Aktueller Kommentar Oktober 2017

Globale Nachhaltigkeit stärken! Die zentrale Querschnittsaufgabe der neuen Bundesregierung

Der Wahlkampf ist geschlagen. In den kommenden Wochen wird sich eine neue Regierung konstituieren und ein Regierungsprogramm ausarbeiten. Sich zuspitzende ökonomische, ökologische, soziale und politische Probleme erfordern auch von der österreichischen Politik effektive Antworten, nicht zuletzt in der Außen- und Entwicklungspolitik. Institutionelle und programmatische Eckpunkte eines österreichischen Beitrags zur globalen Nachhaltigkeit werden im Folgenden dargelegt.

Michael Obrovsky, Werner Raza (ÖFSE), Oktober 2017

Wahlkämpfe sind bekanntlich „Zeiten fokussierter Unintelligenz“ (© M. Häupl). Es verwundert daher nicht, dass für die Zukunft eminent bedeutsame Fragen der globalen Entwicklung keine Rolle im Wahlkampf spielten, auch wenn, wie berichtet, die meisten wahlwerbenden Parteien für eine Aufstockung der EZA Mittel eingetreten sind. In den kommenden Wochen wird es nun darum gehen, eine neue Bundesregierung zu bilden und ein Regierungsprogramm zu verhandeln. Die neue Bundesregierung wird unabhängig von ihrer politischen Zusammensetzung nicht umhinkommen, ihre Prioritäten, Positionen und Initiativen im Bereich der internationalen Entwicklung festzulegen, will sie weiterhin sowohl auf internationaler als auch auf EU-Ebene als berechenbarer und verlässlicher Partner auftreten. Dafür braucht es mehr als das fast schon rituelle Bekenntnis vergangener Regierungsprogramme zur internationalen Zusammenarbeit samt Bekräftigung des 0,7% ODA-Ziels.

Politik für globale nachhaltige Entwicklung – im Anschluss an die UN Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung – geht über Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungspolitik weit hinaus und umfasst auch alle nationalen Politikbereiche, die Auswirkungen auf eine globale Entwicklung haben. Zum Ziel einer sozial-ökologischen Transformation unserer Gesellschaften hat sich Österreich, vertreten durch Bundespräsident Fischer und Außenminister Kurz im September 2015 bei der Beschlussfassung der Agenda 2030 bei der UN Generalversammlung in New York bekannt. Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) ist daher eine Aufgabe, zu der eine neue österreichische Bundesregierung verpflichtet ist. Die Beschlüsse des Pariser Klimagipfel 2015 und die Addis Ababa Action Agenda (AAAA) zur Finanzierung globaler Entwicklung bilden gemeinsam mit den SDGs sowohl auf UN- als auch auf EU-Ebene den neuen Referenzrahmen für die nationale wie globale Entwicklung. Trotz der Renaissance einer stärker auf nationale Interessen ausgerichteten Politik in den USA und auch in Europa (UK, Polen, Ungarn) hat Österreich sowohl ökonomisch (Stichwort: hohe Exportabhängigkeit) als auch politisch (Stichworte: Mittlerrolle zwischen Ost und West, UN Hauptstadt Wien) ein besonderes Interesse am Funktionieren internationaler Zusammenarbeit. Die Umsetzung der UN Nachhaltigkeitsagenda im eigenen Wirkungsbereich wie auch auf internationaler Ebene ist daher in unserem ureigensten Interesse. Gerade die EU Ratspräsidentschaft Österreichs im 2. Halbjahr 2018 bietet die Chance, Initiativen für eine Nachhaltigkeitspolitik auf EU und internationaler Ebene zu setzen.

Welche Elemente und Maßnahmen braucht es im neuen Regierungsprogramm, um den Anspruch für eine aktive und zukunftsorientierte Politik im Bereich der nachhaltigen Entwicklung konkret umsetzbar zu machen? Aus unserer Sicht sind dafür vor allem die folgenden Punkte von zentraler Bedeutung:

1. Klares Bekenntnis der Bundesregierung zur Umsetzung der UN 2030-Agenda, des Pariser Klimagipfels, und der Addis Ababa Action Agenda

Das Bekenntnis der letzten Bundesregierung (2013 – 2017) zur 2030-Agenda fiel verhalten aus. Neben anderen Faktoren war dies maßgeblich dem seit 2015 alles überlagernden Thema Flucht und Migration geschuldet. Während die politische Bearbeitung des Themas sich vor allem auf die innenpolitische Dimension konzentrierte, etwa hinsichtlich der integrationspolitischen Herausforderungen, fehlt bislang eine kohärente außen- und entwicklungspolitische Antwort. Gefragt sind systemische Ansätze, welche die multiplen Ursachen von Flucht und Migration umfassend in den Blick nehmen. Gerade dafür kann die UN Agenda 2030 mit ihrem Fokus auf sozial inklusive und ökologisch nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung eine wichtige Richtschnur sein. Ebenso einleuchtend ist, dass effektive nachhaltige Entwicklung nur auf Basis einer verstärkten Kooperation, sowohl auf internationaler als auch auf EU Ebene funktionieren kann. Österreich sollte sich in die auf EU Ebene bzw. auf Ebene der G-20 laufenden Diskussionen um einen Marshall-Plan für Afrika stärker einbringen. Gerade die EU Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr bietet günstige Voraussetzungen für die neue Bundesregierung, diese Diskussion nota bene unter aktiver Beteiligung der afrikanischen Länder voranzutreiben. Ziel muss es sein, in einem inklusiven Prozess nicht nur die Prioritäten, Programme und Maßnahmen für die europäische Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika neu zu bestimmen, sondern vor allem auch die Politikkohärenz der gesamten EU-Politik im Sinne nachhaltiger Entwicklung zu stärken. Dass die Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Entwicklungsländer wesentlich wichtiger ist als traditionelle Entwicklungszusammenarbeit, wird von führenden EntwicklungsökonomInnen zu Recht betont, wie zuletzt von Jayati Ghosh, Festvortragende bei der ÖFSE 50-Jahreskonferenz in Wien.

Komplementär zur internationalen Dimension muss auch der österreichische SDG Umsetzungsprozess auf eine politisch solidere Basis gestellt werden. Im Ministerratsvortrag vom 16. Jänner 2016 wurde unter Verweis auf die Methode des „Mainstreamings“ die Kompetenz zur Umsetzung der SDGs de-facto den jeweils zuständigen Ministerien überlassen. Wenn es aufgrund der kompetenzrechtlichen Problematik und der Eigenlogiken der unterschiedlichen Politikfelder keine verbindliche gesamtstaatliche Strategie zur Umsetzung der SDGs geben kann, so wären zumindest von der Bundesregierung gemeinsam erarbeitete Zielvorgaben als „Masterplan“ für die Umsetzung durch die zuständigen Ministerien sinnvoll. Im neuen Regierungsprogramm sollte daher ein Zeitplan sowie ein gemeinsames partizipatives Vorgehen zur Erarbeitung eines Masterplans mit konkreten Zielen für die nationale Umsetzung der 2030 Agenda verankert werden. Da Österreich seine Berichterstattung zur Umsetzung der SDGs an das HLF (High Level Forum) der UN erst für das Jahr 2021 angekündigt hat, wären die Zielformulierungen des Masterplans auch für das Monitoring und das Berichtswesen wesentlich.

Auf Basis des Masterplans sind dann auch konkrete Umsetzungsschritte von den zuständigen Ministerien zu erarbeiten. Das beinhaltet insbesondere auch Maßnahmen zur Umsetzung der Beschlüsse des Pariser Klimagipfels (Stichwort: Dekarbonisierung bis 2050) sowie die Aktualisierung der Nachhaltigkeitsstrategie der österreichischen Bundesregierung aus dem Jahr 2010.

Im Hinblick auf die Umsetzung der Addis Ababa Action Agenda braucht es neben einem Bekenntnis zu einer signifikanten Steigerung der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung im Kontext einer umfassenden Mobilisierung von öffentlichen wie privaten Mitteln für die nachhaltige Entwicklung insbesondere auch das Vorantreiben verbindlicher europäischer bzw. internationaler Regeln für die Besteuerung internationaler Konzerne, sowie zur verstärkten Bekämpfung von Steuervermeidung und Steueroasen.

2. Administrative Voraussetzungen für eine kohärente Politik schaffen

Die Koordination der Umsetzung der 2030 Agenda ist derzeit unzureichend geregelt. Im Rahmen einer SDG Arbeitsgruppe unter Leitung von BMEIA und BKA werden die Prioritäten in der Umsetzung der SDGs für die jeweils nächste Berichtsperiode diskutiert und die Erstellung eines Fortschrittsberichts koordiniert. Ein erster Bericht über die „Beiträge der Bundesministerien zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung durch Österreich“ wurde im März 2017 veröffentlicht. Eine Ausrichtung aller Beiträge nach einer gesamtstaatlichen Strategie der Bundesregierung ist weder politisch noch administrativ vorgesehen. (siehe auch Aktueller Kommentar April 2017)

Um administrative Voraussetzungen für eine kohärente Politik für globale nachhaltige Entwicklung in Österreich zu schaffen, bedarf es entweder einer institutionellen Neukonfiguration oder einer stärkeren Bündelung von Kompetenzen und Budgets. Dafür stehen verschiedene Optionen zur Verfügung (siehe unseren Vorschlag dazu aus 2013):

  1. Einrichtung eines eigenen Bundesministeriums für nachhaltige Entwicklung, in dem die verschiedenen Agenden koordiniert werden.
  2. Einrichtung eines eigenen Staatssekretariats im BMEIA oder im BKA, das die Koordinierung der 2030 Agenda übernimmt und gemeinsam mit anderen Ministerien die Strategien zu Umsetzung entwickelt und implementiert.
  3. Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe mit klarem politischen Mandat auf einer möglichst hohen Ebene (z.B. Sektionsleitungen), die beim BKA oder dem BMEIA angesiedelt ist.
  4. Gründung einer Stabstelle beim BKA, die ein „Mainstreaming“ bei den einzelnen Ministerien unterstützt und die Kooperation mit den für die 2030 Agenda zuständigen „Focal Points“ organisiert.

Welche Option letztlich auch zum Zug kommt, feststeht, dass gerade die zu Beginn der Legislaturperiode bestehenden Möglichkeiten zur organisatorischen und finanziellen Neugestaltung zentraler Aufgaben genutzt werden sollten.

3. Neue Partnerschaften und Netzwerke zur Umsetzung globaler Nachhaltigkeit stärken

Jenseits der Politik muss die Umsetzung der 2030-Agenda als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen werden. Dazu bedarf es der Einbindung und der Unterstützung aller gesellschaftlicher AkteurInnen, schließlich geht es um die Gestaltung der gemeinsamen Zukunft des Lebens auf unserem Planeten. Gerade in Ländern des Globalen Südens entsteht derzeit eine beachtliche Dynamik, mit der nachhaltige Entwicklung vorangetrieben wird. Transnationale Netzwerke, die von Städten, Gemeinden, der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft gebildet werden, fordern von und unterstützen Regierungen hier aktiv eine globale Politik zu betreiben. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sollten diese transnationalen Initiativen unterstützt und gefördert werden, damit ein stärkeres Bewusstsein für die gemeinsamen globalen Probleme entstehen kann.

Zu diesen Netzwerken gehören auch Wissensnetzwerke und Kooperationen von WissenschafterInnen aus Nord und Süd: „Gemeinsam entwickeltes Wissen zu globalen und grenzüberschreitenden Herausforderungen schafft Grundlagen für gute Lösungen, kluge Entscheidungen und vor allem auch Legitimation für gemeinsames Handeln.“, betonen die renommierten EntwicklungsforscherInnen Stephan Klingebiel, Dirk Messner und Imme Scholz vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Ähnlich wie in Deutschland der WBGU, könnte die Einrichtung eines international besetzten Wissenschaftlichen Beirates zur Umsetzung der 2030 Agenda die österreichische Bundesregierung bei der Formulierung der Ziele und bei der Umsetzung der Strategien unterstützen.

Fazit – neues Regierungsprogramm als Lackmustest

Angesichts sich zuspitzender multipler Krisenlagen, sei es beim Klima, bei fluchtbedingter Migration, bei globaler sozialer Ungleichheit und Armut, oder im Hinblick auf die Gefahren des religiösen Extremismus, muss der neuen Bundesregierung klar sein, dass die effektive Bearbeitung dieser Themen mehr internationale Kooperation und neue Ansätze in der Entwicklungspolitik braucht, gerade wenn man die Lebensqualität in Österreich langfristig sichern möchte. Das neue Regierungsprogramm wird zeigen, ob die Politik bereit ist, sich diesen Herausforderungen zu stellen.

Dr. Michael Obrovsky ist stellvertretender Leiter, Dr. Werner Raza ist Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung