Aktueller Kommentar November 2019

Warum wir einen GLOBALEN Green New Deal brauchen

Angesichts der Klimakrise – und anderer verbundener Probleme, wie etwa die wachsende soziale Ungleichheit in Verbindung mit erstarkendem Nationalismus, sowie der Erosion des Multilateralismus – braucht es dringend neue Politikansätze. Der Charme des Green New Deal (GND) liegt darin, die Bekämpfung der ökologischen Krise mit einer sozial inklusiven Agenda zu verbinden. Den prominentesten GND Vorschlägen – jenen der neuen Von der Leyen-Kommission in der EU und der US Demokraten – fehlt allerdings eine globale Komponente, welche imstande wäre, die immensen Asymmetrien zwischen Globalem Norden und Süden kooperativ zu bewältigen.

Von Werner Raza (ÖFSE), November 2019

Klimakrise: gemeinsame aber differenzierte Unverantwortlichkeit?

Die atmosphärische Konzentration von Kohlenstoff liegt mittlerweile bei 406 ppm. Die menschliche Zivilisation der letzten 10.000 Jahren entwickelte sich im Rahmen eines Temperaturkorridors von +/- 1 Grad. Derzeit befinden wir uns am oberen Ende dieses Korridors (siehe Grafik 1). Mit einem durchschnittlichen Kohlenstoffwachstum von derzeit 2 ppm pro Jahr werden wir laut IPCC Sonderbericht 1,5°C globale Erwärmung rund um 2100 eine Erderwärmung um 3° Celsius erreichen, falls keine Gegenmaßnahmen unternommen werden. Fest steht, dass die Zunahme der globalen Emissionen von 1,5% p.a. während der letzten 10 Jahre so nicht weitergehen kann. Es braucht eine Kehrtwende.

Grafik 1: Temperaturentwicklung 1880-2018 

Grafik: Temperaturentwicklung über 140 Jahre aus Vox EU Blog, Oswald/Stern

Anmerkung: Globale durchschnittliche Oberflächentemperatur 1880-2018, relativ zum Durchschnitt 1951-1980. Die schwarze Linie ist der globale Durchschnitt pro Jahr, die rote Linie ist eine Fünf-Jahres-Regressionslinie (Lowess Glättung). Quelle: Oswald/Stern (2019), Vox EU Blog, 17 September 2019

Der IPCC Sonderbericht zeigt, dass die Differenz der Auswirkungen zwischen einem Anstieg der globalen Temperatur um 1,5% bzw. um 2% weitreichend ist. Der Anstieg um weitere 0,5°C würde etwa bedeuten, dass sich die Dauer von Dürren verdoppeln und das Auftreten von extremen Wettereignissen sich mehr als verdoppeln würde. Zudem würden sämtliche Korallenriffe zerstört werden. Entscheidend dafür, das 1,5°C Ziel überhaupt noch erreichen zu können, sind allerdings entschlossene Maßnahmen im Zeitraum bis 2030. Laut brandaktuellem UNEP Emissions Gap Report wären dafür jährliche CO2 Emissionsreduktionen von 7,6% nötig, für das 2°C Ziel von 2,7% p.a. Beide Reduktionsziele sind überaus anspruchtsvoll, aber technisch nicht unmöglich. Es steht und fällt mit der Frage, ob der politische Willen der internationalen Gemeinschaft dafür vorhanden ist.

Das Pariser Klimaabkommen vom Dezember 2015 hat daher nicht zufällig den maximal zulässigen Wert für die Klimaerwärmung mit „well below 2 degrees Celsius above pre-industrial levels and to pursue efforts to limit the temperature increase even further to 1.5 degrees Celsius“ festgelegt.

Überproportional werden vom Klimawandel vor allem die Länder des globalen Südens betroffen sein, also jene Regionen der Erde, die für die Erderwärmung keine historische Verantwortung tragen. Während die reichsten 10% der Erdbevölkerung für rund 50% der konsumbedingten CO2 Emissionen verantwortlich ist, sind die ärmsten 50% für nur 10% dieser Emissionen verantwortlich. Die Resilienz der Länder des Globalen Südens gegenüber der Klimaerwärmung muss angesichts ihrer begrenzten finanziellen und technologischen Kapazitäten generell als schwach eingeschätzt werden. Gleichzeitig ist ihr Wunsch nach wirtschaftlicher Entwicklung legitim, auch wenn klar ist, dass die globale Verallgemeinerung der in den OECD Ländern üblichen Wohlstandsniveausdie ökologischen Grenzen des Planeten übersteigen würde.

Der unterschiedlichen Verantwortung von reichen und armen Ländern versucht das Pariser Klimaabkommen mit dem Prinzip der „common but differentiated responsibilities“ (Art 2.2) gerecht zu werden. An konkreten Maßnahmen wurde diesbezüglich die Aufstockung der Mittel für Klimafinanzierung für Entwicklungsländer auf USD 100 Milliarden pro Jahr ab 2020 beschlossen. Diese Mittel sollten durch den Green Climate Fund (GCF) abgewickelt werden. Bis 2019 waren erst USD 5,6 Milliarden an Geldern in den GCF geflossen, mit denen bislang Projekte im Wert von USD 3,12 Milliarden gefördert wurden. Bei der GCF Geberkonferenz im Oktober 2019 wurden rund USD 10 Milliarden an Geldern für den Fonds versprochen. Trotz ermahnender Worte von HBP Van der Bellen blieben die von der österreichischen Bundesregierung eingebrachten EUR 30 Mio. deutlich hinter den Beiträgen vergleichbarer EU Länder – z.B. Luxemburg EUR 40 Mio., Belgien EUR 40 Mio., Finnland EUR 100 Mio., Niederlande EUR 120 Mio., oder Dänemark EUR 800 Mio. – zurück. Die neu dotierten USD 10 Milliarden beziehen sich zudem auf die Arbeitsperiode 2020-2024 und stehen daher gerade einmal für 2,5% der eigentlich für diesen Zeitraum in Paris vereinbarten Summe.

Als Fazit bleibt somit, dass die internationalen Mechanismen zur gemeinsamen Bewältigung der Klimakrise bislang weit hinter dem Notwendigen zurückbleiben.

Die Green New Deal Pläne der neuen EU Kommission und der US DemokratInnen: zwischen aggressivem Merkantilismus und ökonomischem Patriotismus

Auch in den meisten Industrieländern selbst stehen die Aussichten zur Erreichung der Reduktionsverpflichtungen derzeit nicht zum Besten. Die nationalen Klimapläne der meisten EU Mitgliedsländer, etwa jene Deutschlands und Österreichs, greifen nach überwiegender ExpertInnenmeinung (hier und hier) deutlich zu kurz. Die Absichten der neuen EU Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen, die EU mit einem Green New Deal for Europe bis 2050 klimaneutral zu machen bzw. das Reduktionsziel bis 2030 von derzeit 40% auf 55% zu erhöhen, sind daher zu begrüßen. Die dafür bislang in Aussicht gestellten Maßnahmen – darunter ein 10-Jahres Investitionsplan im Ausmaß von EUR 1.000 Milliarden, also von rund 0,6% des EU BIP pro Jahr – greifen allerdings zu kurz. Gerade die für die politische Akzeptanz entscheidende sozialpolitische Komponente bleibt unterentwickelt. Viele Vorschläge – z.B. europaweite Mindestlöhne, eine Arbeitslosengeldrückversicherung, eine Jugendausbildungsgarantie u.a.m. – sind grundsätzlich sinnvoll, die zentrale Frage der Beschäftigungspolitik bleibt aber ausgeklammert. Die Pläne diskutieren auch die globale Dimension nur ungenügend. An der aggressiven Marktöffnungspolitik qua umfassender bilateraler Handelsabkommen wird grundsätzlich festgehalten. Für den afrikanischen Kontinent soll eine Strategie ausgearbeitet werden, um die sich abzeichnenden Marktchancen für EU Unternehmen nutzen zu können. Ein Umweltzoll (Border Tax Adjustment) soll den Import klimaintensiver Güter verteuern. Andere außenpolitische Themen werden unter Labeln wie‚ Förderung der europäischen Lebensweise‘s und ‚Ein stärkeres Europa in der Welt‘ diskutiert und betonen sicherheitspolitische Aspekte. Das Bekenntnis zum Multilateralismus wirkt mangels detaillierter Vorschläge unglaubwürdig. Die Mittel für die außenpolitischen Agenden sollen um 30% im Budget 2020-27 auf EUR 120 Milliarden erhöht werden. Europas Führungsrolle in der Welt soll stärker als bisher vertreten werden.

Während die GND Vorschläge der neuen EU Kommission in außenpolitischer Hinsicht eine neo-merkantilistische Schlagseite aufweisen – barrierefreier Marktzugang für europäische Waren und Unternehmen im Ausland, freier Marktzugang für afrikanische Rohstoffe, nicht aber für Menschen in die EU – bleibt er in finanzpolitischer Hinsicht konservativem Denken verhaftet. Ganz im Gegensatz dazu betonen die von der sogenannten Modern Monetary Theory beeinflussten progressiven US-Demokraten wie Alexandria Ocasio-Cortez oder Bernie Sanders, dass es keinerlei Finanzierungsprobleme für ihren GND gäbe. Während die klimapolitischen Ziele jenen Von der Leyens weitgehend entsprechen, ist der Plan vor allem in beschäftigungs- und sozialpolitischer Hinsicht stärker ausgearbeitet und für die USA äußerst ambitioniert. Die internationale Dimension bleibt auch hier nachrangig, lediglich unilaterale Maßnahmen wie die Durchsetzung starker ArbeitnehmerInnen- und Umweltschutzbestimmungen in Handelsabkommen, die Einführung eines Umweltzolls und von Maßnahmen zur Unterbindung des Offshoring von Arbeitsplätzen werden gefordert. Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren hat im Rahmen ihrer „Economic Patriotism“-Agenda  umfangreiche Vorschläge für einen grünen Investitionsplan sowie für eine alternative Handelspolitik präsentiert, die jene von Ocasio-Cortez et al. konkretisieren. Der Green Manufacturing Plan sieht Investitionen über USD 2.000 Milliarden für 10 Jahre vor, die in Forschung & Entwicklung sowie in die öffentliche Beschaffung grüner Technologie gehen soll. Dazu gehört auch ein Green Marschall Plan mit einer Dotierung von USD 100 Milliarden. Damit sollen ausländische Käufe US-amerikanischer grüner Technologie durch Entwicklungsländer mit subventionierten Krediten (Softloans) unterstützt werden. Auf multilateraler Ebene soll ein WTO Abkommen zum Schutz von umweltbezogenen Fördermaßnahmen und der präferenziellen Behandlung für nachhaltige Energietechnologien verhandelt werden. Investitionsabkommen mit besonderen Investorenrechten (ISDS Mechanismus) sollen auslaufen.

Was fehlt: Der GND braucht eine globale Dimension!

Insgesamt weisen die beiden GND Initiativen ähnliche klimapolitische Zielsetzungen auf, sehen aber doch etwas anders gelagerte Umsetzungspfade vor. Die Verbindung von Klimaschutzanliegen mit sozial inklusiver wirtschaftlicher Entwicklung wird in den US-amerikanischen Vorschlägen zu den Investitionsprogrammen deutlich sichtbarer. Zur Handelspolitik gehen die US Vorschläge weiter als jene Von der Leyens. Die US Pläne akzentuieren vor allem die Effekte des Handels auf die Beschäftigung stärker. Mit beschäftigungspolitischen Motiven lässt sich auch die Ausrichtung des Green Marshall Plans erklären, der mittels Softloans grüne Technologie aus den USA international verbreiten möchte. Das vorgeschlagene multilaterale Abkommen soll schließlich die wirtschaftspolitischen Freiräume zur Gestaltung des GND rechtlich absichern.

Die internationale Dimension ist in den US-amerikanischen Vorschlägen kooperativer ausgeführt, wenngleich die Folgen des von beiden GNT Plänen befürworteten Umweltzolls für die Handelspartner nicht hinreichend durchdacht erscheinen. So wird beispielsweise kaum thematisiert, dass carbon leakage, also die Verlagerung kohlenstoffintensiver Produktionsprozesse in den Globalen Süden, wesentlich von den Internationalisierungsstrategien aus den USA oder der EU stammenden multinationalen Konzernen getrieben waren, die von deren Regierungen oftmals aktiv unterstützt wurden – etwa durch bilaterale Investitionsabkommen oder die den Entwicklungsländern aufgezwungene Strukturanpassungspolitik von IWF und Weltbank, zum Teil auch durch umweltpolitische Auflagen. Die kohlenstoffintensiven Exporte aus diesen Ländern nunmehr mit Umweltzöllen zu belegen, wird von den Entwicklungs- und Schwellenländern zwangsläufig als ungerechtfertigter Protektionismus interpretiert und allfällige Produktionseinbußen von diesen mit Vergeltungsmaßnahmen beantwortet werden. Die Durchsetzbarkeit des angestrebten multilateralen Abkommens erscheint in einem solchen Szenario unilateraler Zollschutzpolitik höchst unwahrscheinlich. Während der US Plan zumindest Softloans für den Kauf umweltfreundlicher Technologie als – wenngleich ungenügende – kompensierende Maßnahme beinhaltet, begnügt sich der Vorschlag Von der Leyens mit dem lapidaren Hinweis auf europäische Werte bzw. Unternehmen, die es zu schützen gelte. Auch zum aus Nord-Süd Sicht zentralen Thema der internationalen Kooperation zu Steuerfragen findet sich im EU Vorschlag so gut wie nichts.

Die im Umkreis der UNCTAD entwickelten Geneva Principles for a Global Green New Deal, deren Finanzierungskomponente im neuesten UNCTAD Trade and Development Report 2019 detailliert ausgearbeitet wird, könnten für einen neuen Multilateralismus wichtige Anregungen geben. Ausgangspunkt eines neuen Multilateralismus muss sein, den legitimen Anliegen der Schwellen- und Entwicklungsländern zur Erhaltung ihrer nationalen Handlungsspielräume für nachholende Entwicklung mehr Raum zu geben. Das bedeutet für die EU und USA vor allem, die Agenda der tiefen Integration ihrer bilateralen Handels- und Investitionspolitik aufzugeben. Diese wird von den Ländern des Globalen Südens als Verletzung ihrer nationalen Souveränität gesehen und ist maßgeblich für das Scheitern der Doha Runde der WTO verantwortlich. Nur auf Basis der ausgewogeneren Prinzipien des „embedded liberalism“ der Nachkriegszeit wird ein Neustart der WTO möglich sein. Klar ist jedenfalls, dass die Umsetzung eines noch so guten GND in den USA und der EU nicht ausreichen werden, um die Klimaziele erreichen zu können. Das wird nur gelingen, wenn die Schwellen- und Entwicklungsländer am gleichen Strang ziehen. Die Ausarbeitung eines globalen GND muss dringend in Angriff genommen werden.