Aktueller Kommentar Oktober 2023
Was bringt Österreichs neuer Masterplan der Humanitären Hilfe?
Österreichs Auslandskatastrophenfonds wurde in den letzten Jahren deutlich aufgestockt. Nun verabschiedete die Bundesregierung eine lang erwartete Strategie für die humanitäre Hilfe. Kann das Dokument deren Ziel- und Planungssicherheit erhöhen und ihrer Politisierung einen Riegel vorschieben? Eine Einschätzung.
Von Lukas Schlögl (ÖFSE), Oktober 2023
Ein Tsunami als Auslöser
Rückblende: Im Dezember 2004 löst ein Erdbeben im Indischen Ozean einen verheerenden Tsunami aus, der hunderttausende Todesopfer fordert und Millionen obdachlos macht. Im Angesicht der Naturkatastrophe beschließt der österreichische Nationalrat 2005 ein Bundesgesetz über den Hilfsfonds für Katastrophenfälle im Ausland. Der damit geborene Auslandskatastrophenfonds (AKF) spielt daraufhin ein Jahrzehnt lang mit einer Jahresdotierung von durchschnittlich EUR 5 Mio. eine Nebenrolle in der Entwicklungspolitik. 2016 vervierfacht Außenminister Sebastian Kurz die Dotierung unter dem Schlagwort „Hilfe vor Ort“. Der Topf bleibt bis 2020 auf einem Niveau von rund EUR 20 Mio.
Blick in die Gegenwart: Der AKF ist derzeit, 2023, mit nicht weniger als EUR 77,5 Mio. dotiert nachdem er im Jahr davor aufgrund einer Initiative der Regierung im Rahmen von „Nachbar in Not“ sogar mit EUR 100 Mio. ausgestattet war. Dafür gibt es leider eine Vielzahl von Anlässen: vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bis zu neu aufkeimenden Krisen im afrikanischen Sahel. Zum Vergleich: Der Inlands-Katastrophenfonds für Geschädigte von Naturereignissen in Österreich ist aktuell mit über EUR 600 Mio. dotiert.
Budget ohne Strategie leistet Politisierung Vorschub
Dem Vorsatz einer „substanziellen Erhöhung der Hilfe vor Ort“, den sich die amtierende Bundesregierung nahm, ist damit Genüge getan. Allein eine „Strategie mit Zielen und Zuständigkeiten“ im Bereich der humanitären Hilfe (HuHi), die laut Regierungsprogramm ebenfalls erstellt werden sollte, war bislang noch ausständig. Normalerweise sind politische Ziele auf der Suche nach Finanzierung und nicht umgekehrt. Obwohl 2020 ein Sonderbeauftragter für HuHi zur Koordinierung des Strategieprozess ernannt wurde, war der Weg bis zur Vorlage im Ministerrat ein langwieriger. Knapp drei Jahre und eine Sonderbeauftrage später stellte die Regierung das lange erwartete Dokument Anfang Oktober 2023 doch noch vor.
Abbildung 1. AKF Finanzierungen 2009–2024
Mit der Strategie liegt nun ein Dokument vor, das sowohl den quantitativen Entwicklungen beim AKF als auch einem durch multiple Krisen geprägten globalen Lagebild Rechnung trägt. Mit der Einigung signalisiert die Regierungskoalition, dass auch im Bereich der Entwicklungspolitik und HuHi Fortschritte in der Legislaturperiode erreicht werden konnten. In der bisherigen, in die Jahre gekommenen Leitlinie „Internationale humanitäre Hilfe“ spielte der AKF noch eine völlige Nebenrolle. Im Sinne strategischer Steuerung und Transparenz war die Strategie daher überfällig. Aber es bleiben Schwächen.
Der AKF ist ein spezielles Instrument: Jedes einzelne HuHi-Projekt muss im Ministerrat beschlossen werden; die Austrian Development Agency (ADA) wickelt das Budget bloß administrativ ab. An diesem Konstruktionsfehler des AKF, der ihn zum politischen Spielball und zum Gießkannenprinzip prädestiniert, ändert die nunmehrige Strategie nichts Grundsätzliches. Aus politischer Sicht ist diese Situation attraktiv: Ausschüttungen passieren zeitnah und haben hohe Sichtbarkeit, sie sind für diplomatische Zwecke nutzbar und passen in das „Vor Ort“ Narrativ, das den Regierungsdiskurs in Österreich seit einigen Jahren prägt.
Es bleibt viel Ermessensspielraum
Was leistet die neue Strategie? Erstens betont sie zurecht eine stärkere Verzahnung der HuHi mit Entwicklungszusammenarbeit (EZA) und Friedensförderung. Sie unterstreicht damit die Notwendigkeit von präventivem und kohärentem Handeln. Auch langanhaltende und vergessene Krisen rücken auf den Plan. Die Strategie verschreibt sich einem holistischen Krisenverständnis, dem Menschenrechtsansatz und hebt die Rolle von Innovation und Wissenschaft hervor. Auch wenn diese Ansätze in der Praxis erst mit Leben erfüllt werden müssen, zeigen sie in eine vielversprechende Richtung. Die für 2026 geplante externe Evaluierung wird eine erste Einschätzung erlauben, inwieweit die guten Intentionen auch umgesetzt wurden.
Kritisch ist einzuwenden, dass die Strategie vage bleibt. Zielbestimmungen sind nicht fest umrissen; harte Kriterien und konkrete Pläne sucht man vergebens. Es bleibt ein hohes Maß an Ermessensspielraum. Der AKF wurde mit der Strategie nicht institutionalisiert, sondern bleibt ein Ad-hoc Budget ohne zugehörige Verwaltungsstruktur. Obwohl Umsetzungsorganisationen auf mehr Planbarkeit pochen, wurde an der Vergabelogik nichts geändert außer, dass sich die Regierung vornimmt, von österreichischen NROs umzusetzende Projekte frühzeitig im Kalenderjahr zu beschließen.
Der geografische Radius der HuHi wird nur insoweit beschränkt, als sie dort erfolgen soll, „wo Hilfe erforderlich ist“. Akute Notlagen sind natürlich längerfristig nicht vorhersehbar; andererseits haben chronische Krisenherde doch eine Beständigkeit, die einen klareren Fokus der Mittel – besonders in Zeiten, in denen nicht gerade ein Tsunami den Mitteleinsatz zwingend nahelegt – erlaubt hätte. Derzeit finanziert der AKF jedes Jahr Projekte in etwa drei Dutzend Ländern und ist damit sehr breit gestreut.
Einmalige Konstellation oder Konstante?
Hinsichtlich budgetärer Ziele bleibt die Strategie bei einem allgemeinen Bekenntnis zu einer weiteren Aufstockung der Humanitären Hilfe. Laut Bundeshaushaltsvoranschlag 2024 wird der AKF nächstes Jahr mit EUR 80 Mio. dotiert sein; darüber hinaus ist derzeit nichts bekannt. Der Punkt ist deshalb heikel, weil sich die Frage stellt, ob der sprunghafte Anstieg bei der Dotierung des AKF – sowie bei den Mitteln des Klima- und des Landwirtschaftsministeriums – nur der derzeitigen Regierungskonstellation geschuldet ist, oder ob sie zu einer Konstante der österreichischen Entwicklungsfinanzierung wird. Eine Situation, wo zwar eine Strategie vorhanden ist, dieser aber kein relevantes Budget zugrunde liegt, kann damit für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Zum Vergleich: Der Inlands-Katastrophenfonds hat eine feste steuerliche Finanzierungsbasis.
In Summe ist die Strategie für humanitäre Hilfe zwar ein überfälliger Schritt – Prüfstein wird jedoch sein, ob sie in der Praxis Änderungen bringt und vor allem der Ambition einer Verzahnung von HuHi mit EZA und Friedenspolitik tatsächlich gerecht wird.
Dr. Lukas Schlögl ist Senior Researcher an der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE).
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