Aktueller Kommentar April 2024
Österreichs ODA 2023: Stabil unter dem Potenzial
Laut vorläufigen Daten gab Österreich letztes Jahr 0,38% seines Bruttonationaleinkommens (BNE) für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aus – mehr als prognostiziert, aber weniger als alle anderen westeuropäischen EU-Geberländer. Ein erster kritischer Blick auf die jüngsten Zahlen.
Von Lukas Schlögl (ÖFSE), April 2024
€ 1,807 Mrd. bzw. 0,38% des Bruttonationaleinkommens (BNE) gab Österreich 2023 für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) aus. Das geht aus vorläufigen Daten des Entwicklungsausschusses (DAC) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor. Kaufkraftbereinigt sank die ODA damit gegenüber 2022 geringfügig um 4%. Auf Basis der letzten ODA-Prognose des Finanzministeriums war noch mit einem deutlich stärkeren Rückgang (auf 0,33% ODA/BNE) zu rechnen; stattdessen blieb die Quote nahezu konstant.
Knapp die Hälfte der Ausgaben ging 2023 auf Beiträge an multilaterale Organisationen (wie EU, UN) zurück. Davon ging wiederum ein gutes Drittel zugunsten der Wiederbefüllung eines Finanztopfes der Weltbank. Etwa ein Siebentel der ODA ist 2023 auf anrechenbare Kosten für die Betreuung Geflüchteter aus Ländern des Globalen Südens in Österreich zurückzuführen. Auch Entwicklungen im ODA-Meldewesen machen sich bemerkbar.
Ukraine-Effekt bleibt
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hinterlässt weiterhin sichtbare Spuren in der ODA. Die humanitäre Hilfe blieb 2023 dank der Höherdotierung des Auslandskatastrophenfonds (AKF) mit laut vorläufigen Daten knapp € 126 Mio. auf historisch hohem Niveau. Der noch größere Kriseneffekt in der ODA ergibt sich jedoch durch Ausgaben des Asylwesens.
Gemäß DAC-Melderichtlinien dürfen Kosten der Grundversorgung für Geflüchtete aus Ländern des Globalen Südens, die im ersten Jahr nach der Ankunft in Österreich anfallen, als ODA verbucht werden. Diese Kosten fielen zwar von € 354 Mio. im Jahr 2022 auf € 266 Mio. im Jahr 2023. Bemerkenswert ist jedoch eher das hohe Niveau, auf dem sie – teils aufgrund von Familiennachzug – weiterhin verblieben.
Betreuungskosten für Geflüchtete treiben auch die ODA vieler anderer DAC-Geber. Nicht weniger als 34 Mal fällt der Begriff „in-donor refugee“ in einer kurzen Pressemitteilung der OECD anlässlich der jüngsten Zahlen. Die Einrechnung dieser Ausgaben führte in den letzten Jahren zu starken Schwankungen der ODA, besonders in Osteuropa: In Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik sank die ODA 2023 im Vergleich zum Vorjahr deshalb um etwa ein Drittel, im kleinen Estland halbierte sie sich gar. Die Verständlichkeit der ODA, aber auch ihr Wert als entwicklungspolitisches Planungsinstrument, wird durch das Hineinrechnen -- nicht nur -- dieser Komponente geschmälert.
Entwicklungsbank generiert immer mehr ODA
Aufgrund einer kontroversen Reform der Melderichtlinien sind sogenannte Privatsektorinstrumente (PSI) seit einigen Jahren als ODA anrechenbar. Im Fall Österreichs handelt es sich dabei um gewinnorientierte Investitions- und Beteiligungsgeschäfte zu marktnahen Konditionen, die von der 2008 gegründeten Österreichischen Entwicklungsbank (OeEB) im Auftrag des Bundes durchgeführt werden. 2023 verbuchte Österreich ein Volumen von € 108 Mio. an PSIs in seiner ODA. Seit 2018 hat sich dieses Volumen verzehnfacht. Im internationalen Vergleich verbuchte Österreich 2023 mit einem Anteil von fast 6% an der ODA ein höheres PSI-Volumen als jeder andere DAC-Geber.
Das hohe Gewicht der PSI in der ODA liegt auch daran, dass Österreich – als einer weniger DAC-Geber – einen Modus der Meldung praktiziert, der es erlaubt, von der OeEB abgehende Finanzströme (bzw. deren Zuschussäquivalent) sofort als ODA zu verbuchen anstatt nur die Rekapitalisierung der OeEB durch den Staat ( „Instrument approach“ versus „Institutional approach“). 2023 standen den genannten € 108 Mio. PSIs gerade einmal € 5 Mio. an öffentlichen Zuflüssen in die Bank gegenüber. Solange die OeEB übrigens in Summe Gewinne erwirtschaftet und auch reinvestiert, erlaubt diese Meldepraxis im Prinzip eine steigende ODA ohne finanzielle Anstrengung der Republik.
ODA-Quote hinter ökonomischem Potenzial
Wo stand Österreich 2023 mit einer ODA-Quote von 0,38% im internationalen Vergleich? Die meisten DAC-Geber – so auch Österreich – verfehlen weiterhin das erstmals 1970 in einer Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossene und seither vielfach bekräftigte Ziel, mindestens 0,7% des BNE für ODA auszugeben. Es gibt jedoch eine große Bandbreite im Ausmaß der Zielverfehlung.
Bei einem Ländervergleich sticht ins Auge, dass Österreich alle süd- und osteuropäischen EU-Länder bei der ODA-Quote übertrifft während es von allen west- und nordeuropäischen Ländern übertroffen wird. Generell ist ein Zusammenhang zwischen ODA-Quote und dem Wohlstandsniveau eines Geberlandes festzustellen: Je reicher ein Land, desto eher ist es bereit, überproportional mehr für öffentliche Entwicklungsleistungen aufzuwenden. Die orangefarbene Linie in Abbildung 1, in der jedes DAC-Geberland als Punkt dargestellt ist, zeigt diesen Zusammenhang.
Statistisch ist pro € 10,000 BNE pro Kopf eine um etwa 0,08 %-Punkte höhere ODA-Quote zu erwarten. Von diesem Muster weichen skandinavische Länder nach oben, angelsächsische Länder nach unten ab. Österreich liegt unterhalb einer angesichts seiner Wirtschaftsleistung zu erwartenden ODA-Quote von 0,45%. Der Vergleich mit der „ökonomischen Nachbarschaft“ (z.B. Deutschland, Schweden, Finnland) zeigt ferner, dass viele Länder mit vergleichbar hohem Pro-Kopf-Einkommen 2023 deutlich mehr ODA/BNE ausgeben und manche auch das 0,7%-Ziel erfüllen.
Fazit
Österreich verblieb 2023 mit seiner ODA-Quote konstant im internationalen Mittelfeld und damit unter seinem ökonomisch erwartbaren Potenzial. Die Humanitäre Hilfe blieb weiterhin auf historisch hohem Niveau. Dasselbe gilt aufgrund von Familiennachzug für anrechenbare Kosten der Betreuung Geflüchteter in Österreich. Wie bei vielen DAC-Gebern spielte auch bei Österreich das multilaterale Engagement 2023 eine gewichtige Rolle in der ODA. Bemerkenswert ist das im Ländervergleich überdurchschnittlich hohe Volumen an Privatsektorinstrumenten. Insgesamt spiegeln diese Entwicklungen einerseits das internationale Krisengeschehen und andererseits jüngere Entwicklungen des ODA-Meldewesens.
Dr. Lukas Schlögl ist Senior Researcher an der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE).
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