Aktueller Kommentar April 2020

Die Corona-Krise als Chance für eine globale nachhaltige Entwicklung? Türkis-Grün muss EZA deutlich aufwerten

Michael Obrovsky

Während derzeit in Österreich zwar eine Verknüpfung der Maßnahmen im Kampf gegen die durch die Corona-Krise verursachte Weltwirtschaftskrise mit dem Klimaschutz gefordert wird, droht die dritte Säule der erst im Jahr 2015 bei der UN-Generalversammlung beschlossenen Sustainable Development Goals (SDGs), die globale soziale Dimension, unter den Tisch zu fallen. Angesichts der drohenden massiven sozialen Folgen von COVID-19 ist gerade der SDG-Ansatz für die Erarbeitung kohärenter Politiken von großer Aktualität. Die Bundesregierung muss die Bekämpfung der sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Corona-Krise in ihrer Entwicklungspolitik deutlich aufwerten.

Von Michael Obrovsky und Werner Raza (ÖFSE), April 2020

Die Sustainable Development Goals (SDGs) als Referenzrahmen für globale Entwicklung

Die SDGs, die 2015 bei der UN-Generalversammlung als neuer internationaler Referenzrahmen globaler Entwicklung beschlossen wurden, sind eine wesentliche Basis für ein vernetztes, disziplinen- und sektorenübergreifendes Denken, mit dem die verschiedenen Auswirkungen der Globalisierung nicht nur analysiert, sondern auch besser gesteuert werden können. Der Ansatz ist auch das Ergebnis von jahrzehntelangen Lernprozessen und Verhandlungen der internationalen Entwicklungs- und Klimapolitik. Maya Göpel, Generalsekretärin des deutschen Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), betont zurecht, dass Ökonomie, Ökologie und soziale Entwicklung gemeinsam und übergreifend zu denken sind. Es steht eine globale Politik zur Diskussion, die von Politikerinnen und Politikern nicht weniger verlangt, als die komplexen Zusammenhänge der Welt völlig neu zu denken.

Corona-Krise entsorgt alte finanzpolitische Dogmen

Die Corona-Krise hat in kürzester Zeit viele wirtschaftspolitische Dogmen über Bord geworfen und drastisch vor Augen geführt, dass der Markt alleine nicht in der Lage ist, alle Probleme zu lösen. Der Staat ist mehr denn je gefragt. Nationale Konjunkturprogramme zur Belebung der Wirtschaft nach der Corona-Krise – nach dem Motto „Whatever it takes“ – werden derzeit auch von neoliberalen ÖkonomInnen und Thinktanks gefordert und unterstützt. Sei es die Verteilung von 1200 US$ Checks mit der Unterschrift Donald Trumps zur Ankurbelung der US Wirtschaft (Helikoptergeld) oder die Vielzahl nationaler Fonds, Fördertöpfe und Notprogramme in nicht abschätzbarer Milliardenhöhe. Auch die Bereitschaft der EU-Finanzminister zunächst 500 Mrd. Euro aus dem europäischen Rettungsfonds ESM für die europäische Wirtschaft zur Verfügung zu stellen und bei Bedarf zu verdoppeln sind nur einige Beispiele für die politischen und finanziellen Handlungsspielräume in der rezenten Krisensituation. Für die Finanzierung der Maßnahmen in Österreich brauche es laut ÖVP „…einen noch nie da gewesenen nationalen Kraftakt“. In Österreich stehen derzeit insgesamt um die 50 Mrd. Euro an Kosten zur Diskussion, die das Budget 2020, das erst im Mai im Parlament beschlossen werden soll, belasten und die Verschuldung Österreichs ansteigen lassen werden.

Grüne Konjunkturprogramme ausreichend?

Die von der Klima- und Umweltministerin Leonore Gewessler geforderte Verknüpfung von Staatshilfen für die Wirtschaft mit klaren klimapolitischen Bedingungen wird von fortschrittlichen ÖkonomInnen unterstützt, die dafür eintreten, dass weder auf nationaler noch auf EU-Ebene der Klimaschutz durch Maßnahmen in der Corona-Krise konterkariert wird, wie beispielswiese durch die bedingungslose Finanzhilfe für die Luftfahrtindustrie. Sie fordern sowohl zur Lösung der Corona-Krise als auch zur Lösung der Klimakrise einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Neustart. Auf EU-Ebene geht es vor allem um die Beibehaltung des europäischen Green Deals, der angesichts der Corona-Krise bereits als Priorität der neuen Kommission in Frage gestellt wird. So hat etwa der tschechische Premierminister Andrej Babiš die EU-Kommission aufgefordert, den European Green Deal zu vergessen und sich stattdessen um die Pandemie zu kümmern. Angesichts der düsteren Prognosen der Auswirkungen der Pandemie auf die globale Wirtschaft – der IWF schätzte etwa in seinem jüngsten World Economic Outlook vom April 2020, dass die Weltwirtschaft im heurigen Jahr um 3% schrumpfen werde – besteht die Gefahr, dass das Wirtschaftswachstum auf Kosten des Klimas und der Umwelt wieder stärker in den Vordergrund gerückt wird. Daher ist es grundsätzlich richtig, dass jetzt die Umwelt- und Klimamaßnahmen eingefordert werden. Reicht das angesichts der drohenden sozialen Konsequenzen der Corona-Krise aber aus?

Die sozialen Folgen der Krise kommen noch!

Aus heutiger Sicht steht fest, dass der Lockdown der Wirtschaft zu einem globalen Wohlstandsverlust führen wird. Fest steht auch, dass die Folgen in den Ländern des globalen Südens noch weit dramatischer sein werden, als in den Industrieländern, die Finanzmittel und Instrumente haben, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Lockdown abfedern zu können. In den vergangenen Tagen und Wochen haben viele internationale Organisationen auf die negativen Folgen von COVID-19 für die Menschen im globalen Süden hingewiesen: OXFAM schätzt etwa, dass die Krise eine halbe Milliarde Menschen in absolute Armut stürzen wird. Im schlimmsten Fall könnten 922 Millionen Menschen in absolute Armut geraten und mit weniger als 1,9 US$ pro Tag auskommen müssen. Jene Länder, in denen der informelle Sektor groß ist, sind besonders betroffen.

Die Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern, die als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung gelten, nahmen aufgrund der Krise dramatisch ab. Allein im März haben Investoren aus diesen Ländern 83 Mrd. US$ abgezogen und aufgrund der prekären Aussichten haben sich die Finanzierungsbedingungen für diese Länder noch deutlich verschlechtert. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass Quarantänemaßnahmen, Ausgangsbeschränkungen und der wirtschaftliche Lockdown in Ländern des globalen Südens zu sozialen Unruhen führen kann, wenn die Maßnahmen zur Abfederung der Krise zu gering ausfallen sollten.

Wenn das Prinzip der SDGs „leave no one behind“ und die globale Verantwortung ein wichtiger Teil des globalen Nachhaltigkeitskonzeptes und der globalen Partnerschaft ist, dann kann sich die aktuelle Krisenpolitik nicht nur auf die wirtschaftliche Wiederherstellung nach der Krise, allenfalls unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima, in den Industrieländern beschränken. Sondern es muss auch die globale soziale Dimension der Krise berücksichtigt werden.

EZA im Abseits?

Armutsreduktion im globalen Süden wurde von den Industrieländern bisher vielfach mit Hilfe von Entwicklungszusammenarbeit durchgeführt, wobei allerdings seit Jahrzehnten klar ist, dass die dafür verwendeten öffentlichen Mittel nicht ausreichen. Das Development Assistance Committe der OECD veröffentlichte am 16. April 2020 die vorläufigen Daten der Statistik der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (ODA) 2019. Mit rund 153 Mrd. US$ ODA-Leistungen im Jahr 2019 (0,30% des BNE) konnte ein geringfügiger Zuwachs im Vergleich zum Jahr 2018 erreicht werden. Angesichts der im Zusammenhang mit der Corona-Krise mobilisierten Mittel in den Industrieländern handelt es sich bei den Leistungen der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit um sehr bescheidene Finanzmittel, die zudem bei den meisten Industrieländern weit unter den zugesagten Werten lagen. Österreich lag 2019 mit einer ODA-Quote von 0,27% des BNE (1.256 Mill US$) nicht nur unter dem DAC-Durchschnitt von 0,30%, sondern im Vergleich zum EU-Geberländerdurchschnitt von 0,47% weit hinten. Auch wenn Österreich im Budget 2020 eine Steigerung von rund 22 Mio. Euro für die EZA-Mittel vorgesehen hat – was zu begrüßen ist, wird dies zu keiner signifikanten Veränderung der ODA-Quote führen. Die im Regierungsprogramm in Aussicht gestellte schrittweise Steigerung der EZA-Mittel in den kommenden Jahren aufgrund der Krise ist daher dringlicher denn je. Angesichts der Größenordnungen der österreichischen Corona-Hilfspakete sind die Summen, um die es im Kontext selbst einer deutlich aufgestockten EZA geht, wohl nur „Peanuts“. Das Argument, dass wir uns eine höhere EZA nicht leisten können, wurde durch die Krise ein für alle Mal ad absurdum geführt.

Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, dass in einer global dicht vernetzten Welt sich einzelne Länder nicht abschotten können. Den globalen Süden und vor allem die afrikanischen Länder mit den massiven gesundheits- und wirtschaftspolitischen Folgen von COVID-19 allein zu lassen, wird daher auf uns in Europa und Österreich zurückfallen. Eine massive Ausweitung der EZA zur Unterstützung der Gesundheitssysteme und zur makroökonomischen Stabilisierung in den Entwicklungsländern ist daher dringend nötig und in unserem wohlverstandenen Eigeninteresse. Der SDG-Ansatz sieht im Ziel 17 vor, „Umsetzungsmittel [zu] stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben [zu] erfüllen“. Wenn die globale Partnerschaft auch in und nach Krisenzeiten gelten soll, dann wird es eine neue Politik brauchen, die nicht nur Ökonomie und Klima im nationalen Kontext berücksichtigt, sondern – ganz im Sinne des SDG-Konzeptes – eine globale nachhaltige Entwicklung andenkt. Dazu braucht es eine deutliche Nachschärfung der österreichischen Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit.

Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
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Dr. Werner Raza, Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Internationaler Handel, Entwicklungsökonomie und -politik
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