Aktueller Kommentar Mai 2017
Gesamtstaatliche Entwicklungspolitik – von der Vision zum konkreten Ziel?
Im Rahmen des Dreijahresprogramms 2019 – 2021 wird vom BMEIA der Anspruch erhoben, EZA als gesamtstaatliche Politik zu formulieren. Dafür braucht es nicht nur einen inklusiven und transparenten Konsultationsprozess, sondern vor allem auch Schritte zur Überwindung struktureller Blockaden im politischen System. Die neue Regierung hätte ab Herbst dazu die Chance.
Michael Obrovsky und Werner Raza (ÖFSE), Mai 2017
Konsultationsprozess zum 3JP – inklusiv und transparent gestalten
Die Konzeption des künftigen Dreijahresprogramms der österreichischen Entwicklungspolitik 2019 – 2021 sieht einen breiten Konsultationsprozess aller „Stakeholder“ vor, um Entwicklungspolitik als gesamtstaatliche Politik zu verankern. Bei einer Auftaktveranstaltung des BMEIA Ende April wurden die Eckdaten und thematischen Schwerpunkte vorgestellt und inhaltliche Ideen und Anregungen zum Format der Umsetzung des Konsultationsprozesses gesammelt. Grundsätzlich ist es begrüßenswert, dass das BMEIA diesen breiten Konsultationsprozess beginnt. Warum gibt es aber – vor allem in der Zivilgesellschaft aber auch bei VertreterInnen anderer Bundesministerien – Skepsis gegenüber einem gesamtstaatlichen Ansatz? Ist es nicht ein langjähriges Ziel der Entwicklungspolitik mit Hilfe einer kohärenten Politik die entwicklungspolitischen Zielsetzungen mit allen Politikbereichen zu unterstützen? Welche Hindernisse gibt es bei der Erstellung einer gesamtstaatlichen Entwicklungspolitik und welche Schritte könnten dazu beitragen, von einer Vision zur Realisierung einer gesamtstaatlichen Entwicklungspolitik zu kommen?
Bei der Erstellung des Dreijahresprogramms der österreichischen Entwicklungspolitik 2016 – 2018 im November 2014 wurde vom BMEIA bereits ein breit aufgesetzter Konsultationsprozess gestartet, dessen Ergebnisse durch nachträgliche redaktionelle Überarbeitungen des Kabinetts des BMEIA substantiell verändert wurden, da vor allem Ausführungen zum Thema Flucht und Migration eingefügt wurden, die in dieser Form nicht Bestandteil des Konsultationsprozesses waren. Die zivilgesellschaftlichen TeilnehmerInnen am Konsultationsprozess fühlten sich düpiert. Aus der wenig partizipativen Vorgangweise der politischen Ebene resultiert vor allem bei der entwicklungspolitischen Zivilgesellschaft ein berechtigter Vorbehalt gegenüber einer politischen Instrumentalisierung. Auch wenn Konsultationsprozesse bei politischen Strategien kein basisdemokratisches Wunschkonzert aller Stakeholder darstellen und letztlich die Entscheidung und Verantwortung für eine Strategie oder Programmatik bei der Politik liegt, lässt sich die Aushandlung von unterschiedlichen Positionen zwischen Staat und Zivilgesellschaft – bei entsprechendem politischen Willen – besser organisieren, verhandeln und in moderierten Prozessen gestalten. Dafür braucht es vor allem den Willen der politischen VerantwortungsträgerInnen, sich dem Dialog mit der Zivilgesellschaft zu stellen und die Spielregeln des Konsultationsprozesses, und damit seine Möglichkeiten und Grenzen, zu Beginn klar zu benennen.
Strukturelle Blockaden angehen
Abgesehen von der Einbindung der Zivilgesellschaft in die staatliche Entwicklungspolitik bestehen aber auch strukturelle Blockaden für einen gesamtstaatlichen Ansatz im politischen System selbst. Bevor ein gesamtstaatlicher Ansatz (whole of nation approach), der alle Stakeholder miteinschließen soll, angestrebt werden kann, wäre es erforderlich, einen gemeinsamen Regierungsansatz (whole of government approach) herzustellen, der mit den Interessen anderer steakholder abgestimmt werden kann. Diese für die gesamte Regierung verbindliche Strategie und Programmatik der Entwicklungspolitik scheiterte bis jetzt an einem fehlenden Konsens über die Ziele und die Instrumente der Umsetzung der Entwicklungspolitik. Dabei spiel(t)en auch ideologische Vorstellungen über globale Entwicklung und wie man diese am besten erreichen könne eine entscheidende Rolle. Durch die Regelung der Kompetenzen der jeweiligen MinisterInnen (Bundesministeriengesetz) und durch das Entwicklungshilfegesetz ist Entwicklungspolitik zwar im Kompetenzbereich des BMEIA verankert, aber die jeweiligen MinisterInnen (Ministerhoheit) können in ihrer Kompetenz trotzdem Maßnahmen durchführen, die unter dem Titel Entwicklungszusammenarbeit subsumiert werden. Die Koordination der internationalen Entwicklungspolitik obliegt zwar dem BMEIA, das BMEIA kann aber nur zu interministeriellen Sitzungen einladen, Informationen austauschen, ohne dass daraus klare Verbindlichkeiten für Aktivitäten anderer Ministerien entstehen. Das Herstellen von (entwicklungspolitischer) Kohärenz zwischen verschiedenen Politikbereichen scheitert am Fehlen einer politischen Ebene, auf der die unterschiedlichen Interessen verhandelt, entschieden und damit für die betroffenen Bundesministerien verbindlich werden. Dieses Dilemma lässt sich auch nicht mit dem Verweis auf die Kenntnisnahme einer bestimmten Strategie (hier Dreijahresprogramm) durch den Ministerrat lösen, da durch die Vorlage bzw. Kenntnisnahme durch den Ministerrat nicht automatisch politische Verbindlichkeiten erzeugt werden. Selbst der normative Charakter von Bundesverfassungsgesetzen (z.B. das BVG über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung, BGBl. I Nr. 111/2013) oder sogenannten Staatszielbestimmungen ist gering, wie etwa die Diskussion über die dritte Piste am Flughafen Schwechat gezeigt hat. Dieses strukturelle Defizit ist für die vom DAC seit Jahrzehnten kritisierte Fragmentierung in der österreichischen öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit verantwortlich.
Die Vision einer gesamtstaatlichen Entwicklungspolitik wird daher solange utopisch bleiben, solange die Bundesregierung keinen verbindlichen Mechanismus für eine gemeinsame Entwicklungspolitik geschaffen hat. Dieser whole of government- Ansatz muss nicht notwendigerweise alle Ministerien umfassen. Es wäre bereits ein großer Erfolg, wenn sich entwicklungspolitische Schlüsselministerien wie das BMEIA, das BMF, das BMLFUW, das BMB und das BMI auf einen gemeinsamen Zielkatalog der Entwicklungspolitik und auf ein Maßnahmenbündel zu dessen Umsetzung verständigen könnten. Wobei anzumerken ist, dass die zentralen Zielsetzungen der Entwicklungspolitik bereits im EZA-Gesetz (BGBl. I Nr. 65/2003) geregelt sind. Eine Veränderung der derzeit gültigen Zielsetzungen (Bekämpfung der Armut, Sicherung des Friedens und der menschlichen Sicherheit, Erhaltung der Umwelt und Schutz natürlicher Ressourcen) kann daher nicht willkürlich erfolgen, sondern bedarf einer Gesetzesänderung. Nachdem die Bundesregierung sich zur Umsetzung der 2030 Nachhaltigkeitsagenda der Vereinten Nationen bekannt hat, muss die Entwicklungspolitik der Bundesregierung konkrete Antworten darauf geben, mit welchen Maßnahmen und Instrumenten und mit welchen Budgetmitteln diese Ziele in einer nächsten Regierungsperiode umgesetzt werden sollen.
Ein gesamtstaatlicher Ansatz – unter Einbindung aller Stakeholder – wäre zwar wünschenswert, wird aber von einem Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik nicht erfüllt werden können, wenn die Bundesregierung per Gesetz die Kompetenz für die Koordinierung der internationalen Entwicklungspolitik dem BMEIA überträgt und gleichzeitig die Umsetzung der Politik den jeweiligen MinisterInnen überlässt. Diese Vorgangsweise führte in der Vergangenheit zu einer Fragmentierung der Entwicklungspolitik, die man nicht dadurch auflösen wird können, dass man beim Dreijahresprogramm im Untertitel „gesamtstaatliche Entwicklungspolitik“ anführt. Gleichzeitig ist aber auch nicht zu erwarten, dass die strukturellen Probleme bei der Herstellung einer gesamtstaatlichen Entwicklungspolitik kurzfristig überwunden werden können. Der ÖFSE Vorschlag aus dem Jahr 2013, ein eigenes Ministerium für globale Entwicklung zu schaffen (siehe ÖFSE Policy Note 06/2013), ist daher aktueller denn je. Ob er politische Realisierungschancen hat, bleibt allerdings abzuwarten.
Neue Regierung – neue Chance für die EZA?
Die für 15. Oktober 2017 angekündigten Neuwahlen sollten die inhaltlichen Vorbereitungen für einen möglichst breit angelegten Konsultationsprozess für die Erarbeitung eines Dreijahresprogramms der österreichischen Entwicklungspolitik nicht stoppen. Im Hinblick auf die Realisierung eines gesamtstaatlichen Ansatzes sollte aber parallel zu den inhaltlichen Diskussionen vor allem auch die politische Forderung an alle Parteien gerichtet werden, das konkrete Ziel einer gemeinsamen Entwicklungspolitik der Bundesregierung, die auf die Umsetzung der Sustainable Development Goals ausgerichtet ist, zentral in ein neues Regierungsprogramm aufzunehmen. Dafür braucht es im Regierungsprogramm Antworten zu drei zentralen Punkten: (i) wie kann ein institutionelles Arrangement aussehen, dass klare Verantwortlichkeiten gewährleistet und eine kohärente Koordination zwischen den Ministerien sicherstellt, (i) was sind die zentralen Umsetzungsmaßnahmen und (iii) wie sieht der verfügbare Finanzierungsrahmen aus.
Dies löst zwar unmittelbar nicht die strukturelle Blockade, wäre aber zumindest ein wichtiges politisches Bekenntnis einer neuen Bundesregierung, den globalen Verpflichtungen Österreichs nachkommen zu wollen. Das Ziel sollte eine kohärente Entwicklungspolitik in Österreich sein. Ein Dreijahresprogramm, das einen gesamtstaatlichen Anspruch erheben möchte, braucht vor allem ein breites politisches Fundament, das sich zu einer globalen Transformation – im Sinne der SDGs – bekennt und dieses politisch realisieren möchte.
Dr. Michael Obrovsky, Stellvertretender Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Österreichische und internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Zivilgesellschaft und Entwicklung
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Dr. Werner Raza, Leiter der ÖFSE
Arbeitsschwerpunkte: Internationaler Handel, Entwicklungsökonomie und -politik
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