Aktueller Kommentar Februar 2019
Neues Bekenntnis der EU-Kommission zu den SDGs, aber Umsetzung bleibt ungewiss.
Die Europäische Kommission hat mit dem Reflexionspapier Auf dem Weg zu einem Nachhaltigen EUROPA bis 2030 eine brauchbare Diskussionsgrundlage mit drei Szenarien zur Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDGs) in Europa vorgelegt. Jetzt liegt es an den WählerInnen des EU-Parlaments und an den Mitgliedsländern zu entscheiden, wie ein nachhaltiges Europa bis 2030 gestaltet werden kann.
Von Michael Obrovsky und Werner Raza (ÖFSE), Februar 2019
EU Reformdiskussion auf Zeit nach EP Wahlen verschoben
Mit beträchtlicher Verspätung hat die Europäische Kommission nun ein Reflexionspapier zur Umsetzung der SDG-Agenda vorgelegt. Dieses ist eines von sechs von der EU-Kommission vorgelegten Reflexionspapieren als Grundlage für die Diskussion zur Zukunft Europas. Die Reformbestrebungen gehen auf das von Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker im März 2017 vorgelegte Weißbuch über die Zukunft Europas zurück.
Eine Richtungsentscheidung soll bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai 2019 von den Regierungschefs verabschiedet werden. Die nächste EU-Kommission, die im Sommer 2019 ihre Prioritäten festlegen wird, wird die EU-Reform insgesamt und die Umsetzung der Nachhaltigkeitswende im Besonderen implementieren müssen.
Bekenntnis der EU Kommission zu den SDGs
Das nun veröffentlichte Reflexionspapier „Auf dem Weg zu einem Nachhaltigen EUROPA bis 2030“ enthält ein klares Bekenntnis zu den Sustainable Development Goals. Die großen Herausforderungen für Europa bei der „Nachhaltigkeitswende“ werden deutlich angesprochen. Die Vorreiterrolle der EU bei der Mitgestaltung globaler Standards wird betont, wie auch die Möglichkeiten, aus dieser Rolle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen für die EU und ihre Mitgliedsländer zu ziehen. Die SDG-Agenda wird damit bekräftigt und als wichtige Chance für die Zukunft Europas begriffen. Vor allem weil die großen Herausforderungen des Klimawandels, der Migration, der wirtschaftlichen und sozialen Konvergenz und der abnehmenden öffentlichen Finanzmittel zu vermehrten Forderungen nach Stärkung der Nationalstaaten und somit zu weniger Integration innerhalb der EU geführt haben, plädiert die Kommission für eine aktive, gestaltende und gemeinsame europäische Herangehensweise an die Nachhaltigkeitswende, um eine bessere Zukunft für alle gewährleisten zu können und die damit verbundenen Wettbewerbsvorteile für Europa nützen zu können.
Nachhaltiges und sozial inklusives Wachstum und Betonung der globalen Dimension
Das Reflexionspapier schlägt ein neues Modell des nachhaltigen Wirtschaftswachstums vor. Dazu zählen unter anderem der Übergang von einer linearen zur Kreislaufwirtschaft, eine Reform des globalen Nahrungsmittel- und Agrarsystems sowie eine zukunftssichere Gestaltung unserer Energieversorgung, der Gebäude und der Mobilität und nicht zuletzt die Sicherstellung einer sozialverträglichen Wende, bei der das Prinzip „leave no one behind“ zum Tragen kommt. Als wichtige horizontale Faktoren für den Übergang zu einem nachhaltigen Europa werden (i) allgemeine und berufliche Bildung, Wissenschaft, Technologie, Forschung und Innovation sowie die Digitalisierung, (ii) eine Investitionsinitiative, nachhaltige Finanzen sowie Steuersysteme und Preisgestaltungsmechanismen, die ökologische Produkte und Dienstleistungen fördern, (iii) sozial und ökologisch verantwortliche Unternehmen, (iv) offener und auf Regeln basierter Handel und (v) gute Regierungsführung sowie kohärentes politisches Handeln aller Akteure angesehen.
Das europäische Modell für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum des Reflexionspapiers beruht auf der uneingeschränkten Verpflichtung der EU zur Umsetzung der SDGs und auf der Verpflichtung zu einem starken Multilateralismus, der globale Regeln vorgibt, die von allen eingehalten werden. Das Reflexionspapier betont darüber hinaus, dass die Umsetzung der Nachhaltigkeitswende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt und neben der protagonistischen Rolle der Regierungen auch auf die aktive Beteiligung von Unternehmen und Zivilgesellschaft angewiesen ist. Gemeinsam mit der europäischen Dimension muss allerdings auch ein globaler Ansatz verfolgt werden: „In diesem Sinn entspricht die Unterstützung des wirtschaftlichen Fortschritts der Entwicklungsländer im Hinblick auf die SDGs auch einem breiten Spektrum an strategischen Interessen der EU …“ (S. 37). Insgesamt stellt das Reflexionspapier eine brauchbare Diskussionsgrundlage dar. Es spricht die verschiedenen Problemlagen deutlich an und macht eine Reihe von konkreten und sinnvollen Politikvorschlägen. Stark übertrieben scheinen hingegen die Erwartungen in den internationalen Finanzsektor zur Finanzierung der mit der sozial-ökologischen Transformation verbundenen Investitionen. Das Festhalten an fiskalischer Austerität und geldpolitischer Orthodoxie verhindert hier die notwendige Einsicht, dass es ohne umfassende öffentliche Investitionsprogramme nicht gehen wird.
Szenarien für die Umsetzung
Die Kommission legt mit dem Reflexionspapier drei Szenarien vor, die unterschiedliche Antworten darauf geben, mit welcher Rollenverteilung zwischen EU-Institutionen und Mitgliedsstaaten die SDGs am effektivsten umgesetzt werden können.
Szenario 1 | Szenario 2 | Szenario 3 |
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Eine übergreifende EU-Strategie für die SDGs, die als Richtschnur für die EU und ihre Mitgliedsstaaten dienen soll. | Kontinuierliche Einbeziehung der Ziele für nachhaltige Entwicklung in alle relevanten Politikbereiche der EU durch die Kommission, aber ohne Durchsetzung von Maßnahmen der Mitgliedsstaaten. | Stärkere Fokussierung auf das auswärtige Handeln bei gleichzeitiger Konsolidierung der derzeitigen Nachhaltigkeits-bestrebungen auf EU-Ebene. |
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten koordinieren ihre Maßnahmen und überwachen deren Durchführung anhand konkreter und zeitgebundener Ziele für das Jahr 2030 | Die SDGs prägen auch weiterhin die politische Entscheidungs- findung der Kommission, die EU-Mitgliedsstaaten werden jedoch nicht gezwungen, die kollektiven SDG-Verpflichtungen der EU zu erfüllen. | Da die EU bereits eine Vorreiterrolle einnimmt, könnte der Fokus verstärkt darauf gerichtet werden, anderen Ländern der Welt beim Aufholen zu helfen und gleichzeitig weitere Verbesserungen auf EU-Ebene anzustreben. |
Aufgrund der derzeitigen realpolitischen Bedingungen scheint Szenario 1 mit einer gemeinsamen Strategie sowohl für die Kommission als auch für alle Mitgliedsstaaten unrealistisch, da in vielen Politikbereichen eine gemeinsame Position aller Mitgliedsstaaten nicht erreichbar ist. So kann zum Beispiel derzeit weder in der Migrationspolitik noch in der Außenpolitik von einer gemeinsamen EU-Politik gesprochen werden.
Szenario 2 wird mehr Zustimmung der Mitgliedsstaaten bekommen, wobei sowohl die Dringlichkeit der Umsetzung als auch die Glaubwürdigkeit der EU als Vorreiter stark darunter leiden werden, sollten die Mitgliedsstaaten selbst nicht bereit sein, bei der Umsetzung der SDGs mit der Kommission im Gleichklang vorzugehen.
Das Szenario 3 ist eine Minimalvariante, die weder der Dringlichkeit des Problemhorizonts noch dem universellen Anspruch der SDGs entspricht, die Nachhaltigkeitswende bis 2030 und – sowohl im eigenen Wirkungsbereich als auch auf globaler Ebene – umzusetzen. Sie scheint aber dem Verständnis der SDGs vieler Mitgliedsstaaten der EU entgegen zu kommen, die SDGs immer noch primär als Agenda der Außenpolitik bzw. Entwicklungszusammenarbeit zu sehen.
Umsetzung hängt vom Ausgang der Wahlen zum Europäischen Parlament ab
Die Entscheidung über die Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda wird damit auf die Zeit nach den Wahlen zum Europäischen Parlament verschoben. Davon hängt letzten Endes ab, ob es überhaupt eine nennenswerte Umsetzung geben wird. Die Nachhaltigkeitswende sollte daher zu einem wichtigen Thema im anstehenden EU-Wahlkampf gemacht werden. Dabei muss es zentral darum gehen, den Universalitätsanspruch der Nachhaltigkeitsagenda in den Vordergrund zu stellen und deutlich zu machen, dass die Dringlichkeit der großen globalen Herausforderungen einen umfassenden und mutigen SDG-Umsetzungsprozess verlangt, der die globale Verantwortung der Europäischen Union ernst nimmt, und gleichzeitig den sozial-ökologischen Umbau unseres eigenen Wirtschaftsmodells entschlossen vorantreibt.
Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
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Dr. Werner Raza, Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Internationaler Handel, Entwicklungsökonomie und -politik
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