Aktueller Kommentar November 2022
Schwarz-grünes „Zweijahresprogramm“ der Entwicklungspolitik: das Beste aus beiden Welten?

Mit dem Mitte November verspätet beschlossenen Dreijahresprogramm 2022–2024 liegt ein neues Programmdokument der österreichischen Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit vor. Insgesamt enttäuscht das von vielen politischen Kompromissen geprägte Dokument: Es enthält keinen Budgetpfad; die wenig sinnvolle Verknüpfung von Entwicklungspolitik und Migration bleibt bestehen; die thematisch notwendige Verknüpfung von Entwicklungspolitik und humanitärer Hilfe lässt auf sich warten.
Lukas Schlögl, November 2022
Neues Dreijahresprogramm ohne Budgetpfad beschlossen
Spät, aber doch: Die Bundesregierung hat Mitte November 2022 ein neues Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik (3JP) beschlossen. Flankiert von thematischen Leitfäden und -linien ist das 3JP das übergeordnete Planungsdokument der öffentlichen Entwicklungspolitik: Auf gut 60 Seiten werden Schwerpunkte und Akteure benannt und Maßnahmen skizziert. Aufgrund einer koalitionären Blockade verzögerte sich die Verabschiedung des 3JP dieses Mal – nun liegt de facto ein noch bis 2024 gültiges „Zweijahresprogramm“ vor. An diesem fallen einige Dinge auf.
Erstens fehlt das Prognoseszenario für Österreichs künftige Entwicklungsleistungen. Was wie ein technisches Detail klingt, hat politische Brisanz. Bisher beinhaltete das 3JP mit wenigen begründeten Ausnahmen eine Vorausschau der Official Development Assistance (ODA). Daran lässt sich ablesen, wieviel ODA Österreich in den nächsten Jahren in welchen Bereichen leisten wird – und damit auch, ob Zielsetzungen des 3JP und des Regierungsprogramms erfüllt werden. In letzterem hieß es etwa, dass die Regierung eine „schrittweise Erhöhung der Entwicklungsgelder Richtung 0,7%“ des Bruttonationaleinkommens (BNE) anstrebe. Im neuen 3JP gibt es zwar Hinweise auf budgetäre Steigerungen und ein Bekenntnis zu den 0,7%, aber es fehlte der Konsens, einen ODA-Steigerungspfad zu beschreiten. Kurioser Kompromiss: Auf ein Prognoseszenario wurde schlicht verzichtet.
Um sich über Österreichs Entwicklungsleistungen der nächsten Jahre ein Bild zu machen, kann man allerdings eine Budgetbeilage des Bundesfinanzgesetzes heranziehen, in der das Bundesministerium für Finanzen (BMF) auf mittlere Frist eine stark schwankende ODA prognostiziert. Für 2023 wird dort aufgrund einer geplanten Entschuldung des Sudans – deren Umsetzung aufgrund eines Militärputsches im Oktober 2021 sehr fraglich bleibt – kurzfristig sogar von einer Übererreichung des 0,7%-Ziels ausgegangen. Weder die Entschuldung des Sudans noch die für 2023 prognostizierte ODA-Quote von 0,86% des BNE finden im 3JP Erwähnung. Von diesen Einmal-Effekten abgesehen ist laut Prognose des BMF mittelfristig eher mit einem schrittweisen Rückgang der ODA-Quote zu rechnen: von zuletzt 0,31% des BNE im Jahr 2021 auf 0,24% im Jahr 2026.
Problematische Verknüpfung von Migration und Entwicklungspolitik
Zweite Auffälligkeit: Das 3JP leistet nun seinen Beitrag zum Narrativ einer restriktiven Linie der Bundesregierung in Migrationsfragen. Hilfe werde „vor Ort“ geleistet, ist nicht weniger als 30 Mal zu lesen. Mediale Aufmerksamkeit erregte eine Konditionalität im Zusammenhang mit der „Zusammenarbeit bei Rückübernahmen“ von Migrant*innen. Der Passus ist allerdings derart verklausuliert formuliert, dass man ihn als Lehrstück für die Semantik politischer Kompromisse heranziehen könnte („…erforderliche Hebelwirkung im Rahmen eines flexiblen anreizorientierten Ansatzes mit etwaigen – in diesem Zusammenhang gegebenenfalls angemessenen – Änderungen bei der Zuweisung von Mitteln im Zusammenhang mit Migration im Einklang mit den Grundsätzen der Programmplanung…“).
Konditionalitäten in der Entwicklungspolitik sind per se nichts Neues: „Good Governance“ ist Voraussetzung bei EU-Wirtschaftsabkommen mit Ländern des Globalen Südens; davor waren die Konditionalitäten der Strukturanpassungsprogramme internationaler Finanzinstitutionen immer wieder Gegenstand von Debatten. Dass Entwicklungsleistungen in den Dienst der Migrationsbekämpfung gestellt werden, ist ein neuerer Trend, der in den Programmen der letzten Bundesregierungen im unmittelbaren Gefolge der „Flüchtlingskrise“ 2015 noch stärker zu spüren war als jetzt. Das Ansinnen ist aber ohnehin eher in die Rubrik „Symbolpolitik“ einzuordnen, denn Österreich hat keine so bedeutsamen Volumina an Entwicklungsleistungen in relevanten Herkunftsländern von Geflüchteten, an die Bedingungen geknüpft werden könnten. Es handelt sich also um eine eher theoretische Konditionalität, die primär einem tagespolitischen Kalkül geschuldet zu sein scheint.
Commitment zur Dekarbonisierung könnte stärker ausfallen
Nicht nur die Migrations-, sondern auch die Klimapolitik hat dem 3JP ihren Stempel – sanft – aufgedrückt. Man sei „bestrebt“, keine Projekte mehr zu fördern, die „unmittelbar“ mit dem Einsatz von fossilen Energieträgern in Verbindung stehen. Seitens der Österreichischen Entwicklungsbank (OeEB) schloss man sich einer Selbstverpflichtung von EU-Entwicklungsbanken an, die einen sofortigen Finanzierungstopp neuer Kohle- oder Ölprojekte vorsieht. Bis spätestens 2050 sollen die Portfolios der Entwicklungsbanken das Netto-Null-Emissionsziel erreichen – eine kulante Schonfrist also, wobei die OeEB aber ohnehin bereits stark im Bereich Erneuerbare Energien tätig ist. Zu einem ähnlichen Gelöbnis konnten sich andere OEZA-Akteure anscheinend noch nicht durchringen, obwohl das Thema etwa bei Österreichs finanziellen Beiträgen an multilaterale Organisationen wichtig wäre.
Viele Themen, wenig Resultatsorientierung
Neben mehr oder weniger nachvollziehbaren Einflüssen anderer Politikbereiche fällt, wie schon in früheren 3JP, ein Hang zur Themenbreite auf. Zwar werden Prioritäten identifiziert; es findet sich aber noch immer ein so großes Spektrum an Schwerpunkten im 3JP, dass man sich weiterhin an Franz Nuschelers Rede von der „realitätsblinden Überforderung“ der Entwicklungspolitik erinnert fühlt[1]: Klima, Migration, Armutsbekämpfung, Frieden, Demokratie, Inklusion, Geschlechtergerechtigkeit, Wirtschaft, Digitalisierung, Menschenrechte, Bildung, Beschäftigung, Wasser, Ernährung … und freilich Gesundheit, wo die „Weitergabe“ von COVID-19 Impfstoffen – für den Eigenbedarf angeschaffte überschüssige Kontingente – als Mildtätigkeit verkauft wird. Thematische Breite ist bequem, weil viele Stakeholder bedient werden können. Der Profilschärfung und Effektivität ist sie weniger zuträglich.
Stichwort Effektivität: Einerseits ist positiv anzumerken, dass das 3JP tabellarisch Ziele, Maßnahmen und Indikatoren nennt und damit stärker beginnt, dem Anspruch eines Planungsdokuments gerecht zu werden. Andererseits ist das Dokument immer noch über weite Strecken deskriptiv, unverbindlich formuliert und die gewählten Indikatoren so weit auf der Makroebene angesiedelt, dass die Messung eines Wirkungszusammenhangs mit Aktivitäten der OEZA illusorisch bleibt. Auch die budgetären Ziele sind im 3JP nicht so operationalisiert, dass sie wirklich überprüfbar wären. Hier bräuchte es bessere Kriterien, die mit dem ODA-Berichtswesen harmonieren.
Verknüpfung von Entwicklungspolitik und humanitärer Hilfe lässt auf sich warten
Ein letzter Punkt: Der Auslandskatastrophenfonds, der in den vergangenen Jahren erheblich aufgestockt wurde, ist im 3JP praktisch kein Thema. Verwiesen wird auf eine kommende humanitäre Gesamtstrategie, die aber seit Herbst 2020 auf sich warten lässt. Bis auf weiteres kann der Topf in der Höhe von EUR 77,5 Mio. (Budget 2023) – das entspricht mehr als dem halben Budget der Austrian Development Agency (ADA) – ohne für die Öffentlichkeit klare Strategie für Ermessensausgaben mit diplomatischem Mehrwert genutzt werden. Hier wären nicht nur mehr Kohärenz und Transparenz gefordert, sondern auch eine strategische Verknüpfung von Humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit im Sinne von Prävention und Resilienz.
Fazit: viele politische Kompromisse, zu wenig Kohärenz
Gesamt gesehen positioniert sich Österreich mit seinen Schwerpunkten im neuen 3JP im entwicklungspolitischen Mainstream: Klima, Migration, Gesundheit, Digitalisierung. In der Finanzplanung wurde dem Blindflug Vorrang gegenüber einem Gesichtsverlust dank verfehlten Budgetpfades gegeben. Letztlich wäre es in Hinblick sowohl auf die quantitativen als auch die qualitativen Ambitionen sinnvoller, sich nicht nur spezifische und messbare, sondern auch erreichbare Ziele zu stecken. Ob das 3JP wirklich – eingedenk des Versprechens zum Regierungsantritt – „das Beste beider Welten“ vereint oder eher eine Reihe unbefriedigender Kompromisslösungen, kann jede bzw. jeder selbst beurteilen.
Lukas Schlögl ist Senior Researcher an der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE).
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[1] Franz Nuscheler. 2012. Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik. Dietz Verlag: Bonn. S. 23.