Aktueller Kommentar Juni 2018
Trump Bashing greift zu kurz. Die wahren Lektionen hinter dem Phänomen Trump
Die Kritik an Donald Trump macht es sich zu leicht. Die strukturellen Ursachen, die seinen Aufstieg ermöglichten, werden gerne übersehen. Statt die sozialen Verwerfungen neoliberaler Globalisierungspolitik angemessen zu berücksichtigen, gefallen sich die EU Eliten in der Rolle der Verteidiger des Freihandels. Dies droht die Krise des internationalen Systems noch zu verschärfen.
Werner Raza (ÖFSE), Juni 2018
Trump: ein allzu leichter „Watschenmann“
Fürwahr, Donald Trump macht es seinen KritikerInnen auf der ganzen Welt leicht. Sein Auftreten ist arrogant, seine Persönlichkeit offensichtlich narzisstisch, seine politischen Entscheidungen zumindest problematisch, wenn nicht dramatisch falsch. Die liberale Intelligentia überschlägt sich daher zur Zeit mit vernichtenden Analysen und Kommentaren zu seiner Person und Politik. Der einhellige Konsens dazu ist kurz gefasst, dass die Trump’sche Politik ohne Ausnahme und jeder Hinsicht verfehlt und irrational wäre. Politisch füge Trump seinem Land durch seine Abkehr vom Multilateralismus und die offene Brüskierung traditioneller Alliierter enormen Schaden zu. In wirtschaftlicher Hinsicht sei die Vorstellung illusionär, durch Protektionismus die verlorenen Arbeitsplätze in der US-Industrie zurückholen zu können. Stattdessen drohe weiterer Schaden für die US-Wirtschaft und die Trump unterstützenden Bevölkerungsgruppen, abgesehen vom Schaden für die Weltwirtschaft und die internationale Kooperation. Es besteht kein Zweifel, dass die Kritik an Trump in vielem Recht hat. Sie übersieht aber, dass hinter der Trump’schen Politik zum einen strukturelle Ursachen liegen, die von den KritikerInnen in der Regel geflissentlich ignoriert werden. Zum anderen muss der Trump’sche Protektionismus als Beweis dafür herhalten, dass die neoliberale Globalisierung der letzten vier Jahrzehnte im Kern richtig war und jetzt um jeden Preis verteidigt werden muss. Dies ist vor allem die gängige Auffassung unter den Eliten in der EU. Dabei war es in den Worten von Dani Rodrik gerade die „Hyper-Globalisierung“, welche das Phänomen Trump produziert hat. Trump als Betriebsunfall der Geschichte abzutun, wäre daher grundfalsch. Vielmehr müssen die strukturellen Ursachen hinter seinem Aufstieg sorgfältig untersucht und daraus die richtigen politischen Schlussfolgerungen gezogen werden.
Globalisierung ≠ mehr Wachstum
Die liberale Kritik an Trump geißelt insbesondere die ihm zugesprochene protektionistische Handelspolitik, und fordert von allen verständigen politischen Kräften, die bestehende internationale Wirtschaftsordnung mit offenen Märkten und freiem Kapitalverkehr als Garant für wirtschaftliche Prosperität zu verteidigen. Besonders von den exportorientierten Ländern wie Deutschland, Japan oder auch China wird diese Position mit Nachdruck vertreten. Dabei wird freilich übersehen, dass 40 Jahre Globalisierung mit langfristig sinkendem Wachstum des globalen Pro-Kopf Einkommens einhergehen (siehe Grafik 1). Eine Vielzahl von Studien hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten vergeblich bemüht, einen robusten positiven Zusammenhang zwischen Handelsliberalisierung und Wirtschaftswachstum nachzuweisen (siehe z.B. hier und hier).
Grafik 1: Entwicklung des globalen Pro-Kopf-Einkommens
Quelle: Podkaminer, L. (2016). Has Trade Been Driving Global Economic Growth?, WIIW Working Paper 131, Vienna.
Für die schwache Wachstumsperformance der Weltwirtschaft sind vor allem zwei Faktoren ausschlaggebend. Zum einen die starke Umverteilung von Lohneinkommen zu Gewinneinkommen. So sind die Lohnquoten weltweit um 5-10% seit den 1970er-Jahren gesunken. Gleichzeitig ist auch die globale Investitionstätigkeit deutlich gesunken (siehe Grafik 2). Die gestiegenen Gewinne wurden also nicht in die reale Wirtschaft investiert, sondern für nicht-produktive Zwecke (z.B. Finanzveranlagung, Aktienrückkäufe etc.) verausgabt.
Grafik 2: Entwicklung der globalen Bruttoanlageinvestitionen
Quelle: World Development Indicators, Online Data Base, http://data.worldbank.org
Ungleichgewichte im internationalen Handel: oft übersehen
Der zweite wesentliche Faktor für die schwache globale Wachstumsdynamik hat mit dem ungleichgewichtigen Charakter des internationalen Handels zu tun. Das Ausmaß der bilateralen Handelsüberschüsse und -defizite hat kontinuierlich zugenommen. Wachsende Ungleichgewichte erhöhen aber das Risiko von Zahlungsbilanz- und Verschuldungskrisen. Letztere führen zu drastischen Wachstums- und Beschäftigungseinbrüchen, wie die lange Liste solcher Krisen seit den frühen 1980er-Jahren zeigt. Auch wenn im Gegensatz zu anderen Ländern die USA aufgrund der Stellung des US-Dollar als internationaler Reservewährung keine Probleme haben, ihr hohes Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren, hat das langanhaltende Defizit doch Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur des Landes gezeitigt. So kommt eine Studie der renommierten MIT-Forscher Autor, Dorn und Hansen zu dem Ergebnis, dass allein durch die Zunahme des Handels mit China in den USA zwischen 1999 und 2011 rund 2,4 Mio. Jobs in der verarbeitenden Industrie verloren gegangen sind (siehe Grafik 3).
Grafik 3: Importkonkurrenz und Industriebeschäftigung in den USA
Quelle: D. Autor, D. Dorn and G. Hanson: The China Syndrome: Local Labor Market Effects of Import Competition in the United States, American Economic Review 2013, 103(6): 2121–2168; https://seii.mit.edu/wp-content/uploads/2013/11/Autor-Dorn-Hanson-The-China-Syndrome-Local-Labor-Market-Effects-of-Import-Competition-in-the-United-States-American-Economic-Revi.pdf
Ein langanhaltendes Handelsdefizit importiert also Arbeitslosigkeit. Ist diese regional konzentriert und mangels anderer Beschäftigungsmöglichkeiten persistent, wie in den traditionellen US-amerikanischen Industriegebieten, kann dies zu gravierenden sozialen Problemen und früher oder später auch zu politischem Protest führen, weil sich die BürgerInnen von den traditionellen politischen Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Dass der WählerInnenprotest überproportional in von Wirtschaftskrisen geprägten Regionen geschieht, ist durch die neuere Forschung für die USA und auch Großbritannien klar belegt (siehe hier und hier). Ebenso gibt es deutliche Hinweise, dass in von Handelseffekten betroffenen Regionen autoritäre Einstellungen zunehmen (siehe hier). Die sozio-strukturellen Veränderungen der letzten Jahrzehnte lassen den bekannten Harvard Soziologen Robert Putnam in seinem letzten Buch zu dem Schluss kommen, dass der amerikanische Traum des sozialen Aufstiegs für die junge Generation der AmerikanerInnen inzwischen illusionär geworden ist.
Trump: ein Produkt der Globalisierung
Wenig überraschend ist daher die Trump’sche Politik weiterhin populär, und zwar nicht nur bei seinen WählerInnen in den alten Industriegebieten des Mittleren Westens, sondern auch im Unternehmenssektor, wie selbst das liberale Wirtschaftsmagazin The Economist unlängst feststellen musste.
Der Einzug von Donald Trump ins Weiße Haus ist also kein Zufall, sondern Ausdruck tiefgreifender sozio-struktureller Veränderungen in der US-amerikanischen Gesellschaft. An diesem politischen Backlash haben die Zumutungen der neoliberalen Globalisierung einen bedeutenden Anteil. Wenn breite Bevölkerungskreise unter stagnierenden Einkommen und schlechten Jobperspektiven leiden und die wirtschaftlichen Perspektiven für die eigenen Kinder und Enkelkinder sich eintrüben, fallen moderate Preise und eine breite Produktauswahl als die typischen Vorteile der Handelsliberalisierung eben nicht wirklich ins Gewicht. Die sogenannten VerliererInnen der Globalisierung wenden sich von den etablierten politischen Kräften ab und unterstützen zunehmend alternative politische Angebote, auch wenn diese problematischer Natur sind. Auch in Europa sind die traditionellen Parteien des politischen Zentrums (Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale) von ähnlichen Entwicklungen erfasst. Seit 2000 mussten vor allem sozialdemokratische Parteien Stimmenverluste von bis zu 50% hinnehmen, großteils zugunsten rechts-nationalistischer Parteien.
Freihandel forever, oder solidarische Politik?
Dass die Gegenbewegung zu den Irrungen marktradikaler Politik oft in Form nationalistischer und rassistischer Politik daherkommt, sollte niemanden verwundern. Darauf hat unter anderem schon der bekannte ungarisch-österreichische Wirtschaftswissenschafter Karl Polanyi in seinem Hauptwerk The Great Transformation eindrücklich hingewiesen. Wer also von den zweifellos gravierenden Fehlern der Trump’schen Politik spricht, sollte über die negativen Folgen von vier Jahrzehnten neoliberaler Globalisierung nicht schweigen.
Unter diesen Umständen, wie die EU, die Fortsetzung und Vertiefung von Handels- und Investitionsliberalisierung um jeden Preis zu fordern, droht das Kind mit dem Bade auszuschütten und die bestehenden wirtschaftlichen Ungleichgewichte und politischen Spannungen noch zu verschärfen. Notwendig wäre eine Politik, welche auf internationale Kooperation und Solidarität setzt. Dass gerade hier die EU in der Vergangenheit zu wenig beigetragen und ihr Trittbrettfahrertum im Schatten der USA genossen hat, wird der EU von Trump zu Recht vorgeworfen. Die Prioritäten der EU-Politik sollten daher auf der Eindämmung von Steuerflucht, der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit, der Stabilisierung von Krisenregionen, und last but not least der Klimapolitik liegen. In turbulenten Zeiten und angesichts der globalen Herausforderungen wäre gerade die Europäische Union gefordert, in Zukunft einen deutlich stärkeren Beitrag zu leisten.
Dr. Werner Raza ist Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE)
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