Aktueller Kommentar Februar 2024

Quo vadis, Entwicklungspolitik? An der Wegscheide zwischen Werten und Interessen

Foto (c) Philine Zech Photography

Bei der Präsentationsveranstaltung der ÖFSE Flagship-Publikation „Österreichische Entwicklungspolitik 2023“ diskutierte ein hochkarätig besetztes Podium Spannungsfelder der gegenwärtigen Entwicklungspolitik. Ein Überblick.

Von Lukas Schlögl (ÖFSE), Februar 2024

Seit ihrem Anbeginn steht die Entwicklungspolitik vor der Herausforderung, divergierende Ansprüche in sich zu vereinen: einerseits soll sie als globale Problemlösungsinstanz ökonomische Ungleichheiten, soziale Konflikte und die Überausbeutung natürlicher Ressourcen überwinden helfen. Andererseits dient sie als machtpolitisches Instrument, mit dem politische Vorteile erkauft und Zugang für Produkte, Projekte und Ideen der industrialisierten Welt geschaffen werden.

Um diese Dilemmata und „Dauerbrenner“ der Entwicklungspolitik mit Blick auf jüngste politische Entwicklungen neu auszuloten, diskutierte ein Expert*innen-Panel auf Einladung der ÖFSE im C3 – Centrum für Internationale Entwicklung am 20.2.2024 in Wien. Am Podium: Sebastian Haug (IDOS), Raimund Magis (BMEIA), Sybille Straubinger (VIDC) und Shoura Zehetner-Hashemi (Amnesty International Österreich). Es moderierte Werner Raza (ÖFSE).

Podium der Präsentation
Sebastian Haug, Sybille Straubinger, Raimund Magis, Shoura Zehetner-Hesahemi, Werner Raza (v.l.n.r.)

Entwicklungspolitik in der neuen Welt-Unordnung

Wie positioniert sich die Entwicklungspolitik im Spannungsfeld zwischen prinzipientreuer Werte-Orientierung und dem pragmatischen Verfolg von Interessen? Und wie navigiert sie eine instabilere, sich neu konfigurierende multipolare Ordnung? Diese Fragen standen im Zentrum der Debatte.

China, so leitete Sebastian Haug seine Ausführungen ein, sei wie auch andere regionale Größen auf weltpolitischer Bühne sehr viel aktiver geworden. Global gesehen hätte eine wachsende Zahl von Akteuren und neuen Gebern jedoch wenig Interesse an den westlichen Entwicklungsnarrativen: von Official Development Assistance bis Good Governance. Vielmehr brächten diese ihre eigenen Konzepte ein, wobei der Fokus auf (entwicklungs-)politischer Autonomie, Infrastrukturentwicklung und Ressourcenausbeutung liege. Dies geschehe vor dem Hintergrund einer aufstrebenden postkolonialen Welt, die den Westen zu oft als Vertreter einer Doppelmoral erlebt.

Angesichts zunehmender weltweiter Autokratisierung brach Shoura Zehetner-Hashemi eine Lanze für einen kompromisslosen menschenrechtsbasierten Ansatz. Diplomatische Gesprächskanäle mit autoritären Regimes sollten aufrechterhalten bleiben, aber Sanktionen und Konditionalitäten kämen als Instrumente in Frage, um Druck aufzubauen. Eine rein appellative Außenpolitik habe sich – Stichwort Iran – als nicht immer schlagkräftig genug erwiesen, um Menschenrechte effektiv zu schützen. Die Zahl der freien Demokratien gehe zurück – dem entgegenzuwirken sei auch gemeinsames Interesse der Außen- und Entwicklungspolitik.

Entwicklungspolitik als Teil der Außenpolitik?

Angesprochen auf die Lehren aus der Außenpolitik Bruno Kreiskys für die aktuelle Situation verwies Sybille Straubinger auf die aus ihrer Sicht weiterhin relevante Rolle der Neutralität, die eine Basis für gute Beziehungen zu allen sein könne und Vertrauen in Österreich als Partner stifte. Aus den Initiativen der 1970er könne man eine Politik, die auf Augenhöhe geführt und von Wertschätzung getragen wird, mitnehmen. Entwicklungspolitik sei dabei als wesentlicher Teil der Außenpolitik zu begreifen. Stabilität in einer volatilen Welt erfordere aktive internationale Beziehungen gerade aus Sicht eines kleineren Landes wie Österreich.

Das Feld der auswärtigen Politik habe sich verbreitert und sei komplexer geworden, betonte Raimund Magis. Gespräche mit Vertreter*innen aus Partnerländern hätten ihm gezeigt, dass diese sich als gleichberechtigte Partner der Industrieländer beim Schutz globaler Güter sehen. Der erhobene Zeigefinger der in letzter Zeit in der EU wieder prominenter vertretenen Werte-Orientierung verkürze die Debatte unzulässig. Es dürfe nicht ignoriert werden, dass „der Westen“ – so wie auch China - handfeste Interessen verfolge und, dass es zwischen den beiden Ansätzen auch logische Verknüpfungen gebe: eine regelbasierte Weltordnung mit klaren Normen sei in unserem Interesse. Entwicklungspolitik könne daher nicht mehr insular gedacht werden. Das in Ausarbeitung befindliche gesamtstaatlich orientierte Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik 2025–2027 versuche dementsprechend Synergien aus den verschiedenen Politiksträngen zu nutzen und auf langfristige, systemverändernde Megatrends einzugehen --  Klimawandel, Demographie, die neue Weltordnung, technologischer Wandel – um die österreichische Entwicklungspolitik effektiver zu gestalten.

Ohne Entwicklung keine Sicherheit

Einig waren sich die Podiumsdiskutant*innen in der Einschätzung, dass die neuen globalen Herausforderungen insgesamt ein Mehr an Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit sowie Humanitäre Hilfe benötigen. Über die spezifischen Schwerpunkte und Prioritäten könne man durchaus diskutieren. Die Verengung des derzeit dominanten Sicherheitsdiskurses auf militärische Sicherheit berge aber beträchtliche Gefahren. Diskussionsleiter Werner Raza verwies in diesem Zusammenhang auf den Aufruf von führenden deutschen Persönlichkeiten wie Horst Köhler, Norbert Lammert, Sigmar Gabriel oder Heidemarie Wieczorek-Zeul anlässlich der jüngst abgehaltenen Münchener Sicherheitskonferenz. Unter dem Titel „Ohne Entwicklung keine Sicherheit“ wird davor gewarnt, dass ein verengter Begriff von Sicherheit den heutigen Anforderungen nicht gerecht wird. Wenn also derzeit vielerorts – und nicht zuletzt in Österreich - von der dringenden Notwendigkeit einer Aufstockung der Verteidigungsbudgets die Rede ist, dann müsse das in gleichem Maße auch für die Entwicklungsbudgets der Industrieländer gelten.

Neue ÖFSE Publikation nun digital und in Print verfügbar

Anlass für die spannende Podiumsdiskussion war die Präsentation des ÖFSE Flagship-Berichts „Österreichische Entwicklungspolitik 2023“, der nun auch kostenfrei online zur Verfügung steht. Im Finanzteil analysiert diese Publikation Österreichs Finanzflüsse in den Globalen Süden – von Entwicklungszusammenarbeit über private Zuschüsse bis zu Rücküberweisungen von Gastarbeiter*innen. Der inhaltliche Teil hat diesmal „Green Development Finance“ zum Schwerpunkt -- eine gesonderte Veranstaltung im Lauf des Jahres wird sich letzterem Thema ausführlich widmen. Um darüber auf dem Laufenden zu bleiben, abonnieren Sie unseren Newsletter oder folgen unseren Aktivitäten in Social Media.

Dr. Lukas Schlögl ist Senior Researcher an der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE).
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