Aktueller Kommentar Oktober 2019

Ein Ministerium für globale nachhaltige Entwicklung und mehr finanzielle Mittel - zwei konkrete Schritte Österreichs zur ernstgemeinten Globalen Partnerschaft

Michael Obrovsky

Die Wahlen zum Nationalrat sind geschlagen und die Gespräche zur Bildung einer neuen Regierung haben begonnen. Angesichts von Klimawandel und anderen drängenden globalen Herausforderungen braucht es neue Politikansätze. Die Einrichtung eines Ministeriums für globale nachhaltige Entwicklung und die Aufstockung der Mittel für EZA um 350 Mio. Euro sowie der internationalen Klimafinanzierung um 250 Mio. Euro wären konkrete Schritte, mit denen die neue Regierung zeigen könnte, dass es ihr mit einer zukunftsorientierten Politik Ernst ist.

Von Michael Obrovsky und Werner Raza (ÖFSE), Oktober 2019

Das neue Regierungsprogramm wird zum Testfall für die internationale Glaubwürdigkeit Österreichs. Ohne konkreten Bezug zur globalen nachhaltigen Entwicklung und ohne konkrete Verpflichtung zur Entwicklungs- und Klimafinanzierung im Regierungsprogramm wird die Umsetzung der globalen nachhaltigen Entwicklung in der nächsten Legislaturperiode in Österreich nicht stattfinden. Damit steht das Ansehen Österreichs als verlässlicher Partner bei den internationalen Organisationen auf dem Spiel.

Die innenpolitische Erfahrung in Österreich lehrt, dass Regierungen nur die im Regierungsprogramm verankerten konkreten Maßnahmen umsetzen, während allgemein formulierte Zusagen im Regierungsprogramm unverbindlich bleiben und – da die budgetäre Situation immer ungünstig ist – auf den „St. Nimmerleins-Tag“ verschoben werden. Daher ist es besonders wichtig, vor den Verhandlungen zu einem neuen Regierungsprogramm die aktuellen Herausforderungen klar anzusprechen und dazu politisch realisierbare Vorschläge einzubringen.

Ganz oben auf der Agenda der anstehenden Regierungsverhandlungen sollte „der Umgang mit der Klimakatastrophe“ stehen, meinte Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Beauftragung von Sebastian Kurz zur Regierungsbildung am 7. Oktober 2019. Die Klimaerwärmung und ihre Auswirkungen sind Teil des im Jahr 2015 auf UN-Ebene beschlossenen neuen internationalen Referenzrahmens der globalen nachhaltigen Entwicklung – der Sustainable Development Goals (SDGs). Hier wurden erstmals die bisher getrennt gedachten Bereiche der sozialen Entwicklung, der Ökologie und der Ökonomie zusammenführt und 17 Ziele (SDGs) formuliert, die einen gemeinsamen Rahmen für eine globale, nachhaltige Entwicklung bilden. Ein Regierungsprogramm, das Österreich als internationalen Akteur innerhalb der EU und innerhalb des UN Systems ernst nimmt, muss daher auch die Umsetzung der SDGs möglichst konkret berücksichtigen und geeignete politische Instrumente und Institutionen bereitstellen.

Globale nachhaltige Entwicklung braucht kohärentes Institutionensetting

Wenn die österreichische Bundesregierung ihre verschiedenen Politiken zugunsten der globalen nachaltigen Entwicklung verbessern möchte, dann erfordert dies institutionelle Veränderungen, die dem Anspruch der SDGs Rechnung tragen, „die Politikkohärenz zugunsten nachhaltiger Entwicklung [zu] verbessern“ (Unterziel 17.14). Der in Österreich übliche Aufbau der Ministerien nach Sektoren und Themenfeldern stößt hier schnell an Grenzen, da es vorrangig um die die Wahrnehmung der spezifischen Interessen des jeweiligen Sektors geht. Im gegenwärtigen institutionellen Setting dominieren die kurzfristigen Sektorinteressen daher zumeist die längerfristig sinnvollen Lösungen. Das Landwirtschaftsministerium beispielsweise sieht sich in erster Linie den eigenen Bauernvertretern, den Landwirtschaftskammern, und der heimischen Agrarindustrie verpflichtet. Themen der globalen nachhaltigen Entwicklung drohen entweder blockiert, verwässert oder auf die lange Bank geschoben zu werden. Klimaschutz verkommt so zu einem Anhängsel des Landwirtschaftsressorts, so wie die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe seit langem ein Schattendasein im Außenministerium fristet. Im Bereich der Handelspolitik (Koordinierungskompetenz hat das Wirtschaftsministerium) werden Freihandelsabkommen wie zuletzt das EU-Mercosur Abkommen primär danach beurteilt, ob sich dadurch Exportchancen für die heimische Wirtschaft ergeben, oder allenfalls ob die heimischen Bauern durch Fleischimporte unter Druck kommen. Dass wir mit diesem Abkommen ein auf Raubbau an tropischen Regenwäldern basierendes Wirtschaftsmodell fördern, mit möglicherweise irreparablen Schäden für das Weltklima, wird in diesem Institutionensetting von niemandem vertreten - zumindest von niemandem mit Einfluss – sondern muss von externen ExpertInnen und der Zivilgesellschaft vertreten werden. Da muss dann schon ein Wahlkampf dazwischenkommen, dass solche Einwände ausnahmsweise zu politischen Konsequenzen führen.

Ein Ministerium für globale nachhaltige Entwicklung

Den aktuellen globalen Problemlagen wird ein solches Politikmodell schon lange nicht mehr gerecht. Die Ausrichtung auf eine globale nachhaltige Entwicklung impliziert, dass die verantwortlichen PolitikerInnen und bürokratischen Institutionen die Auswirkungen politischer Maßnahmen auf die nachhaltige Entwicklung auch in einem globalen Kontext systematisch berücksichtigen. Das heißt, dass Ministerien in der Lage sein müssen, eine breite Folgenabschätzung ihrer Maßnahmen und Politiken vorzunehmen, welche über die unmittelbare Betroffenheit ihrer Kernklientel hinausgehen. Genau dies findet im gegenwärtigen Institutionensetting aber nicht statt.

Zur Umsetzung einer kohärenten österreichischen Politik zugunsten einer globalen nachhaltigen Entwicklung ist daher die von der ÖFSE schon im Jahr 2013 vertretene Forderung nach einem Ministerium für globale nachhaltige Entwicklung aktueller denn je. Es muss darum gehen, neue Strukturen zu schaffen, die nicht nur den „Status Quo“ verwalten, sondern die zentralen Zukunftsthemen auf globaler Ebene mitgestalten. Ein solches Ministerium müsste finanzielle, personelle und institutionelle Kapazitäten und Kompetenzen unterschiedlicher Ministerien zusammenführen. Konkret müssten zumindest folgende Agenden in das neue Ministerium überführt werden: (i) Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe aus dem BMEIA (inkl. der ADA), (ii) internationale Finanzinstitutionen und Entwicklungsfinanzierung aus dem BMF (inkl. der Aufsichtsagenden für die OeEB) (iii) internationale Klimapolitik, Ernährungs-, Umwelt- sowie Rohstoffpolitik aus dem Lebensministerium, (iv) internationale Forschungs- und Wissenschaftspolitik aus dem Bildungsministerium (inkl. des OeAD), (v) Handels- und Investitionspolitik aus dem BMDW, sowie (vi) internationale Sozial- und Gesundheitspolitik aus dem Sozialministerium.

Sind die internationalen Agenden bislang zumeist Anhängsel nationaler politischer Prioritäten, stellt die systematische Abstimmung der internationalen Agenden durch das mit einem starken Koordinierungsmandat ausgestattete neue Ministerium sicher, dass Fragen der Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung auch für die nationale Politik ein entschieden höherer Stellenwert zukommt. Das Ministerium für globale nachhaltige Entwicklung würde Österreich auch in den genannten Bereichen auch auf europäischer Ebene vertreten.

Ziel des Ministeriums müsste es sein, durch umfassende Politiken die Transformation zu einer global nachhaltigen Entwicklung proaktiv mitzugestalten. Die Formulierung der Politiken müsste neben den traditionellen politischen Akteuren vor allem unter breiter Einbindung von Zivilgesellschaft und Wissenschaft passieren. Klar ist, dass ein solches Ministerium für die Durchsetzung umstrittener Vorhaben auf breite Unterstützung angewiesen sein wird.

Politik besteht bekanntlich auch aus Symbolik. Wurden Themen wie Klimapolitik oder Entwicklungszusammenarbeit bislang bestenfalls sporadisch öffentlich sichtbar, wenn die dafür zuständige Ressortleitung ein paar Mal im Jahr explizit als „Klimaministerin“ oder „Entwicklungsminister“ auftrat, ginge mit dem neu geschaffenen Ministerium auch eine symbolische Aufwertung des Politikfeldes einher. Ein Minister/eine Ministerin für globale nachhaltige Entwicklung hätte die Chance, das neue Politikfeld in der Öffentlichkeit gut sichtbar als „Ms./Mr. Global Sustainability“ zu vertreten

Realistische Budgets statt leerer Versprechen

Ein wichtiger Bestandteil der globalen nachhaltigen Entwicklungsziele, der sowohl in der Vergangenheit als auch bei der Diskussion um die Klimaerwärmung meist zu kurz kam, ist die internationale Dimension der einzelnen Zielsetzungen sowie die Umsetzungsmittel, die zur Erreichung der gemeinsamen globalen Ziele erforderlich sind. Diese Aktivitäten wurden im Ziel 17 der SDGs (Umsetzungsmittel stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen) zusammengefasst. Einen wichtigen Teil des Ziels 17 bilden Fragen der Finanzierung der nachhaltigen Entwicklung. Das Unterziel 17.2 fordert die Einhaltung der Zielvorgabe, 0,7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) für öffentliche Entwicklungshilfe auszugeben - die sogenannte ODA-Quote.

Diese Zielsetzung ist beileibe nicht neu, sondern geht auf einen UN-Beschluss aus dem Jahr 1970 zurück. Österreich hat in den vergangenen 50 Jahren weder die 0,7% ODA-Quote jemals erreicht noch ernsthaft versucht, die budgetären Grundlagen und Voraussetzungen zu schaffen, um dieses Ziel erreichen zu können. Im Jahr 2018 lag Österreich – als viertreichstes Land in der EU – nur bei einer ODA-Quote von 0,26% des BNE. Dennoch hält die Regierung etwa im Mission Statement des Dreijahresprogramms der Österreichischen Entwicklungspolitik 2019 - 2021 am 0,7% ODA Ziel fest. Mit dieser Praxis ständig wiederholter leerer Versprechungen macht sich Österreich in der internationalen Gebergemeinschaft nur mehr lächerlich.

Ein neuerliches Bekenntnis zum internationalen 0,7% ODA-Ziel bis zum Jahr 2030 im Regierungsprogramm 2020-2024 wird daher nur dann glaubwürdig sein, wenn es mit einer konkreten Budgetsteigerung für die kommende Legislaturperiode einhergeht. Eine verbindliche Erhöhung der ODA Quote bis 2024 auf 0,35% des BNE als erstes konkretes Zwischenziel wäre politisch realistisch und budgetär verkraftbar. Das entspräche einer Steigerung von rund 350 Mio. Euro. Die zusätzlichen Mittel sollten zur Erhöhung der Humanitären Hilfe auf 60 Mio. Euro pro Jahr, wie im Wahlkampf 2017 von der ÖVP bereits zugesagt, und angesichts der äußerst geringen gestaltbaren EZA-Mittel zur Verdoppelung des ADA-Budgets auf rund 180 Mio. Euro (Basis 2018) verwendet werden. Die restlichen 200 Mio. Euro müssten einerseits zum Stopfen von Löchern dienen, was die bestehenden Unterdotierungen österreichischer Mitgliedsbeiträge bei den UN-Organisationen und bei europäischen Programmen angeht, sowie zur Finanzierung neuer Initiativen der österreichischen Nachhaltigkeitspolitik.

Ähnliches gilt für die Klimafinanzierung. Auch hier braucht es eine verbindliche Planung der österreichischen Beiträge an die UN-Einrichtungen und an den Green Climate Fund. Der österreichische Klimafinanzierungsbericht 2016/2017 weist etwa für 2017 rund 186 Mio. Euro an Klimafinanzierung aus. Hierbei handelt es sich allerdings vorwiegend um eine „kreative Buchhaltung“, bei der andere bestehende Finanzmittel umfangreicher erfasst werden. Global 2000 und die Allianz für Klimagerechtigkeit fordern in diesem Zusammenhang öffentliche Zuschüsse von 150 Millionen Euro jährlich und einen Beitrag von zumindest 100 Millionen Euro bei der Wiederauffüllung des Green Climate Funds. Die Zusammenlegung der verschiedenen relevanten Budgets und eine gemeinsame verbindliche Planung globaler nachhaltiger Entwicklung in einem Ministerium hätten darüber hinaus auch Vorteile bei der Abwicklung der Maßnahmen und bei einer transparenten Darstellung der Leistungen.

Ambitionierte, aber realistische Politik für globale Nachhaltigkeit: wann, wenn nicht jetzt?

Die nächste Regierung hat die vielleicht letzte Chance, noch zeitgerecht einen sinnvollen und nachvollziehbaren Beitrag Österreichs zur Bekämpfung der Klimakrise und anderer drängender internationalen Probleme leisten zu können. Die Einrichtung eines Ministeriums für globale nachhaltige Entwicklung in Verbindung mit einer Erhöhung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe auf 0,35% des BNE sowie der internationalen Klimafinanzierung um rund 250 Mio. Euro wären dafür konkrete und budgetär machbare Schritte.

Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
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Dr. Werner Raza, Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Internationaler Handel, Entwicklungsökonomie und -politik
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