Aktueller Kommentar April 2019

Die internationale Entwicklungshilfestatistik – auf dem besten Weg in die Irrelevanz

Michael Obrovsky

Am 10. April 2019 hat das Development Assistance Committe (DAC) der OECD die Pressemeldung über die vorläufigen Daten der Official Development Assistance (ODA) 2018 veröffentlicht. Der leichte Rückgang bzw. die Stagnation der öffentlichen Mittel aller DAC-Geberländer auf niedrigem Niveau hat kaum Neuigkeitswert und ist den Medien bestenfalls eine Randnotiz wert. Da bleibt auch verborgen, dass die Geberländer derzeit ihre Statistikmelderichtlinien „modernisieren“. Sofern die vorläufig beschlossenen Regeln bleiben, droht die ODA-Statistik irrelevant zu werden.

Michael Obrovsky (ÖFSE), April 2019

ODA 2018 mehr oder weniger – je nach Berechnungsart!

Die vorläufigen ODA-Daten für das Jahr 2018 betrugen auf Basis der neuen Berechnungsmethode 153,0 Mrd US$. Das waren insgesamt nur rund 0,31% des BNE. Dies ist fast 50 Jahre nach der Beschlussfassung des 0,7% ODA-Zieles bei der UN im Jahr 1970 ein beschämend niedriger Wert. Damit sind die DAC-Geberländer weit weg von dem selbst gesetzten Ziel einer globalen Partnerschaft, die im Jahr 2015 im Rahmen der Sustainable Development Goals (SDGs) erneuert wurde. Daran ändert auch nichts, dass fünf DAC-Mitgliedsländer (Dänemark, Luxemburg, Norwegen, Schweden und UK) das 0,7% ODA-Ziel überschritten oder erreicht haben, die Mehrheit der Geberländer verfolgt dieses Ziel nur halbherzig.

Die Stagnation der ODA-Leistungen soll nun mit Hilfe der Modernisierung des ODA-Konzeptes überwunden werden. Auch wenn die Daten nicht mehr vergleichbar sein werden, soll mit der Berücksichtigung der Privatsektorinstrumente bei der ODA ein realistischer Vergleich der Anstrengungen der Geberländer erzielt werden. Mit der radikalen Veränderung der bisherigen Praxis von „cash flow“ auf „grant equivalent“ wird versucht, die Geschenkanteile eines Kredits in Geldwert auszudrücken und in die ODA-Berechnung einfließen zu lassen. Diese Umstellung wurde in der Berechnung der ODA-Leistungen 2018 erstmals durchgeführt.

Um trotzdem insgesamt eine Vergleichbarkeit zu gewähren hat das DAC auch die ODA auf „Cash Flow Basis“ dargestellt. Allerdings werden die ODA-Quoten der einzelnen Länder auf „Grant Equivalent Basis“ dargestellt. Die gesamten ODA-Leistungen betrugen nach der alten – vergleichbaren – Methode 149,32 Mrd US$. Im Vergleich zum Jahr 2017 bedeutet dies – inflationsbereinigt – einen geringfügigen Rückgang (-2,7%) der ODA-Leistungen.

Der Rückgang wird auf geringere Meldungen bei vielen DAC-Mitgliedsländern bei den Kosten für AsylwerberInnen zurückgeführt. Ohne Flüchtlingskosten sind die inflationsbereinigten Ausgaben für die ODA im Vergleich zu 2017 gleich geblieben. Insgesamt betrug der Anteil der Ausgaben für AsylwerberInnen im Geberland im Jahr 2018 nur mehr rund 7% der gesamten ODA, während er 2017 noch 9,6% und 2016 11% betrug.

Ein neuer Ansatz zur Steigerung der ODA ….

Bereits 2016 haben die DAC-Mitgliedsländer beschlossen, die „Grant Equivalent Methode“ auch bei Privatsektorinstrumenten (PSI) und bei Beteiligungen anzuwenden, um die „Geber-Anstrengungen“ in der ODA-Statistik besser sichtbar zu machen. Bei den öffentlichen bilateralen und multilateralen Krediten konnte man sich bereits 2014 auf eine Methode zur Meldung einigen, bei den PSI und bei der Verschuldung wurde eine provisorische Melderichtlinie verabschiedet. Beiträge an Entwicklungsfinanzorganisationen (z.B. Entwicklungsbanken) können demnach entweder zum Nennwert („institutional approach“) oder bei Beteiligungen oder Krediten an den privaten Sektor auf „cash flow“ Basis („instrumental approach“) angerechnet werden. Während bei den öffentlichen bilateralen und multilateralen Krediten nur mehr das „grant eqivalent“ berücksichtigt wird, werden bei den PSI entweder Beiträge an Entwicklungsfinanzierungsorganisationen oder die privaten Beteiligungen und die Kredite auf „cash flow“-Basis in der ODA-Statistik berücksichtigt. Damit ist nicht nur die Vergleichbarkeit der ODA-Leistungen der vergangenen Jahrzehnte mit den Daten ab 2018 nicht mehr gegeben, sondern auch die Vergleichbarkeit der einzelnen Geberländer innerhalb eines Jahres nur mehr eingeschränkt möglich, da einerseits sowohl „cash flow“-Daten als auch „grant equivalent“-Daten für Kreditfinanzierungen verwendet werden, und andererseits die Auswahl zwischen dem „institutional approach“ und dem „instrumental approach“ zu einer unterschiedlichen Darstellung der Geber-Anstrengungen führt.

Auch wenn im Jahr 2018 die Unterschiede bei den gesamten ODA-Leistungen nur 3,7 Mrd US$ betrugen und der Eindruck entsteht, dass aufgrund der unterschiedlichen Berechnungsmethode die Unterschiede vernachlässigbar sind, ist anzunehmen, dass jene Anteile der ODA-Statistik aus dem PSI Sektor in Zukunft zunehmen werden, da selbst das DAC darauf drängt, „dass die ODA besser als Hebel genutzt wird, um private Investitionen und inländische Steuereinnahmen in armen Ländern zu generieren ….“.

Grundsätzlich sind sowohl die PSI als auch die Steigerung der inländischen Steuereinnahmen zu begrüßen, die Frage warum die PSI auf unterschiedliche Art und Weise als andere öffentliche Kreditfinanzierungen in der ODA-Statistik berücksichtigt werden lässt sich nicht wirklich mit der besseren Abbildung der Geber-Anstrengungen argumentieren, viel eher ist zu vermuten, dass damit mittelfristig die schlechte ODA-Performance der Geberländer korrigiert werden soll, ohne dass zusätzliche öffentliche Mittel in die Hand genommen werden müssen.


….kommt bei den ärmsten Ländern im globalen Süden nicht an.

Die vorläufigen ODA-Daten 2018 zeigen, dass bei den bilateralen ODA-Leistungen an Afrika ein Rückgang von 4%, bei den Leistungen an Sub-Sahara Afrika sogar im Vergleich zu 2017 um 4,4%, feststellbar war. Die neue DAC-Vorsitzende Susanna Moorehead bedauert zwar diesen beunruhigenden Rückgang in der Pressemeldung, sie sieht aber in der neuen „Grant Equivalent Methode“ einen Anreiz dafür, dass mehr Kredite an jene Länder vergeben werden, die sie am meisten benötigen.

Ob auch die ärmsten Länder, die Kredite am dringendsten brauchen, solche auch erhalten werden, bleibt fraglich. Sowohl der private Sektor als auch Entwicklungsbanken sind stärker in reicheren Ländern engagiert als in den ärmsten Ländern. Die Modernisierung der ODA-Statistik kommt in diesem Fall zwar den Geberinteressen nach einer besseren Darstellung der Geber-Anstrengungen zugute, sie wird aber kaum zu vermehrten ODA-Mitteln in den ärmsten Ländern führen.

Die derzeitige provisorische Richtlinie zur Verarbeitung von PSI in den ODA-Leistungen führt darüber hinaus zu einer weiteren Beschädigung der Reputation des DAC und der ODA-Statistik, zumal die Verarbeitung der Daten nicht konsistent erfolgt, da gleiche Instrumente (Kreditfinanzierungen) unterschiedlich behandelt werden. Sollte diese provisorische Methode der Anrechnung der PSI beibehalten werden, dann läuft die ODA-Statistik des DAC Gefahr, ihre Relevanz einzubüßen. Sie wird dann immer weniger vergleichbare Informationen darüber liefern, wie viel Mittel tatsächlich im Rahmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit an die Partnerländer im globalen Süden gehen.

Darüber hinaus wird die ODA-Statistik technisch immer komplexer und komplizierter, sodass aufgrund der Melderichtlinien die Berechnung von Quoten und Daten sich immer mehr von der ursprünglichen Idee der Entwicklungszusammenarbeit entfernt.

TOSSD statt ODA-Quote von 0,7% des BNE

Bereits heute wird von vielen Partnern im Globalen Süden die ODA-Statistik des DAC als irrelevant angesehen, da sie einerseits eine Konstruktion der Geberländer ist, die auf die Erfordernisse der Partnerländer nicht eingeht und andererseits zu wenig Transparenz über die Programme und Projekte bietet, die mit den in der Statistik ausgewiesenen Mitteln finanziert werden. Die Erwartungen der DAC-Geberländer, mit Hilfe der Integration der PSI in die ODA-Statistik die 0,7%-Quote rascher erreichen zu können, sind nicht nur unrealistisch, sondern führen sowohl zu einer nachhaltigen Beschädigung des gesamten Konzeptes der Entwicklungsfinanzierung, als auch des Systems multilateraler Governance. Eine Diskussion über die Einführung eines zusätzlichen Systems der ODA zur Erfassung der Mittel für die nachhaltige globale Entwicklung unter dem Titel TOSSD (Total Official Support for Sustainable Development) ist in die richtige Richtung gegangen. Diese Erweiterung ist derzeit politisch nicht realisierbar.

Die ODA-Statistik, die aufgrund der relativ geringen Erfolgsgeschichte bereits jetzt im Abseits der Öffentlichkeit steht, wird durch eine weitere Modernisierung der Melderichtlinien immer irrelevanter. Angesichts des Umstandes, dass die ODA-Quote von 0,7% des BNE von den DAC-Gebern seit fast 50 Jahren nicht erreicht werden konnte, und angesichts der Beschlussfassung der SDGs im Jahr 2015 wäre es – anstelle einer komplizierten Modernisierung der Melderichtlinien – doch weit ehrlicher, die ODA-Quote neu zu überdenken und für ein klares und einfaches ODA-System zu plädieren, das auch von den Partnerländern im Globalen Süden akzeptiert und im Norden politisch tatsächlich realisiert werden kann. Leistungen des Privatsektors und andere Geber-Anstrengungen würden dann im Rahmen von TOSSD verarbeitet und dargestellt werden.

Hinweis: In der ÖFSE Policy Note 31 „Die quantitative Seite der Entwicklungszusammenarbeit: politisches Wunschkonzert oder solide statistische Messung?“ (Obrovsky, Michael/Riegler, Hedwig) vom März 2019 werden technische Details der ODA-Reform angesprochen und Empfehlungen an die österreichische Regierung formuliert.


Dr. Michael Obrovsky ist stellvertretender Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE).

Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
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