem Abkommen zustimmen, um Handelspräferenzen zu behalten. Verhandlungen mit Australien sind gescheitert, andere mit Indien und Indonesien gestalten sich schwierig. Das Mercosur-Abkommen bleibt ungelöst, ebenso sind die Verhandlungen und Gipfeltreffen mit der Afrikanischen Union und afrikanischen Ländern ohne bedeutende Fortschritte im Sand verlaufen.

Neue Nachhaltigkeitsregulierungen mit verpassten Chancen

Die EU hat bei Nachhaltigkeitsthemen durch unilaterale Aktivitäten wie Regeln für entwaldungsfreie Lieferketten und das (noch nicht endgültig beschlossene) Lieferkettensorgfaltsgesetz sowie Vorschläge zum CO2-Grenzausgleich und einem Vorschlag für ein neues Nachhaltigkeitskapitel in Freihandelsabkommen gepunktet. Diese Maßnahmen nutzen den ‚Brussels Effect‘ und verbreiten EU-Standards als eine Art Geopolitik. Trotz ihres positiven Potenzials haben diese Regulierungen bei Drittländern Unmut erzeugt, insbesondere im Globalen Süden wo sie als einseitige Politik der EU wahrgenommen werden. Eine kooperativere Lösung mit stärkerer Einbindung dieser Länder wäre hier angebracht.

Sind Alternativen möglich?

Angesichts des zu erwartenden politischen Rechtsrucks bei der bevorstehenden Europawahl könnte die EU durchaus von einer regelbasierten Handelsordnung abweichen. Ein aktiver geopolitischer Einsatz der Handelspolitik wäre mit neuen Instrumenten und Industriepolitiken läge dann im Bereich des Möglichen. Dafür wären jedoch klare geopolitische Ziele der EU erforderlich. Zudem sind Kosten und Nutzen unsicher. Bisher scheut die EU-Kommission Maßnahmen, die negative Folgen für einzelne Mitgliedstaaten haben könnten. Eine Ausnahme sind die Sanktionen gegen Russland. Hier gibt es offiziell ein klares geopolitisches Ziel. Dennoch gibt es Ausnahmen und unterschiedliche Ansichten innerhalb der Staatengemeinschaft.

Eine Alternative sind auch kooperativere Vereinbarungen mit der EU, die nicht nur durch strikte und durchsetzbare Regeln Handel und Investitionen fördern sollen, sondern auch demokratischere, nachhaltigere und gerechtere globale Produktions- und Handelssysteme ermöglichen. Diese erscheinen ebenfalls schwierig mit den derzeitigen EU Strategien umsetzbar. Das birgt jedoch das Risiko, dass die EU im Globalen Süden weiterhin als neokolonialer Trittbrettfahrer wahrgenommen wird, der unter dem Deckmantel von Demokratie und westlichen Werten hauptsächlich Zugang zu Rohstoffen und Exportmärkten sucht. Das würde sich auch negativ auf die EU Politiken des Green Deals und der digitalen Transformation auswirken. Alternativangebote der EU für eine substantielle Einbindung in Wertschöpfungsketten und Technologietransfer könnten einen Dialog mit dem Globalen Süden ermöglichen.

Dr. Bernhard Tröster ist Senior Researcher an der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE).
> Mehr zu Bernhard Tröster