Aktueller Kommentar September 2022
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die afrikanischen Nahrungsmittelkrisen
Russlands Krieg gegen die Ukraine hat Folgen für die gesamte Welt. Insbesondere die afrikanischen Niedrigeinkommensländer und die Importeure von Nahrungs- und Düngemitteln und Energie geraten in die Krise. Der afrikanische Kontinent wird erneut in einen von außen verursachten Krisenmodus hineingezogen – mit weiter ansteigendem Hunger und Armut.
Robert Kappel, September 2022
Russlands Agenda auf dem Kontinent
Eines der wichtigsten außenpolitischen Ziele Russlands für das Jahr 2022 war es, die Beziehungen zu Afrika zu vertiefen. Präsident Putin hatte vor dem Russland-Afrika Gipfel in Sotschi (2019) dargelegt, dass Russland bereit sei, „den Reichtum des Kontinents nicht neu aufzuteilen, sondern mit Afrika zu konkurrieren und zu kooperieren. Wir haben unseren afrikanischen Freunden etwas zu bieten.“ Doch nun ist dies erstmal Makulatur.
Seit dem Jahr 2019 betont die russische Regierung vier strategische Ziele für seine Beziehungen zu Afrika. Russland versuchte einen Pool von afrikanischen Verbündeten gegen die anhaltende Dominanz der Vereinigten Staaten und anderer westlicher Mächte zu bilden. Russland war zudem bestrebt, den Zugang zu den natürlichen Ressourcen auszuweiten. Über die militärische Kooperation sollte russischen Bergbauunternehmen die Möglichkeiten verbessert werden, Öl, Gas, Gold, Diamanten, Kupfer, Kobalt, Coltan u.a. Rohstoffe auszubeuten. Russland versuchte außerdem seine Dominanz als Lieferant von Waffenexporten und Sicherheit in Afrika auszubauen. Bereits im Jahr 2021 hatte Russland einen Anteil von 35 Prozent an den Waffenimporten des Kontinents. Mit insgesamt vierzig afrikanischen Ländern unterhält Russland Militärabkommen. So sind beispielsweise die Streitkräfte von Algerien, Angola und Äthiopien fast vollständig mit Waffen aus russischer Produktion ausgestattet. Ferner beabsichtigte Russland die Entwicklung der Energie- und Stromversorgung afrikanischer Länder durch die eigenen Unternehmen zu unterstützen. Unternehmen wie Gazprom, Lukoil, Rostec, Rosatom und Rosneft investierten in Öl- und Gasprojekte in Algerien, Ägypten, Mosambik, Kamerun, Ghana und Nigeria.
Russland und Ukraine als wichtige Exporteure von Weizen und Mais
Sowohl Russland als auch die Ukraine spielen eine wichtige Rolle für die Nahrungsmittelversorgung zahlreicher Staaten Afrikas. So bezieht Südafrika rund 30 % seiner Weizeneinfuhren aus diesen beiden Ländern. Die Abhängigkeit von Weizen- wie auch Maislieferungen ist besonders hoch in Benin und dem Kongo. Weizenprodukte machen ein Drittel des durchschnittlichen nationalen Getreideverbrauchs in der Region Ostafrika aus. In Anbetracht des Umfangs der Weizennachfrage und der großen Abhängigkeit von Importen aus Russland und der Ukraine spüren der Sudan und Äthiopien am stärksten die Folgen des anhaltenden Kriegs zwischen den beiden Staaten. Sie sind von den Schocks bei den Weizenpreisen besonders betroffen, da sie bereits mit klimatischen Krisen konfrontiert sind.
Auch Ägypten ist besonders betroffen. Die prekäre Lage der ägyptischen Ernährungssicherheit ist darauf zurückzuführen, dass der Agrarsektor nicht in der Lage ist, genügend Weizen und Ölsaaten zu produzieren, um auch nur die Hälfte des Inlandsbedarfs zur Versorgung seiner 105 Mio. Bürger*innen mit Brot und Pflanzenöl sicherzustellen. Nach Schätzungen des US-Landwirtschaftsministeriums wird die ägyptische Weizenproduktion im Wirtschaftsjahr 2021/22 ca. 9 Mio. Tonnen erreichen – bei einem inländischen Verbrauch von 21,3 Mio. Tonnen. Das entstehende Defizit von 12,3 Mio. Tonnen muss durch Importe ausgeglichen werden. Schon vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine lagen die Preise für diese Importe auf Rekordniveau. Seitdem aber ist der Weizenpreis gegenüber dem Vorjahr deutlich angestiegen. Ein wachsender Teil der Bevölkerung leidet Hunger.
Nigeria, die größte Volkswirtschaft Afrikas, gab im Jahr 2019 allein für importierte Lebensmittel rund 46 Mrd. Euro aus. Russland und die Ukraine sind zu wichtigen Lieferanten Nigerias geworden. Der Krieg hat daher zu ernsten Problemen der Nahrungsmittelversorgung für die nigerianische Bevölkerung geführt. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind in die Höhe geschnellt. Diese Lage verdeutlicht auch, dass Nigeria seine Landwirtschaft, in der ein großer Teil der Menschen lebt und arbeitet, in den letzten Jahrzehnten stark vernachlässigt hat. Das macht sich nun, wie auch in anderen Ländern, schmerzlich bemerkbar. Das Land kann die stetig wachsende Bevölkerung nicht aus eigenen Ressourcen ernähren. Was noch eklatanter ist: Nigeria ist kaum in der Lage, kurzfristig die Weizenlücke von über 6 Mio. Tonnen durch Maßnahmen der Importsubstitution zu schließen. Immer mehr Nigerianer*innen fordern, dass die seit langem überfälligen Maßnahmen zur Entwicklung der Landwirtschaft dringend in Angriff genommen werden müssen.
Fazit
Viele afrikanische Länder sind durch den von Russland heraufbeschworenen Krieg in eine wirtschaftliche und soziale Krise geraten. Besonders jene Länder, die stark von Nahrungsmittelimporten aus der Ukraine und Russland abhängig sind, haben nun Inflation, soziale Notlagen, mehr Hunger und mehr Armut zu verzeichnen. Revolten gegen die hohen Lebensmittelpreise und gegen die Nahrungsmittelknappheit gab es bereits in Sierra Leone, Nigeria, Kenia und Senegal. Die Versorgungskrise zeigt, dass afrikanische Staaten viel größere Anstrengungen unternehmen müssen, um vorrangig die Landwirtschaft und die lokalen Nahrungsmittelindustrien zu entwickeln, um eine nachhaltige Versorgungssicherheit zu gewährleisten. In der globalen Nahrungsmittelkrise zeigt sich die Schieflage, in die sich viele Länder durch ihre hohe Importabhängigkeit von Nahrungsmitteln hineinmanövriert haben. Wegen der seit Jahrzehnten erfolgten Benachteiligung des ländlichen Afrikas leiden Bauern und Bäuerinnen und die ländliche Bevölkerung.
Die hohen Lebensmittelpreise könnten langfristig zu einem Umdenken und am Ende sogar zu einem Produktivitätsschub in der afrikanischen Landwirtschaft beitragen, wenn es gelänge, die Infrastruktur zu verbessern und Produktionsanreize für Bäuerinnen und Bauern zu verstärken. Eine wichtige Voraussetzung für eine eigenständige afrikanische Nahrungsmittelstrategie ist die Afrikanische Freihandelszone (AfCFTA) mit 54 Mitgliedstaaten. Die engere Kooperation untereinander kann hefen, die hohen Importabhängigkeiten zu reduzieren, zum Beispiel durch regionale Wertschöpfungsketten, die die Länder untereinander mit Energie, Nahrungs- und Düngemitteln bedienen.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine verdeutlicht vor allem drei Hauptprobleme: Erstens, viele afrikanische Länder sind durch externe Schocks verletzbar. Die Nahrungsmittel- und Klimakrise wie auch die Auswirkungen der Pandemie sind Indikatoren für die hohe Vulnerabilität Afrikas. Zweitens, externe Akteure orientieren sich an ihren eigenen Interessen und schaffen Abhängigkeiten, etwa als Nahrungsmittelexporteure oder als Rohstoffinvestoren. Auch Russland ist kein verlässlicher Partner afrikanischer Länder – eher ein Akteur, der sich militärisch und geostrategisch gegen den Westen aufstellt und sich von den Staaten Afrikas Unterstützung erhofft. Es ist fraglich, ob diese Strategie angesichts des andauernden Krieges aufgeht. Drittens, die Versorgungskrise zeigt, wie wenig sich die afrikanischen Machteliten am Gemeinwohl und der Versorgung ihrer Bevölkerung orientieren. Sie haben ihre Länder in Abhängigkeiten und von außen induzierte wirtschaftliche und gesellschaftliche Großkrisen geführt, aus denen sie nur schwer herausfinden.
Prof. Dr. Robert Kappel ist Prof. Emeritus am Institut für Afrikastudien der Universität Leipzig und Aufsichtsratsmitglied der ÖFSE. Er bloggt unter https://graensengrenzen.wordpress.com/ und https://weltneuvermessung.wordpress.com/