Aktueller Kommentar Dezember 2017
Entwicklungszusammenarbeit im Interesse Österreichs?
Das Regierungsprogramm der türkis-blauen Bundesregierung enthält ein Bekenntnis zur „effizienten“ Entwicklungszusammenarbeit im Sinne von Migrationsbekämpfung. Entwicklungspolitik im Sinne der Umsetzung der Sustainable Development Goals ist aber kein Thema. Eine Analyse des neuen Regierungsprogramms.
Von Michael Obrovsky und Werner Raza (ÖFSE), Dezember 2017
Das Regierungsprogramm 2017 – 2022 der Neuen Volkspartei und der Freiheitlichen Partei Österreichs trägt den Titel: „Zusammen. Für unser Österreich“. Ziel ist es, Veränderungen in vielen Politikbereichen voranzutreiben, um „Österreich in eine gute Zukunft zu führen.“ Im Vorwort des Regierungsprogramms werden als „solides Fundament“ dieser Veränderungen die österreichische Verfassung, die immerwährende Neutralität, die Grundprinzipien der Europäischen Union, aber auch die Grund- und Menschenrechte, die bürgerlichen Freiheiten sowie die Rechte von Minderheiten genannt. Das Regierungsprogramm ist in fünf Kapitel gegliedert, nämlich: i) Staat und Europa, ii) Ordnung und Sicherheit, iii) Zukunft und Gesellschaft, iv) Fairness und Gerechtigkeit v) Standort und Nachhaltigkeit. Das Kapitel Staat und Europa ist noch unterteilt in i) Verwaltungsreform und Verfassung, sowie ii) Europa und Außenpolitik. Die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) bildet den letzten Abschnitt im Unterkapitel zu Europa und Außenpolitik.
Auf der Suche nach den SDGs
Die UN Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung wird im Regierungsprogramm zweimal explizit genannt. Überraschenderweise aber nicht im Kontext der EZA, sondern neben dem Umweltkapitel im Abschnitt zum Thema Verwaltungsreform und Verfassung. „Das grundsätzliche Handeln der Bundesregierung in der kommenden Gesetzgebungsperiode wird getragen vom Prinzip der Nachhaltigkeit auf allen Gebietskörperschaftsebenen mit dem Ziel, dass Ökologie, Ökonomie und Soziales im Sinn der Agenda 2030 der Vereinten Nationen gesamthaft betrachtet und in einen finanzierbaren und somit nachhaltigen Rahmen gestellt werden.“ (S.13)
Nachhaltigkeit wird in diesem Zusammenhang primär finanzpolitisch verstanden im Sinne einer Budgetpolitik, welche zukünftigen Generation möglichst wenig Schuldenbelastung aufbürdet. Genauso werden die bestehenden Verwaltungsstrukturen als Last für eine nachhaltige Zukunft dargestellt, welche es im Sinne von Qualitätsverbesserungen, mehr BürgerInnennähe, Effizienzsteigerungen und den wirksameren Einsatz öffentlicher Mittel neu zu gestalten gilt. Der universelle Anspruch der nachhaltigen Entwicklungsziele der 2030-Agenda und der Beitrag zu einer globalen nachhaltigen Entwicklung kommt bei den hier gemachten Vorschlägen nicht vor. Ein zentraler Aspekt der 2030 Agenda, nämlich Politikkohärenz im Dienste einer nachhaltigen globalen Entwicklung zu ermöglichen und entsprechende politische Koordinierungsprozesse im Falle von Interessenskonflikten vorzusehen, wäre aber gerade im Kontext einer aufgabenorientierten Strukturreform eine Chance, Doppelgleisigkeiten, unklare Entscheidungsstrukturen und einander widersprechende Politiken abzustellen.
Das Bekenntnis im Kapitel Umwelt, die SDGs bzw. die Agenda 2030 „gesamtstaatlich zu berücksichtigen“ (S.169) bleibt demgegenüber zu allgemein, zumal wenn im Abschnitt Verfassungsstaat als explizites Vorhaben die „Einführung einer Staatszielbestimmung Wirtschaftsstandort: die Republik bekennt sich zu Wachstum, Beschäftigung und einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort“ (S.21) genannt wird und damit ein Normkonflikt mit der bestehenden Staatszielbestimmung zum umfassenden Umweltschutz aufgemacht wird.
Außenpolitik im Interesse Österreichs
Im Kapitel Europa und Außenpolitik wird klargestellt: „Maßstab unseres internationalen Handelns sind die Interessen Österreichs und seiner Bevölkerung.“ (S.22). Diesen nicht näher definierten Interessen werden die Maßnahmen untergeordnet. Neben der Schaffung von „Österreich-Häusern“ im Ausland, die zu „One-Stop-Shops“ für Visa, Wirtschaftsberatung und Kulturvermittlung ausgebaut werden sollen, findet sich im Regierungsprogramm auch die „Zusammenführung der Exportkontrollmechanismen für Militärgüter“. Damit sollen die derzeitigen Zuständigkeiten von BMI, BMWFW, BMLVS und BMEIA in einem Ministerium gebündelt werden. Aus einer entwicklungspolitischen Perspektive bleibt hier einerseits offen, ob die Koordinationsbüros der OeZA ebenfalls in die Österreich- Häuser integriert werden und wie auch zukünftig gewährleistet werden kann, dass in der neuen organisatorischen Struktur der Export von Militärgütern und Dual-Use Gütern in Krisengebiete und in fragile Staaten effektiv kontrolliert werden kann.
Das Kapitel enthält ebenso ein Bekenntnis zu Europa, wobei die EU nach dem Grundsatz der Subsidiarität mitgestaltet werden soll. Die Bundesregierung spricht sich im Regierungsprogramm für die Option 4 des Weißbuches zur Zukunft Europas aus („Weniger, aber effizienter“). Einer Vertiefung der Europäischen Integration wird damit eine Absage erteilt. Problematisch ist zudem das Eintreten für einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, während eine EU Erweiterung für die Länder des Westbalkans befürwortet wird. Grundsätzlich positiv ist das Bekenntnis einen Beitrag zur Entschärfung des Ukraine Konflikts im Einklang mit den EU Partnern leisten zu wollen. Negativ fällt das völlige Fehlen von Ausführungen zu den Beziehungen der EU zu Afrika, Asien und Lateinamerika sowie zum österreichischen Beitrag zur Gestaltung der Entwicklungskooperation der EU auf.
Im Abschnitt zum internationalen Engagement Österreichs wird die „Stärkung des effektiven Multilateralismus im Rahmen internationaler Organisationen wie UNO oder OSZE“ als österreichisches Interesse definiert. Mit Verweis auf die Exportorientierung Österreichs wird das multilaterale Engagement - vor dem Hintergrund der immerwährenden Neutralität - bekräftigt. Das umfasst einerseits die Fortsetzung bestehender österreichischer Initiativen und außenpolitischer Positionen (Abrüstung, Rüstungskontrolle, Nicht-Weiterverbreitung von Nuklearwaffen, Eintreten für eine nuklearwaffenfreie Welt, gegen Todesstrafe, gegen Folter, Verfolgung religiöser Minderheiten Bekenntnis zu einer Friedenslösung im Nahen Osten mit besonderer Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen Israels sowie der Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staats). Andererseits werden als neue Initiativen der Ausbau des internationalen Amtssitzes Wien, die Bewerbung für die Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat für die Jahre 2019 – 2021 sowie die Bewerbung für den UN-Sicherheitsrat für die Jahre 2017-2018 genannt. Auffällig ist zudem, dass internationale Auslandseinsätze in Zukunft vor allem zum Zwecke des EU-Außengrenzschutzes und von Migrationsrouten gestärkt werden sollen. Neu ist auch das „Bekenntnis zu einer aktiven Handelspolitik als wesentliche Unterstützung der österreichischen Exportwirtschaft durch faire transparent verhandelte und qualitativ gut gemachte Handelsabkommen, unter Wahrung österreichischer Regeln und Standards insbesondere zum Schutz unserer Konsumenten“ (S.24). Der Fokus auf österreichische Interessenspolitik ist hier unverkennbar. Die Ausführungen fallen sogar hinter den programmatischen Rahmen der EU Handelspolitik, der OECD und den Leitlinien der UN Agenda 2030 zurück, zum Beispiel im Hinblick auf die fehlende Berücksichtigung von Mindeststandards im Bereich der Menschenrechte, dem Arbeitnehmerschutz (ILO Kernarbeitsnormen), der Umsetzung von internationalen Umweltabkommen oder der verstärkten Zusammenarbeit im Steuerwesen.
EZA als Appendix
Das Kapitel Europa und Außenpolitik schließt mit einem „Bekenntnis zu einer effizienten Entwicklungszusammenarbeit“ (S.25). In diesem Abschnitt wird die EZA in den Kontext von Migrationsdruck, Krieg, Hunger oder Naturkatastrophen gerückt und als Instrument definiert, das einerseits Lebensperspektiven im Entwicklungsland schafft und andererseits dem „wohlverstandenen“ Eigeninteresse Österreichs dient, Migrationsströme zu verhindern. Als „Generalthema“ aller EZA wird jedoch die Bekämpfung extremer Armut “im Sinne der UNO-Vorgaben“ genannt. Eine Konkretisierung der UNO-Vorgaben, etwa mit einem Verweis auf die SDGs, die EZA nur als ein Instrument der globalen Entwicklung verstehen, oder ein Hinweis auf das gültige österreichische EZA Gesetz (2003) fehlen. Die einzelnen im Abschnitt aufgezählten Maßnahmen, auf die wir im Folgenden kurz eingehen, sind allerdings nicht selbsterklärend, sondern werfen viele Fragen auf, deren Beantwortung durch die politische Praxis abzuwarten bleibt:
„Überprüfung der strategischen Ausrichtung und der Hebung von Effizienzpotenzialen zwischen der ADA und dem BMEIA“
Das grundsätzliche Problem von ADA und BMEIA hat weniger mit mangelnder Effizienz, sondern primär mit fehlenden Kapazitäten zu tun. Nach der durch Versetzung, Pensionierung und zuletzt durch den Wechsel von Sektionsleiter Peter Launsky-Tieffenthal in die Funktion des Regierungssprechers stark reduzierten Sektion VII im BMEIA muss es zunächst um die Besetzung der Sektion VII mit qualifizierten ExpertInnen und dann um die Formulierung von konkreten politischen Strategien auf Grundlage des Entwicklungszusammenarbeitsgesetzes gehen. Erst auf dieser Basis kann im Anschluss über die möglichst effiziente Umsetzung und die strategische Rolle von BMEIA und ADA sinnvoll gesprochen werden kann.
„Bündelung der bilateralen und multilateralen EZA-Mittel und Aufbau einer gesamthaften Steuerung“
Eine signifikante Bündelung der bilateralen und multilateralen EZA-Mittel würde bedeuten, dass Kompetenzen und Budgets aus verschiedenen Bundesministerien im BMEIA oder bei der ADA zusammengeführt werden. Wenn der Begriff „gesamthafte Steuerung“ das Konzept eines gesamtstaatlichen Ansatzes bedeutet, dann wird dies nur dann möglich sein, wenn die Fragmentierung der ODA aufgehoben werden kann oder wenn diese gesamtstaatliche Steuerung mit Hilfe einer Richtlinienkompetenz des BKA festgelegt wird. Für beide Varianten braucht es verwaltungs- bzw. verfassungsrechtliche Veränderungen, die derzeit nicht absehbar sind.
„Prüfung der Abwicklung der Zahlungen an internationale Finanzinstitutionen“
Hier ist nicht klar, was mit Abwicklung gemeint ist. Zahlungen an internationale Finanzorganisationen sind meist gesetzlich geregelt und werden vom österreichischen Parlament beschlossen. Es handelt sich um internationale Verpflichtungen und Beiträge, die mit einem Engagement Österreichs in internationalen Finanzorganisationen und mit dem Nutzen für die österreichische Wirtschaft argumentiert wurden.
„Das neue 3-Jahresprogramm wird die Schwerpunktsetzung (thematisch, regional) mit dem Ziel verfolgen, in einer reduzierten Zahl an Schwerpunktländern bzw. -regionen einen verstärkten Fokus auf das Thema Migration zu legen.“
Eine verstärkte Fokussierung der OEZA auf Herkunftsländer von MigrantInnen ist nur dann möglich, wenn es zu einer signifikanten Erhöhung der EZA Mittel kommt, denn es kann nicht Ziel einer Neuausrichtung der Schwerpunktländer sein, ohne Exitstrategien langjährige Kooperationen zu beenden und das positive Image Österreichs in diesen Ländern zu beschädigen. Auch im Sinne einer gesamtstaatlichen Gestaltung des 3-Jahresprogramms sollte eine neue Schwerpunksetzung im Dialog mit allen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen AkteurInnen – vor dem Hintergrund des realen Budgets für die OEZA – getroffen werden.
„Bekenntnis zu einer stärkeren Hilfe vor Ort sowie zum langfristigen Ziel, die EZA auf 0,7% des BIP (sic!) zu erhöhen, verstärkte Koppelung an die Bereitschaft von Drittstaaten zur Kooperation bei der Rücknahme abgelehnter Asylwerber“
Ein Bekenntnis zu einer stärkeren Hilfe vor Ort sollte nicht außer Acht lassen, dass Maßnahmen für entwicklungspolitische Kommunikation und Bildung in Österreich, sowie für Forschung, Evaluierung und Kontrolle erforderlich sind. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass die Bundesregierung am Ziel 0,7% des BNE als öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) bereitzustellen, festhält. Allerdings war bereits im letzten Regierungsprogramm ein verbindlicher Stufenplan zur Erreichung dieses Ziels enthalten, der diesmal fehlt. Ohne verbindliche Budgetplanung des 0,7% Zieles ist dieses Bekenntnis unglaubwürdig, da es seit 1970 nicht ernsthaft verfolgt wurde. Es ist nicht ersichtlich, warum die „Koppelung an die Bereitschaft von Drittstaaten zur Rücknahme von abgelehnten Asylwerbern“ hier ergänzt wurde, da sie in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Erhöhung der österreichischen ODA Quote steht. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Schwerpunktländer der österreichischen OEZA nicht mit den Herkunftsländern der MigrantInnen übereinstimmen.
„Erhöhung des Auslandskatastrophenfonds“
Eine Erhöhung der Mittel des AKF ist zu begrüßen, da trotz Steigerung auf €20 Mio. im Jahr 2016 die Mittel für die Humanitäre Hilfe im internationalen Vergleich sehr gering sind. Es fehlt allerdings eine konkrete Angabe, um wieviel der AKF bis zum Ende der Legislaturperiode erhöht werden soll. Der Lackmustest hierfür wird das Budget 2018 sein.
Last, but not least: Was will die neue Außenministerin?
Regierungsprogramme dienen primär innenpolitischen Zwecken und sind nicht mehr als politische Absichtserklärungen. Die tatsächliche Arbeit wird oft von kurzfristigen Konjunkturen und den persönlichen Schwerpunktsetzungen der verantwortlichen PolitikerInnen geprägt. Die neue Außenministerin Dr. Karin Kneissl ist seit Ursula Plassnik die erste Außerministerin mit internationaler Erfahrung. Es ist daher zu hoffen, dass sie sich der internationalen politischen Dimension der EZA bewusst ist, die Österreich vor allem auch nach der Unterzeichnung der UN Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens nicht negieren wird können. Mit einer Engführung von EZA auf Migrationsverhinderung wird es zudem schwerfallen, die internationale Positionierung Österreichs auf EU- und UNO-Ebene zu festigen. Aus einer entwicklungspolitischen Perspektive besteht die besondere Herausforderung der neuen Bundesministerin darin, die Budgetmittel für die OEZA signifikant anzuheben, damit einerseits die internationalen Verpflichtungen und Herausforderungen der 2030 Agenda besser erfüllt, und andererseits auch Mittel für die Bewältigung von humanitären Katastrophen und die Beseitigung der Fluchtursachen in den Herkunftsländern bereitgestellt werden können. Wenn schon nicht auf dem Papier, so ist ein praktisches Commitment zur Umsetzung der Sustainable Development Goals jedenfalls im Interesse Österreichs.
Dr. Michael Obrovsky ist stellvertretender Leiter, Dr. Werner Raza ist Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE).