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Kein Ort zum Bleiben. Intern Vertriebene in El Salvador

Gabriel Tober

Wien, März 2022 | 978-3-902906-59-5

Seit einigen Jahren ist das Thema Migration und Flucht aus der Entwicklungsdiskussion nicht mehr wegzudenken. Debatten über den Zusammenhang zwischen Migration und Entwicklung beruhen meist auf dem Erkenntnisinteresse, wie Entwicklungszusammenarbeit zur Minderung von Migrationsbewegungen in die Länder des Globalen Nordens eingesetzt werden kann. Dabei liegt der Fokus auf internationaler Migration.

Gabriel Tober untersucht hingegen das in der entwicklungspolitischen Debatte vergleichsweise vernachlässigte Phänomen der internen Migration aufgrund von Vertreibung am Beispiel El Salvador. Seine Erkenntnisse sind nichtsdestotrotz, oder gerade aufgrund dieser Vernachlässigung, von großer entwicklungspolitischer Relevanz. In seiner Masterarbeit geht er einer zwischen staats- und migrationswissenschaftlichen Ansätzen angesiedelten Fragestellung nach, nämlich welche Formen der staatlichen, kollektiven und individuellen Bearbeitung und Überwindung von Situationen der internen Vertreibung durch Flucht in El Salvador auftreten und welche Bedeutung diese für die Konfliktbewältigung in einem Post-Konflikt-Land haben.

Ausführliche theoretische Auseinandersetzungen mit dem Konzept interner Vertreibung aufgrund von Gewalt sowie mit jenem der strukturellen Selektivität von peripherer Staatlichkeit liegen einer detaillierten empirischen Untersuchung des Phänomens in El Salvador zugrunde. So gelangt Gabriel Tober zu differenzierten Erkenntnissen. Er zeigt auf, dass der salvadorianische Staat zwar Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung intern Vertriebener ergreift, allerdings sind diese insgesamt unzureichend, selektiv und durch unterschiedliche Formen des Ausschlusses geprägt. In Reaktion darauf entwickeln Betroffene verschiedene Formen der individuellen und, in geringerem Ausmaß, kollektiven Bearbeitung, nämlich die Reduktion der eigenen öffentlichen Sichtbarkeit und die gegenseitige Unterstützung in sozialen Netzwerken. Gabriel Tober kommt zu dem Schluss, dass aufgrund des inkohärenten staatlichen Handelns zwischen Repression und selektiver Unterstützung die Hauptverantwortung für die Bearbeitung der Problemlagen intern Vertriebener bei diesen selbst liege. Dies ist nicht nur aus humanitärer Perspektive problematisch, sondern birgt auch das Risiko die strukturellen Bedingungen für Gewalt zu verschärfen. Es ist daher dringend geboten, kollektive Formen der Verantwortung zu stärken.

Gabriel Tobers Arbeit ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Sie leistet einerseits einen wichtigen theoretischen Beitrag zur Frage der Beschaffenheit und Rolle des Staates in der Peripherie. Andererseits weist sie auf die humanitäre und entwicklungspolitische Dringlichkeit hin, dem Phänomen interner Vertreibung und seiner (unzureichenden) Bearbeitung durch den Staat mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

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