Aktueller Kommentar Dezember 2018
Digitalisierung: die neue Wunderwaffe der EZA?
Am 18.12.2018 findet das von der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft ausgetragene High Level Forum Africa – EU “Taking cooperation to the digital age“ in Wien statt. Von der Digitalisierung erwartet sich die europäische Politik neue Wachstums- und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Entwicklungsländer. Aber was sind die eigentlichen Herausforderungen der Digitalisierung für die Entwicklungszusammenarbeit (EZA)?1
Werner Raza (ÖFSE), Dezember 2018
Die Diskussion zur sogenannten digitalen Revolution hat in den letzten Jahren deutlich an Schwung gewonnen. Neue Technologien wie Roboterisierung, Industrie 4.0, Internet der Dinge, künstliche Intelligenz und Big Data sorgen für Schlagzeilen. Die Diskussion dazu ist allerdings von Extremen geprägt. Während viele die Digitalisierung als neue Wunderwaffe zur Lösung einer Vielzahl aktueller Probleme preisen, zeichnen andere dystopische Szenarien, in der digitale Technologien menschliche Arbeitskraft weitgehend ersetzen, mit der Folge von Massenarbeitslosigkeit und Verelendung.
Tatsächlich ist die Verwendung digitaler Technologien von einer digitalen Kluft (digital divide) gekennzeichnet. Durchschnittlich liegen die Nutzungsraten von Entwicklungsländern für Internet, Computer und mobiles Breitband bei weniger als 50% der Nutzung in Industrieländern. Die einzige Ausnahme bildet die mobile Telefonie, die auch im globalen Süden schon relativ weit verbreitet ist. Noch ausgeprägter sind die Unterschiede bei den Unternehmen. Die Marktkapitalisierung von in Nordamerika und Europa beheimateten digitalen Multis ist um einen Faktor 50 höher als jene in Afrika und Lateinamerika zusammen. Damit einher gehen starke Unterschiede im Hinblick auf den Zugang zu digitalem Wissen, und damit auf Innovations- und Produktionskapazitäten.
Ein zentraler Dreh- und Angelpunkt der Diskussion um die digitale Ökonomie betrifft ihre Beschäftigungseffekte. Wie viele Arbeitsplätze durch die Digitalisierung langfristig tatsächlich verloren gehen, lässt sich heute nicht seriös beantworten. Die Spannbreite der von Studien prognostizierten Jobverluste reicht von rund 10% bis 50% (siehe hier für einen Überblick). Die Schätzungen basieren vor allem auf ExpertInnenmeinungen zur Frage, welche Tätigkeiten leicht automatisierbar sind. Ob technische Automatisierbarkeit aber auch gleich zum Verschwinden der damit verbundenen Berufe und damit zum Jobabbau führt, ist umstritten. Zudem lassen solche Schätzungen außer Acht, dass durch Digitalisierungsprozesse neue Geschäftsfelder entstehen, die wiederum neue Jobs schaffen. Glaubt man der Wirtschaftsgeschichte, ist der langfristige Nettobeschäftigungseffekt technologischer Revolutionen positiv. Das heißt jedoch nicht, dass es auch diesmal so kommen muss. Aber es zeigt, dass die Herausforderung der Digitalisierung wahrscheinlich nicht darin bestehen wird, dass uns auf Dauer die Jobs ausgehen. Problematisch ist der Umstand, dass die flächendeckende Einführung digitaler Technologien räumlich und zeitlich ungleichmäßig erfolgen wird, und neue Kompetenzen und Fertigkeiten verlangt. Jobs in bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten werden verloren gehen, neue Jobs mit neuartigen Kompetenzprofilen anderswo und womöglich erst zu einem späteren Zeitpunkt entstehen.
Das bedeutet sozialen Stress und hohe Anforderungen an die Flexibilität der arbeitenden Menschen, im Globalen Norden wie im Süden. Entscheidend für den Übergang ins digitale Zeitalter ist also, ob die Instrumente der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik eingesetzt werden, um soziale Risiken abzufedern und vor allem jüngere Menschen durch entsprechende Aus- und Weiterbildung für die neue Ökonomie zu qualifizieren. Ebenso braucht es wirtschaftspolitische Kapazitäten, um über Investitionen in Forschung und Entwicklung die Richtung und Geschwindigkeit der Veränderungen beeinflussen zu können. Die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der digitalen Revolution, etwa auf Bürgerrechte und den Schutz der Privatsphäre, bedürfen zudem der politischen Debatte und rechtlichen Regulierung.
Einiges spricht dafür, dass die Industrieländer mit diesen Herausforderungen besser fertig werden dürften als die afrikanischen Länder. In diesen fehlen oft die staatlichen Steuerungskapazitäten und wohlfahrtsstaatlichen Instrumente. Die sozialen Verwerfungen großer wirtschaftlicher Umbrüche treffen die Menschen unvermittelt, sie müssen selbst sehen, wie sie damit zurechtkommen. Vieles spricht aber auch dafür, dass die Diffusion digitaler Technologien im Globalen Süden langsamer erfolgen wird als in den Industrieländern. Ausschlaggebend dafür ist nämlich das ökonomische Kosten-/Nutzenverhältnis. Bei weiterhin sehr niedrigen Arbeitskosten bzw. fehlender Infrastruktur ist nicht alles was technisch machbar ist auch ökonomisch vernünftig. Für die digitale Ökonomie braucht es nämlich infrastrukturelle Voraussetzungen, vor allem eine stabile Versorgung mit elektrischer Energie und Telekommunikationsinfrastruktur. Diese ist in weiten Teilen Afrikas mangelhaft, zumal in den ländlichen Regionen. Die Schaffung der nötigen Infrastruktur in Entwicklungsländern braucht Zeit und birgt zudem beträchtliche Risiken. Ökonomisch vor allem hinsichtlich der damit verbundenen Auslandsverschuldung. Sozial und ökologisch vor allem für die betroffene lokale Bevölkerung und die mit Großprojekten verbundenen Eingriffe in natürliche Ökosysteme.
Die digitale Ökonomie im globalen Süden ist daher bislang ein begrenztes und primär städtisches Phänomen, in dem Start-Ups mit jungen, gut ausgebildeten Menschen Apps entwickeln und digitale Dienstleistungen anbieten. Das ist grundsätzlich eine erfreuliche Entwicklung, und liefert nebenbei schöne Bilder von einem modernen und in die Zukunft blickenden Afrika. Zu glauben, dass die Digitalisierung die neue Wunderwaffe der Entwicklungspolitik darstellt, wäre aber verfehlt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die digitale Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern auf absehbare Zeit bestehen bleiben wird.
Die europäische und österreichische Entwicklungszusammenarbeit sollte daher einen differenzierten Ansatz verfolgen. Wo digitale Technologien einen belegbaren Mehrwert für Armutsbekämpfung, politische Teilhabe und wirtschaftliche Entwicklung haben, sollten sie eingesetzt werden. Für einen überlegten Einsatz braucht es daher vor allem gut ausgearbeitete Richtlinien und Instrumente (siehe z.B. hier). Im Hinblick auf die sich abzeichnenden Anpassungsprozesse sollten aber vor allem die politischen Steuerungskapazitäten von Entwicklungsländern gestärkt werden. Last but not least, kann die Entwicklungspolitik einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass der notwendige Infrastrukturausbau für die digitale Ökonomie in Afrika nicht zulasten der Rechte von Menschen und Natur geht.
1 Der Kommentar beruht auf dem jüngst erschienenen ÖFSE Briefing Paper „Digitalization and Development Cooperation: an assessment of the debate and its implications for policy”, (Verfasser: V. Heimerl/W.Raza), siehe https://www.oefse.at/fileadmin/content/Downloads/Publikationen/Briefingpaper/BP19-Digitalization-and-Development.pdf
Dr. Werner Raza ist Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE)
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